Angebliches Sprechverbot
Afghaninnen dürfen in der Öffentlichkeit weder singen noch beten
28.11.2024, 11:31 (CET), letztes Update: 28.11.2024, 11:35 (CET)
Afghanistan ist von der internationalen Gemeinschaft isoliert, seit der erneuten Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021. Die Rechtslage hat sich seither insbesondere für Frauen verschlechtert, Ende August 2024 verbot die Taliban den Frauen das Singen. Sollen nun neulich die Taliban den Frauen verboten haben, mit anderen Frauen zu sprechen, wie in den sozialen Medien kursiert?
Bewertung
Das Verbot bezieht sich auf das Rezitieren von Koranversen und öffentliches Singen. Weder aus dem schriftlichen Verbotstext noch aus der Ankündigung des afghanischen Tugendministers geht hervor, dass es ein Redeverbot für Frauen bedeutet.
Fakten
In einer Audiobotschaft erklärte der auf Sanktionslisten stehende afghanische Minister für Tugend Mohammad Khalid Hanafi Ende Oktober, warum Frauen gemäss dem Islam weder laut singen noch laut vor anderen Frauen Koranverse rezitieren sollten. Das entsprechende Verbot wurde bereits Ende August eingeführt. In der neusten Audionachricht verkündet Hanafi, dass das Tugendministerium das Gesetz nach und nach umsetzen werde.
Ausserhalb Afghanistans führt die Audiobotschaft von Ende Oktober zu Verwirrung. Fälschlicherweise wurde dies wie im Facebook-Post verlinkten Artikel als komplettes Sprechverbot für Frauen mit anderen Frauen aufgefasst. Ein dpa-Korrespondent hat sich die Aufnahme angehört, von einem umfassenden Sprechverbot ist darin nicht die Rede.
Medien gegenüber sagte der Sprecher des Tugendministeriums, dass Frauen miteinander sehr wohl sprechen dürften. Auch der Sprecher des Aussenministeriums Saif-ul-Rahman Khaibar sagte in einer Videoaufzeichnung, dass Hanafis Audiobotschaft von Ende Oktober falsch aufgefasst wurde.
Innerhalb Afghanistans gab es keine Meldungen, wonach Frauen nicht mehr miteinander sprechen dürften. Zudem müssen gemäss der afghanischen Verfassung die Dekrete vom Präsident - also zurzeit vom obersten Talibanführer Mullah Hibatullah Achundsada - unterzeichnet werden.
Auch die UNO, welche mit der UNAMA eine Hilfsmission in Afghanistan hat, kommunizierte weder Ende Oktober noch Anfang November über ein derartiges Verbot. Das im August veröffentlichte Moralgesetz der Taliban verurteilte die UNO hingegen umgehend.
Nach der Verabschiedung des Tugendgesetzes durch die Taliban Ende August zeigten sich UN-Menschenrechtsexperten besorgt. Das Gesetz führe noch weitere, repressivere Massnahmen ein und stelle einen weiteren Rückgang der Menschenrechte dar.
Seit der erneuten Machtübernahme durch die Taliban wurden die Menschenrechte im Land laufend eingeschränkt, insbesondere Frauen und Mädchen sind davon stark betroffen. Die Fortschritte in ihren Rechten der letzten 20 Jahre seien durch die Taliban zunichtegemacht worden. Immer wieder fordert die UNO die Taliban dazu auf, den Verpflichtungen aus den internationalen Menschenrechtsverträgen nachzukommen.
Schweizer Diplomaten haben das Land am Hindukusch verlassen. Doch die Schweiz engagiert sich nach wie vor im humanitären Bereich und fordert die Taliban zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte auf. Die Schweizer Behörden planen, wieder ein humanitäres Büro in Kabul zu eröffnen.
(Stand: 20.11.2024)
Links
Artikel über vermeintliche Taliban-Verordnung, 02.11.2024 (archiviert)
ORF: Ankerkennung des Islamischen Emirats Afghanistan, 23.09.2024 (archiviert)
Washington Institute: Legitimität der Taliban, 06.08.2024 (archiviert)
X: Audiobotschaft von Hanafi, 26.10.2024 (archiviert, Audio archiviert)
OFAC: Hanafi auf US-Sanktionsliste (archiviert)
EU: Hanafi auf Sanktionsliste (archiviert)
Middle East Institute: Mohammad Khalid al-Hanafi (archiviert)
Middle East Institute: Haibatullah Akhundzada (archiviert)
Middle East Institute: Taliban-Führerliste (archiviert)
Afghanische Taliban-Behörde: Moralgesetz, August 2024 (archiviert)
AFP: X-Post mit der Korrektur, 09.11.2024 (archiviert)
X-Post: Statement vom Sprecher des Aussenministeriums, 02.11.2024 (archiviert, Video archiviert)
Google-Recherche nach Berichterstattung in Afghanistan über vermeintliches Verbot (archiviert 1, archiviert 2)
Afghanische Behörde: Verfassung (archiviert)
EUAA: Taliban 2.0 de facto Behörde, Mai 2024 (archiviert)
UNAMA: X-Post zum Moralgesetz der Taliban (archiviert)
UNAMA: Statement der UNO zum Moralgesetz der Taliban, 25.08.2024 (archiviert)
UNO: Besorgnis über das neue Tugend-Gesetz der Taliban, 30.08.2024 (archiviert)
UNO: Taliban zerschlägt Entwicklung in Frauenrechte, 08.03.2023 (archiviert)
UNO: Aufruf an die internationale Gemeinschaft bezüglich des Umgangs mit der Taliban-Herrschaft 2.0 (archiviert)
EDA: Bilaterale Beziehungen Schweiz-Afghanistan (archiviert)
DEZA: Afghanistan (archiviert)
EDA: X-Post über Rückkehrpläne einer Schweizer Vertretung in Afghanistan (archiviert)
Swissinfo: Artikel über Schweizer Rückkehrpläne nach Afghanistan (archiviert)
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