Finanz-Jargon missverstanden

Schuldenplan statt «Corona-Notstand» in Sachsen-Anhalt

24.10.2024, 21:42 (CEST)

In Sachsen-Anhalt wird angeblich wieder ein Corona-Notstand ausgerufen. Und wieder einmal stecken dahinter finstere Motive der Regierenden – das wird jedenfalls in sozialen Netzwerken behauptet.

Die CDU will in Sachsen-Anhalt angeblich den «Corona-Notstand» ausrufen und mit «Notstandsgesetzen» die Bevölkerung gängeln. Damit solle die «kriminelle Politik der CDU-Regierung» gedeckt werden, heißt es in einem Video. Verbreitet wird es in einem Facebook-Post aus Luxemburg mit den Worten «Corona – Jetzt dreht CDU komplett durch!» und dem Foto des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz.

Bewertung

Vor allem Behauptungen über geplante «Notstandsgesetze» sind falsch, andere Aspekte eines Antrags der Landesregierung werden aus dem Zusammenhang gerissen.

Fakten

Der Facebook-Beitrag verlinkt zu einem rund 9 Minuten langen Video bei YouTube, in dem verschiedene inkorrekte Behauptungen verbreitet werden. Der CDU-Chef Merz hat übrigens damit nichts zu tun, er taucht auch im gesamten Video nicht auf.

«Die CDU will allen Ernstes jetzt einen neuen Corona-Notstand ausrufen», behauptet der Sprecher. Auch im weiteren Verlauf des Videos wird immer wieder von einem «Corona-Notstand» gesprochen, obwohl es um eine «außergewöhnliche Notsituation» geht, die nach Ansicht der CDU-geführten Landesregierung von Sachsen-Anhalt aufgrund der Corona-Pandemie auch 2025 weiterhin gelten soll.

Sprecher verwechselt «Notsituation» mit «Notstand»

Die «außergewöhnliche Notsituation, die sich der Kontrolle des Landes entzieht», ist ein juristischer Begriff, mit dem in der Finanz- und Haushaltsplanung gearbeitet wird. Beim Begriff «Corona-Notstand» hingegen, der in dem Video ständig benutzt wird, geht es um Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie.

Der Sprecher in dem Video vermischt diese beiden Begriffe. «Wir schreiben das Jahr 2024, fast schon 2025, und die Corona-Pandemie ist eigentlich schon lange vorbei», sagt er (1:58). Selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe ja bestätigt, «dass eigentlich alles vorbei ist» (2:44).

«Aber trotzdem», behauptet der Sprecher, «will die CDU-Regierung in Sachsen-Anhalt jetzt allen Ernstes erneut den Corona-Notstand ausrufen und dann mit den Notstandsgesetzen wieder die heftigsten Einschränkungen und Maßnahmen für die Bevölkerung erlassen.»

Angeblicher Plan für Notstand ist erfunden

Das ist falsch. Es gibt keinen Plan, den «Corona-Notstand» auszurufen und mit Notstandsgesetzen Einschränkungen und Maßnahmen für die Bevölkerung zu erlassen. Diese Behauptung ist pure Fantasie. Sie wird auch durch diese Wiederholung nicht richtig: «Statt zurückzutreten (…) will man einfach einen neuen Notstand ausrufen, um dann weiter mit Notstandsgesetzen zu regieren.»

Zutreffend ist hingegen, dass die von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) geführte Landesregierung dem Landtag am 15. Oktober 2024 im Rahmen der Beratungen über den Landeshaushalt für das kommende Jahr einen Antrag zur «Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation nach § 18 Abs. 5 LHO für das Jahr 2025» vorgelegt hat. Dieser Antrag hat mit «Notstandsgesetzen», «heftigsten Einschränkungen» und «Maßnahmen» nichts zu tun.

Er bezieht sich auf die Landeshaushaltsordnung von Sachsen-Anhalt, in der festgelegt ist, dass die Schuldenbremse nur in einer «außergewöhnlichen Notsituation», die sich der Kontrolle des Landes entzieht, mit neuer Kreditaufnahme umgangen werden kann.

