Rentenzahlung
AHV-Ansprüche von Ukrainern weniger umfangreich als behauptet
4.9.2023, 16:50 (CEST), letztes Update: 6.9.2023, 13:20 (CEST)
Die Schweiz hat seit der russischen Invasion im Februar 2022 vielen Ukrainerinnen und Ukrainern einen Schutzstatus gewährt. Nun kursieren in den sozialen Medien diverse Behauptungen darüber, welche Ansprüche auf Sozialversicherungsleistungen die Geflüchteten hierzulande haben. So soll der Asylstatus für 42 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer bis März 2024 verlängert worden sein. Ab dann seien alle Personen, die älter als 65 Jahre sind, AHV-Bezüger, sofern sie ein Jahr in der Schweiz weilten. Die Gemeinden würden für diese Flüchtlinge rückwirkend für fünf Jahre die Mindestbeiträge für die obligatorische Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) bezahlen. Die Geflüchteten aus der Ukraine würden zwar nur eine Mindestrente erhalten, doch gehe die Auszahlung auch bei einer Rückkehr in die Ukraine weiter. Stimmt das?
Bewertung
Teilweise falsch und irreführend. Den Schweizer Schutzstatus S, welcher nicht mit dem Flüchtlingsstatus gleichzusetzen ist, haben derzeit rund 85 000 Ukrainerinnen und Ukrainern - nicht 42 Millionen. Rückwirkende Mindestbeiträge an die AHV zahlt die Gemeinde ab dem Zeitpunkt eines Wohnsitzes in der Schweiz. Für Ukrainer können das derzeit keine fünf Jahre sein, da der Schutzstatus S im März 2022 aktiviert wurde. Renten werden nicht an zurückgekehrte Ukrainer weitergezahlt.
Fakten
Die Gesamtbevölkerung in der Ukraine zählte im Jahr 2021 gemäss der Weltbank rund 43,8 Millionen Menschen. Doch nicht alle davon sind Schutzsuchende in der Schweiz: In etwas mehr als 85 000 Fällen gewährte die Schweiz Ukrainern Schutz, wie aus Daten (Download) des Staatssekretariat für Migration hervorgeht. Diese Statistik berücksichtigt die Zeitspanne vom 12. März 2022, als hierzulande der Schutzstatus S für Geflüchtete aus der Ukraine aktiviert wurde, bis Mitte August 2023. Der Schutzstatus S muss beantragt werden und gilt nicht automatisch für alle Ukrainer. Er ist zudem befristet.
Es ist korrekt, dass die Schweiz den Schutzstatus S sowie Unterstützungsleistungen im November 2022 bis zum 4. März 2024 verlängert hat, da eine «nachhaltige Stabilisierung der Lage in der Ukraine […] auf absehbare Zeit nicht zu erwarten» sei, wie der Bundesrat schreibt. Diese Regelung betrifft aber nur den Schutzstatus S, der nicht mit dem Asylstatus gleichzusetzen ist.
Für den Schutzstatus S müssen Antragssteller etwa kein ordentliches Asylverfahren durchlaufen. Mit diesem Status können Geflüchtete ohne Wartefrist eine Erwerbstätigkeit ausüben, sofern eine kantonale Behörde das bewilligt. Können sie nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen, erhalten sie Sozialhilfe.
Rechnerisch derzeit keine fünf Jahre rückwirkende Beitragszahlung möglich
Sind Geflüchtete aus der Ukraine mit Schutzstatus S in der Schweiz erwerbstätig oder haben ihren zivilrechtlichen Wohnsitz in der Schweiz, dann sind sie auch in der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) versichert. Personen, die erwerbstätig sind, müssen Beiträge bezahlen. Das teilte ein Sprecher des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit. Solange Personen mit Schutzstatus S nicht erwerbstätig sind und solange kein Versicherungsfall wie beim Erreichen des Rentenalters eintritt, müssen sie keine AHV-Beiträge zahlen, erklärt der BSV-Sprecher.
Mit 65 Jahren erreichen in der Schweiz Männer das Rentenalter, Frauen zurzeit noch mit 64 Jahren. Die Altersrente kann um ein oder zwei Jahre vorbezogen werden, was allerdings mit einer Rentenkürzung einhergeht. Bei einem Vorbezug von einem Jahr wird die Rente um 6,8 Prozent, bei zwei Jahren um 13,6 Prozent gekürzt.
