Video aus der Nordtürkei

Bei HAARP verwendete Technologie löst keine Erdbeben aus

27.2.2023, 14:02 (CET)

Die Türkei liegt in einer tektonischen Hochrisikozone, in der Gegend haben sich in den vergangenen Jahrhunderten mehrere grosse Erdbeben ereignet. Nach dem aktuellen schweren Beben kursiert in den sozialen Medien ein Sharepic mit einem Ausschnitt aus einem nächtlichen Video. Angeblich zeigt es Blitze, «die bei Erdbeben nicht normal» seien. Dies wird als Hinweis darauf gewertet, dass es sich bei der Katastrophe um einen «HAARP-Einsatz» und damit um eine «Bestrafungsaktion» der Nato oder der USA gehandelt haben könnte.

Bewertung

Das Video zeigt Lichter während eines Bebens, welches sich am 23. November 2022 im Nordwesten der Türkei ereignete. Die HAARP-Technologie kann weder Erdbeben auslösen noch derartige Lichter erzeugen.

Fakten

Wie dem Videoausschnitt am oberen Bildrand zu entnehmen ist, wurde das Bild im Jahr 2022 an einem Mittwoch um 4 Uhr morgens aufgenommen und vom türkischen Nachrichtensender «Haber Global» ausgestrahlt. Auf deren Homepage ist auch ein Artikel mit der Videosequenz zu finden. Das Video auf dem Youtube-Kanal des Senders weist dieselbe Einblendung «Dprem aninda işik hüzmesi belirdi» auf, welche im Screenshot auf Facebook ebenfalls abgebildet ist. Übersetzt heisst dies «Lichtstrahl erscheint während des Erbebens».

Der Artikel sowie das Video sind am 23. November 2022 veröffentlicht worden und berichten über das damalige Beben in der Region Düzce, im Nordwesten der Türkei. Auch international wurde darüber berichtet.

HAARP-Anlage kann keine Beben auslösen

Das «High-frequency Active Auroral Research Program (HAARP)» ist ein Hochfrequenzsender zur Erforschung der Ionosphäre, der obersten Schicht der Erdatmosphäre. Die Forschungseinrichtung wurde vor August 2015 von der US-Air Force betrieben und anschliessend der Universität Alaskas übertragen.

Die Antennen senden im Bereich von drei bis zehn Megahertz, schreibt der ETH-Professor Philipp Kästli auf Anfrage von Keystone-SDA. Damit können keinen Erdbeben ausgelöst werden, dementiert der Dienstseismologe vom Schweizerischem Erdbebendienst.

Kurzwellenstrahlungen können kaum in die Erde eindringen, die maximale Untersuchungstiefe liege bei 10 bis 15 Metern. Hingegen können sich Bruchprozesse, welche zu einem Erdbeben führen, viele Kilometer tief in der Erde liegen. So lag das Hypozentrum beim Erdbeben am 23. November 2022 zwischen 10 und 11 Kilometer tief, schreibt Kästli.

Auch die im Video zu sehenden Lichter haben nichts mit der HAARP-Technologie zu tun. Prinzipiell könnte die HAARP-Technologie Lichter in der Ionosphäre, 100 bis 300 Kilometer über der Erde, verursachen. Doch diese seien so schwach, dass sie nicht sichtbar seien, erklärt der ETH-Professor.

Ursprung von Erdbebenlichter unklar

Wer sich den Videobeitrag von «Haber Global» anhört, erfährt, dass es sich um Aufnahmen einer Überwachungskamera in Bilecik handelt, welche die Lichter zum Zeitpunkt des Bebens aufnahm. Zudem erfährt der Zuschauer, dass Wissenschaftler die Lichter auf die Erdbewegungen in den Verwerfungen zurückführen. Die Bewegungen würden elektrische Eigenschaften der Mineralien verändern, was die Erdbebenlichter verursache.

