Rotes Kreuz dementiert

Video liefert keinen Beweis für Organhandel in Mariupol

24.06.2022, 15:24 (CEST)

Der Krieg in der Ukraine dauert an, ohne dass ein Ende in Sicht ist. Auch online geht der Kampf weiter, Kinder sind ein beliebtes Motiv. Doch ein angebliches Beweisvideo hält nicht, was es verspricht.

Organhandel ist illegal. Doch ausgerechnet das Internationale Komitee des Roten Kreuzes soll in der Ukraine Kinder mit «gesunden Organen» katalogisiert haben (archiviert). Angeblich haben russische Ermittler in der hart umkämpften Hafenstadt Mariupol diese Auflistung im Büro der Hilfsorganisation gefunden.

Bewertung

Der Vorwurf ist nicht haltbar. Dem Video, auf dem die Behauptung basiert, sind keine konkreten Beweise zu entnehmen, Krankenakten von ukrainischen Kindern sind nicht zu erkennen. Das Rote Kreuz dementiert, Organhandel zu betreiben.

Fakten

Der bei Facebook geteilte Artikel basiert auf einem auf Telegram verbreitetem Video. Nachdem die ukrainische Hafenstadt Mariupol von russischen Truppen eingenommen wurde, sei das dortige Büro des Roten Kreuzes (IKRK) untersucht worden, heißt es darin.

Die NGO ist seit 2014 in der Ukraine tätig und unterhielt ein Regionalbüro in Mariupol. In dem Telegram-Post werden die dortigen Aktivitäten in Frage gestellt. So seien angeblich Krankenakten von Kindern gefunden worden, welche deren Organe dokumentierten.

Weiter seien Anweisungen zum Gebrauch für Waffen gefunden worden sowie Berichte über Brutkästen, die in Laboren für mikrobiologische Kulturen eingesetzt worden seien. Der User schreibt dazu, dass die Dokumente zur Untersuchung Behörden der Volksrepublik Donezk (DNR) übergeben worden seien.

In dem beigefügten Video durchsuchen Männer chaotische Büroräume und unterhalten sich dabei auf Russisch. Die meisten Szenen sind unscharf, die Gespräche sind teilweise nicht verständlich. Es ist zwar die Rede von Krankenakten mit Daten von Kindern, Organe werden dabei jedoch nicht erwähnt. Und zum Zeitpunkt dieser Diskussion ist nichts zu sehen, was einen Beweis für die Existenz der angeblichen Listen liefern würde.

Rotes Kreuz dementiert

Die unbelegten Behauptungen wurden dennoch umgehend von verschiedenen Internetportalen aufgegriffen, auch in der Schweiz. In dem Artikel steht, dass das IKRK keine Stellung zu den Vorwürfen nehmen möchte (Stand: 24.6.2022).

Das ist falsch, das IKRK verbreitete am 31. Mai, einen Tag nach der Veröffentlichung des RT-Artikels, eine Stellungnahme und dementierte sämtliche Anschuldigungen. Den Vorwurf, am Organhandel beteiligt zu sein, weist die NGO zurück und beteuert, weder über Krankenakten von Kindern zu verfügen noch jemals derartige Aufzeichnungen gesammelt zu haben.

Das im Video zu sehenden Informationsmaterial ist öffentlich zugänglich. IKRK-Mitarbeiter klären damit Zivilisten über gefährliche und explosive Gegenstände auf.

Ab Minute 2:15 wird im Video über Inkubatoren gesprochen. Auch dazu nimmt das Rote Kreuz Stellung: In Absprache mit den Behörden seien Brutkästen an die Zivilbevölkerung verteilt worden, um Familien bei der Geflügelaufzucht zu unterstützen. Derartige Hilfsprogramme seien nicht unüblich in bewaffneten Konflikten wie im Donbass.

Der kanadische Geheimdienst warnte bereits Anfang April vor russischen Desinformationen über vermeintlichen Organhandel.

(Stand: 24.6.2022)

Links

Facebook-Post (archiviert)

Telegram-Post (archiviert) (Video archiviert)

Swissinfo: Fall von Mariupol, 21.4.2022 (archiviert)

IKRK: Statement des Roten Kreuzes zur Falschbehauptung, 31.5.2022 (archiviert)

IKRK: Ukrainisches Rotes Kreuz (archiviert)

IKRK: Vertretungen in der Ukraine, 14.8.2014 (archiviert)

IKRK: Broschüre über Kontamination durch Waffen (archiviert)

RT: Artikel mit Falschbehauptung, 30.5.2022 (archiviert)

News Punch: Artikel mit Falschbehauptung, 31.5.2022 (archiviert)

Uncut News: Artikel mit Falschbehauptung, 31.5.2022 (archiviert)

Telegra.ph: Artikel mit Falschbehauptung, 1.6.2022 (archiviert)

Kanadischer Geheimdienst: Tweet mit Warnung zur russischen Desinformation, 1.4.2022 (archiviert)

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