Wer bereits im Rentenalter aus der Ukraine in die Schweiz geflüchtet ist, ist nicht AHV-beitragspflichtig, hat aber auch keinen Anspruch auf eine AHV-Altersrente. Wer hingegen das Rentenalter noch nicht erreicht hat und für mindestens ein Jahr Beiträge an die AHV bezahlt hat, hat grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen der AHV, also auch auf eine Altersrente, wenn das Rentenalter erreicht wird. Das BSV rechnet vor, dass zum Beispiel «ein Mann, der mit 65 Jahren in Rente geht und ein Beitragsjahr in der Schweiz aufweist, eine monatliche Altersrente zwischen 28 und 56 Franken» erhalten würde.
Die Personen mit Schutzstatus S haben bei Bedarf Anspruch auf Sozialhilfe, wenn alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Erreicht eine Person mit Schutzstatus S, welche Sozialhilfe bezieht und keine AHV-Beiträge bezahlte, das Rentenalter, dann kommt die Gemeinde für die Mindestbeitragszahlungen an die AHV auf - «rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Begründung des zivilrechtlichen Wohnsitzes in der Schweiz, der mit der Einreise nicht automatisch gegeben ist», teilte der BSV-Sprecher mit. Die rückwirkende Beitragszahlung erstrecke sich auf eine Dauer von maximal fünf Jahren, was bei den Personen aus der Ukraine bei Weitem noch nicht möglich ist, da der Schutzstatus S für sie erst im März 2022 aktiviert wurde.
Keine AHV-Auszahlungen an zurückgekehrte Ukrainer
AHV-Renten werden nicht in die Ukraine gezahlt, wenn Menschen zurückkehren. Zwischen der Schweiz und der Ukraine bestehe kein Sozialversicherungsabkommen, schreibt der BSV-Mediensprecher.
Beim Verlassen der Schweiz können Ukrainerinnen und Ukrainer die bezahlten AHV-Beiträge zurückfordern, sofern sie mindestens für ein Jahr Beiträge an die AHV einbezahlt haben. Hat eine Gemeinde für ausländische Staatsangehörige die Beitragszahlungen übernommen, werden diese allerdings nicht zurückgezahlt, so der BSV-Mediensprecher weiter.
Reichen die Renteneinkommen nicht zur Existenzsicherung aus, decken Ergänzungsleistungen (EL) den restlichen Lebensbedarf. Das BVS schreibt, dass Geflüchtete aus der Ukraine mit Schutzstatus S bezüglich Ergänzungsleistungen (EL) gleichbehandelt würden wie alle anderen Staatsangehörigen aus Nichtvertragsstaaten: «Sie müssen während mindestens 10 Jahren ununterbrochen in der Schweiz gelebt haben, bevor sie EL beanspruchen können. EL werden nur bei Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz bezahlt, nicht aber exportiert.»
Die Leistungen der Sozialversicherungen sind immer wieder Gegenstand von Falschbehauptungen. So ist es etwa nicht korrekt, dass Rentnerinnen und Rentner, welche 45 Jahre in der Schweiz gearbeitet haben, weniger Geld als Asylsuchende erhalten, wie die dpa bereits in einem Faktencheck feststellte.
(Stand: 23.8.2023)
Links
Weltbank: Bevölkerungsanzahl der Ukraine (archiviert)
Bundesrat: Medienmitteilung über Aktivierung des Schutzstatus S, 11.03.2022 (archiviert)
Bundesrat: Medienmitteilung über Verlängerung des Schutzstatus S, 09.11.2022 (archiviert)
SEM: Statistik der Schutzgesuche von Ukraine-Flüchtlinge, 17.08.2023 (Download mit statistischen Daten archiviert)
SEM: Faktenblatt Schutzstatus S (archiviert)
Bundesrecht: Schweizerisches Zivilgesetzbuch (archiviert)
SEM: Statistik der Schutzgesuche von Ukraine-Flüchtlinge, 31.08.2023 (Download mit statistischen Daten archiviert)
Bundesrecht: Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) (archiviert)
BSV: FAQ – Flüchtlinge aus der Ukraine (archiviert)
BSV: Broschüre über Ergänzungsleistungen (Download) (archiviert)
AHV: Information für Flüchtlinge und Staatenlose, Stand 01.01.2023 (archiviert)
IIZ: Übersicht zu den sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen von Flüchtlingen, 05.05.2021 (archiviert)
dpa-Faktencheck: Rentner sind gegenüber Asylsuchenden deutlich bessergestellt
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