Auch das Wissenschaftsmagazin «Nature» berichtet über eine Studie aus «Seismological Research Letters» über Erdbebenlichter, welche manchmal vor oder während der Beben gesichtet werden. Die Forscher kommen zum Schluss, dass das Phänomen mehrheitlich dort vorkommen, wo tektonische Platten auseinanderdriften und die geologischen Verwerfungen fast vertikal sind.

Tektonische Plattenverschiebungen erzeugen Druck auf das Gestein, welche sich in einem Erdbeben entlädt. Dabei brechen chemische Bindungen auf und erzeugen elektrische Ladungen. Gelangen diese an die Erdoberfläche und interagieren mit der Atmosphäre, erzeugen sie ein Leuchten, vermuten die Forscher. Erdbebenlichter sind also natürliche Phänomene. Über die Forschungsergebnisse wurde auch im deutschsprachigen Raum berichtet.

Einen wissenschaftlichen Konsens zu Erdbebenlichter gibt es allerdings nicht. Die Lichter während Erdbeben können auch andere Ursachen haben, und etwa durch die Beschädigung von Stromleitungen entstehen.

Philipp Kästli vom Schweizerischen Erdbebendienst schreibt, dass Erdbebenlichter offensichtlich nur bei einer Minderheit von Erdbeben zu beobachten seien. Die Lichter seien zudem nicht in 100 Kilometer Höhe oder höher in der Ionosphäre zu sehen. Um die Lichter überhaupt zu sehen, müssten die Beben nachts stattfinden. Bei kleineren Beben, wie sie in der Schweiz vorkommen, treten diese Lichter offensichtlich nicht auf, schreibt der ETH-Professor. Zumindest seien in den letzten 20 Jahren keine derartigen Lichter hierzulande dokumentiert worden.

Kein Zusammenhang mit der aktuellen Erdbebenkatastrophe

Obwohl sich das Video insbesondere seit Februar 2023 online verbreitet, hat es nichts mit der aktuellen Katastrophe zu tun. Das Erdbeben vom 6. Februar 2023 ereignete sich im Südosten im türkisch-syrischen Grenzgebiet in der Provinz Gaziantep. Mehr als 48 000 Tote sind bereits registriert worden, die Aufräumungsarbeiten dauern fort. Die Schweiz entsendete umgehend Experten der Rettungskette Schweiz für einen einwöchigen Einsatz in das Gebiet, welche Mitte Februar zurückkehrten.

(Stand: 23.2.2023)

Links

Facebook-Post (archiviert)

USGS: Annalen der Erdbebenregion Türkei (archiviert)

GEO: Erdbeben in der Türkei erklärt, 10.02.2023 (archiviert)

ESKP: Erdbebengebiet Türkei (archiviert)

Harber Global: Artikel mit der Videosequenz, 23.11.2022 (archiviert)

Harber Global: Video auf Youtube, 23.11.2022 (archiviert)

SRF: Artikel über Erdbeben in Düzce, 23.11.2022 (archiviert)

Reuters: Artikel über Erdbeben in Düzce, 23.11.2022 (archiviert)

BBC: Artikel über Erdbeben in Düzce, 23.11.2022 (archiviert)

Google Maps: Düzce (archiviert)

Universität Alaska: HAARP (archiviert)

NASA: Ionosphäre (archiviert)

USGS: Erdbebenlichter (archiviert)

Nature: Bericht über Studie zu Erdbebenlichter, 02.01.2014 (archiviert)

Seismological Research Letters: Studie über Erdbebenlichter, 2014 (archiviert)

Researchgate: Studie über Erdbebenlichter, Januar 2014

Spiegel: Forschungsergebnisse zu Erdbebenlichter, 06.01.2014 (archiviert)

NZZ: Neusten Entwicklungen zum Erdbeben in der Türkei vom 06.02.2023

Bundesrat: Einsatz für Rettungskette Schweiz in der Türkei beendet, 13.02.2023 (archiviert)

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