Ausruf der ausserordentliche Lage im März 2020 erfolgte im Rahmen des Epidemiengesetzes

25.05.2021, 18:10 (CEST)

Hat der Bundesrat gegen das Epidemiengesetz (EpG) verstossen, als er im März 2020 die ausserordentliche Lage ausrief? In einem Facebook-Post (hier archiviert) wird genau dies behauptet: «Im März des letzten Jahres hat der Bundesrat, ohne seinen Beweispflichten nachzukommen, eine «ausserordentliche Lage» erklärt, Art. 6 und 7 des Epidemiengesetzes (EpG)». Zudem könne sich der Bundesrat nur in der «besonderen Lage» auf die WHO berufen, müsse aber auch dabei dies beweisen. Dieser Beweispflicht sei er auch im Mai 2020 bei der Änderung zur «besonderen Lage» nicht nachgekommen.

Bewertung

Der Bundesrat muss die gesetzlich und verfassungsrechtlich festgelegten Rahmenbedingungen beim Erlassen von Verordnungen einhalten. Der Bundesrat hat im Jahre 2020 bei der Ausrufung der ausserordentlichen sowie der besonderen Lage im Rahmen des Epidemiengesetzes sowie der Verfassung gehandelt.

Fakten

Im Jahre 2010 hat der Bundesrat eine Botschaft zur Revision des Epidemiengesetztes (EpG) verfasst. Aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen, der vermehrten Mobilität sowie der Zunahme medikamentenresistenter Krankheitserreger verbreiten sich übertragbaren Krankheiten schneller. Nach der Volksabstimmung im September 2013 trat das Gesetz im Jahre 2016 in Kraft und damit auch das dreistufige Modell der normalen, besonderen und ausserordentlichen Lage.

  • In der normalen Lage sind die Kantone für den Vollzug des EpG zuständig. Somit ist es auch Aufgabe der Kantone, Massnahmen zur Eindämmung der übertragbaren Krankheiten zu ergreifen.
  • Eine besondere Lage liegt vor, wenn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite feststellt. Dabei muss ebenfalls die öffentliche Gesundheit in der Schweiz gefährdet sein. Oder die Vollzugsorgane - also die Kantone - sind nicht in der Lage, geeignete Gegenmassnahmen zu ergreifen. Die Massnahmen werden in der besonderen Lage in Absprache zwischen Bundesrat und den Kantonen beschlossen. Die besondere Lage wird im Artikel 6 EpG geregelt.
  • Artikel 7 im EpG zur ausserordentlichen Lage ist eigentlich eine Wiederholung von Artikel 185, Abschnitt 3 in der Bundesverfassung. Dabei hat der Bundesrat die Befugnis, Massnahmen zu ergreifen, um die «eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen.» Die Verfassung schreibt aber auch vor, dass diese Verordnungen zu befristen seien. Die ausserordentliche Lage ist auf Gesetzesebene nicht eindeutig definiert und lehnt sich an die Verfassungsbestimmung an. Dies gibt dem Bundesrat den Spielraum, bei unvorhersehbaren, akuten schweren Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit adäquate Massnahmen effizient und fallspezifisch anzuordnen, auch wenn zu diesen Massnahmen gegebenenfalls keine Grundlage in einem Bundesgesetz bestehen.

Fazit: Die Kompetenzen, Massnahmen zur Eindämmung der übertragbaren Krankheit anzuordnen, verschieben sich in der ausserordentlichen Lage von den Kantonen zum Bund.

Aufgrund der Internationale Gesundheitsvorschriften (IGV) von 2005 ist der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) «zuständig für die Feststellung einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite». Bestimmte Kriterien, ebenfalls geregelt in der IGV, müssen bei der Festlegung einer solchen Notlage berücksichtigt werden. Ebenfalls muss der Generaldirektor der WHO dabei mit den Vertragsstaaten zusammenarbeiten. Am 30. Januar 2020 hat WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus den Ausbruch des Coronavirus zu einer «gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite» erklärt. Am 11. März 2020 hat die WHO Covid-19 als Pandemie eingestuft. Angesichts dessen sowie aufgrund der steigenden Covid-19 Fälle in der Schweiz hat der Bundesrat am 16. März 2020 die ausserordentliche Lage gemäss Epidemiengesetz erklärt.

Ende Mai 2020 beschloss der Bundesrat, die ausserordentliche Lage am 19. Juni 2020 zu beenden, welche gemäss Gesetz zu befristen ist. Da die WHO Covid-19 weiterhin als Pandemie einstufte und die epidemiologische Entwicklung in der Schweiz zwar positiv war, die Gefahr der öffentlichen Gesundheit aber nach wie vor bestand, stufte der Bundesrat die Lage von der ausserordentlichen zur besonderen ab.

Beim Erlassen von Verordnungen muss der Bundesrat die Kriterien einhalten, welche in den Gesetzen und der Verfassung vorgeschrieben sind, erklärt Rechtsanwältin Claudia Schoch gegenüber Keystone-SDA. «Eine gerichtliche Überprüfung ist hier nur möglich, falls die Verordnung oder Massnahmen den gesetzlich abgesteckten Rahmen klar missachten. Weiter geht die Überprüfung von Verfügungen, die sich auf bundesrätliche Verordnungen stützen, welche unmittelbar und allein die Verfassung zur Grundlage haben». Der Bundesrat sei zunächst dem Parlament und seinen Kommissionen gegenüber verantwortlich, sagte Schoch.

Sämtliche Beschwerden gegen Covid-Massnahmen wurden bis jetzt durch das Bundesverwaltungsgericht oder Bundesgericht entweder abgewiesen oder die Richter sind nicht auf die Beschwerde eingetreten.

Links

Facebook-Post (Januar 2021) (archiviert: https://archive.ph/mIHkn)

Epidemiengesetz (archiviert: https://archive.ph/CmyOJ)

Bundesverfassung (archiviert: https://archive.ph/cu2Yy)

IGV (archiviert: https://archive.ph/nen9Q)

Botschaft EpG Dezember 2010 (Download) (archiviert: http://dpaq.de/aBzc6)

Chronologie Revision EpG (archiviert: https://archive.ph/Qlc2t)

Volksabstimmung EpG 22.9.2013 (archiviert: https://archive.ph/JyJG2)

Bericht «Analyse besondere Lage gemäss EpG: Aufgaben, Zuständigkeiten und Kompetenzen des Bundes» (Download) (archiviert: http://dpaq.de/h0MiX)

BAG Information zum neuen Epidemiegesetz von 2013 (Download)b (archiviert: http://dpaq.de/wvBhu)

BAG Faktenblatt normale / besondere / ausserordentliche Lage (archiviert: http://dpaq.de/zhJpH)

WHO ruft Gesundheitliche Notlage aus (archiviert: http://dpaq.de/i1fRh)

WHO erklärt Corona als Pandemie (archiviert: http://dpaq.de/e83ch)

Statistik zu Covid-19 in der Schweiz (archiviert: http://dpaq.de/P7Qal)

Bundeserat zur Bestimmung ausserordentlichen Lage (16.03.2020) (archiviert: http://dpaq.de/NyJ9L)

Bundesrat zur Bestimmung besonderen Lage (27.05.2020) (archiviert: https://archive.ph/k37g1)

Urteil Bundesverwaltungsgericht (archiviert: https://archive.ph/D6DwU)

Urteil Bundesgericht (archiviert: https://archive.ph/KNOs3)

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: factcheck-schweiz@dpa.com