Meldungen in der EMA-Datenbank weisen lediglich auf Verdachtsfälle hin

02.08.2021, 11:55 (CEST), letztes Update: 09.08.2021, 16:39 (CEST)

Die EMA führt eine Datenbank mit den gemeldeten Verdachtsfällen von Nebenwirkungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer Corona-Impfung stehen. Etliche Falschinterpretationen dieser Meldungen kursieren in den sozialen Medien (archiviert). Europaweit gebe es über 562'000 gemeldete Nebenwirkungen und mehr als 9000 Todesfälle aufgrund der Covid-Impfung, heisst es zum Beispiel. Zudem wird behauptet, dass bei einer Infektionssterblichkeitsrate von 0,15 Prozent von der tödlichsten Pandemie des Jahrhunderts gesprochen werde. Definiert die Infektionssterblichkeitsrate tatsächlich eine Pandemie?

Bewertung

Obwohl die Anzahl der Meldungen für einen bestimmten Zeitpunkt stimmen mag, sagen diese nichts aus über Nebenwirkungen und Todesfälle. Ein direkter Zusammenhang mit der Impfung ist nicht belegt, es handelt sich um Verdachtsmeldungen. Zudem ist die Infektionssterblichkeitsrate ein weltweiter Schätzwert - sie definiert keine Pandemie.

Fakten

  • Behauptung 1: gemeldete Nebenwirkungen und Todesfälle

Die Daten sind wahrscheinlich dem Meldesystem EudraVigilance der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) entnommen. Ähnliche Zahlen wie im Facebook-Post kursierten bereits Mitte Juni 2021 auf mehreren Plattformen im Netz.

Dabei handelt es sich um gemeldete Fälle, bei denen ein Symptom im zeitlichen Zusammenhang mit einer Corona-Impfung beobachtet wurde. Diese Verdachtsfälle werden von den nationalen Arzneimittelbehörden oder den Pharmaunternehmen mit entsprechender Zulassung gemeldet. Aufgrund des Abkommens für den Informationsaustausch zwischen der EMA und der Schweiz werden auch die Daten aus der Schweiz aufgenommen.

Die in der Datenbank erfassten Meldungen zeigen lediglich Verdachtsfälle von Nebenwirkungen. Sie sind deshalb keine Bestätigung dafür, «dass eine gewisse unerwünschte Wirkung bei einem Patienten durch ein bestimmtes Arzneimittel ausgelöst wurde.» Dies schreibt die EMA in ihrer Anleitung zur Dateninterpretation. Der Verdacht bedeutet also nicht, dass der Impfstoff das beobachtete Symptom tatsächlich ausgelöst hat. Dazu sind weitere Daten und wissenschaftliche Untersuchungen notwendig.

Fazit: Die gemeldeten Todesfälle können folglich nicht automatisch auf die Covid-19-Impfung zurückgeführt werden. Das gilt auch für die Nebenwirkungen. Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic meldete Ende Juli 2021, der Nutzen der eingesetzten Vakzine übersteige das Risiko.

  • Behauptung 2: Infektionssterblichkeitsrate

Die Infektionssterblichkeitsrate (IFR) ist der Anteil der Todesfälle gemessen an allen infizierten Personen. Um die Rate exakt zu kennen, müssten alle Infektionsfälle und Todesfälle im Zusammenhang mit dieser Krankheit bekannt sein. Da es jedoch eine grosse Dunkelziffer bei den Covid-Infektionen gibt, basiert die IFR auf geschätzten Werten.

Der im Sharepic angegebene IFR-Wert von 0,15 Prozent entstammt wahrscheinlich der Studie «Reconciling estimates of global spread and infection fatality rates of COVID-19». Der im März 2021 erschienene Artikel folgert, dass mit den verfügbaren Daten der durchschnittliche globale IFR etwa bei 0,15 Prozent liege. Dies würde dem Stand vom 21. Februar 2021 entsprechen. Der Autor weist explizit darauf hin, dass die Datenbasis unsicher und der IRF-Wert je nach Kontinent und Land ganz anders sei. Der Wert sei mit Vorsicht zu interpretieren.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte am 24. Februar 2010 eine Pandemie wie folgt: Eine Pandemie ist eine weltweite Ausbreitung eines neuen Erregers, gegen welchen die meisten Menschen nicht immun sind. Weiter führt die WHO aus: Wenn ein grosser Teil der Bevölkerung infiziert ist, kann die Gesamtzahl der schweren Fälle recht gross sein - auch wenn der Anteil der Infizierten, die später eine schwere Krankheit entwickeln, gering ist.

Fazit: Der IFR-Wert ist ein globaler Schätzwert der Sterblichkeit. Er definiert keine Pandemie.

Die Daten aus Meldesystemen zur frühzeitigen Erfassung von seltenen Nebenwirkungen werden immer wieder falsch interpretiert. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) widerlegte mehrfach Falschinterpretationen der Daten aus der EMA-Datenbank, den Meldesystemen der USA sowie der britischen «Yellow Card»-Datenbank. Zur Infektionssterblichkeitsrate wurden ebenfalls Faktenchecks publiziert. Auch falsche Angaben zur Definition einer Pandemie wurden online bereits korrigiert.

(Stand: 30.7.2021)

Links

EudraVigilance (archiviert)

EMA-Anleitung zur Dateninterpretation (archiviert)

Hintergrund der Datenbank (archiviert)

Zusammenarbeit EMA–Schweiz (archiviert)

Swissmedic-Medienmitteilung (22.7.2015) (archiviert)

Update zur Sicherheit der Covid-Impfung (23.7.2021) (archiviert)

WHO-Schätzung der Sterblichkeit durch Covid-19 (4.8.2020) (archiviert)

WHO-Definition einer Pandemie (24.2.2010, archiviert)

Studie Meta-Research Innovation Center Stanford (26.3.2021) (archiviert, DOI)

dpa-Faktenchecks:

EMA-Verdachtsfälle (31.5.2021)

Zahl der Geimpften (29.6.2021)

Angebliche Todesfälle in den USA (9.7.2021)

Fehlgeburten (26.7.2021)

Wirksamkeit von Impfstoffen (20.7.2021)

Definition Pandemie (26.2.2021)

Facebook-Post (archiviert)

«Dans Alternative Information» (15.6.2021) (archiviert)

Telegram-Kanal (12.6.2021) (archiviert)

Tweet mit der Falschbehauptung (15.6.2021) (archiviert)

«Celle heute» (22.6.2021) (archiviert)

Kontakt zum Faktencheck-Team der dpa: factcheck-schweiz@dpa.com