Praktisch wortgleiche Gesetze gelten in allen anderen deutschen Bundesländern und auch im Bund. Sie alle verwenden den Begriff der «außergewöhnlichen Notsituation». Dieser wurde auf Bundesebene auch mit Bezug auf die Ukraine-Krise oder im Saarland wegen der Herausforderungen infolge des Strukturwandels in der Stahl- und Autoindustrie verwendet. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags hat das Funktionieren und die Problematik der Schuldenbremse eingehend erläutert.

Land darf in «Notsituation» mehr Schulden machen

Im Fall von Sachsen-Anhalt ermöglichte die Erklärung der «außergewöhnlichen Notsituation» die Aufnahme von rund zwei Milliarden Euro zusätzlicher Schulden. Die Regierung argumentierte jetzt, die mit der Corona-Pandemie entstandene außergewöhnliche Notsituation bestehe nach wie vor fort.

Die nach Ausbruch der Pandemie ergriffenen Maßnahmen zur Stärkung der «Pandemieresilienz» des Landes seien noch nicht abgeschlossen, heißt es in dem Antrag. Sie erforderten einen Mitteleinsatz, der die Finanzlage des Landes erheblich beeinträchtige. 39 Maßnahmen befänden sich noch in der Umsetzung. Dabei gehe es um die Stärkung des Gesundheitswesens, aber auch beispielsweise um einen Neubau für das Landesamt für Verbraucherschutz.

Diese Argumentation der Regierung ist durchaus umstritten. Bei einer Landtagssitzung am 23. Oktober 2024 wurde der Antrag über die außergewöhnliche Notsituation zwar an den Finanzausschuss überwiesen, gleichzeitig aber auch kritisiert.

Einem Sitzungsbericht zufolge bezeichnete der Abgeordnete Jan Moldenhauer (AfD) die erneute Erklärung der Notsituation als «Versündigung an zukünftigen Generationen». Der verzögerte Beginn der Schuldentilgung führe zu immer höheren Schulden. Die Abgeordnete Katja Pähle (SPD) forderte daher eine grundlegende Änderung der Schuldenbremse.

Es geht um eine Ausnahme von der Schuldenbremse

Der Landesrechnungshof hatte im Juli 2024 in seinem Jahresbericht für das vorherige Jahr kritisiert, dass seit 2020 «Jahr für Jahr die Notlage beschlossen» werde, um entsprechend Kredite aufnehmen zu können: «Damit wird die Schuldenbremse dauerhaft ausgehöhlt und Ausgaben, die aus dem Kernhaushalt finanziert werden müssten, in Schattenhaushalte verlagert.»

Das Video erwähnt die Begründung für die «außergewöhnliche Notsituation» im Zusammenhang mit der Schuldenbremse und bezieht sich dabei auf das Video eines AfD-Landtagsabgeordneten. Zugleich skandalisiert der Sprecher die Begründung: «Wenn ihr denkt, der CDU-Politiker will diesen Notstand jetzt ausrufen, weil er Angst um die Gesundheit seiner Bevölkerung in Sachsen-Anhalt hat, dann habt ihr euch geirrt» (4:32). Das Land Sachsen-Anhalt sei «pleite durch die miese Misswirtschaft von dem CDU-Ministerpräsidenten», behauptet der Sprecher ohne dafür Beweise vorzulegen.

Zusammenfassend gesagt: Es geht nicht um einen Notstand, der wegen Gefahren für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger ausgerufen werden soll. Es geht auch nicht um Beschränkungen der Freiheit oder um die Einführung von Notstandsgesetzen. Es geht vielmehr um die Begründung einer Ausnahme von der Schuldenbremse bei der Haushaltsplanung des Landes Sachsen-Anhalt. Diese Zusammenhänge werden in dem Video nicht oder falsch dargestellt.

(Stand: 24.10.2024)

Links

Facebook Post (archiviert)

Video (archiviert)

Antrag der Landesregierung (archiviert)

Landeshaushaltsordnung (archiviert)

Wissenschaftlicher Dienst Bundestag (archiviert)

Sitzungsbericht Landtagssitzung (archiviert)

Landesrechnungshof zur Schuldenbremse (archiviert)

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