Zitat erfunden

Borrell: «In unserem eigenen Interesse» Ukraine unterstützen

4.10.2024, 16:15 (CEST), letztes Update: 4.10.2024, 16:22 (CEST)

Man kann Zitate erfinden, richtige Aussagen mit Auslassungen zu falschen machen oder einfach verkehrt übersetzen. Man kann auch das alles in einem einzigen Post in sozialen Netzwerken tun.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat angeblich gesagt, dass die EU die Ukrainer im Krieg gegen Russland unterstützt, weil sie die globalen Interessen der USA schützen muss.

Ein Facebook-Post aus Luxemburg verbreitet nach der Behauptung «EU-Außenminister Borell (sic) enthüllte die Wahrheit» folgendes angebliches Zitat des EU-Außenbeauftragten: «Wir können Russland nicht gewinnen lassen, nicht, weil wir das ukrainische Volk lieben oder weil uns die Freiheit der Ukraine am Herzen liegt, sondern weil ein globaler Akteur wie die USA in der Region Interessen hat, die wir schützen müssen.» Diese Äußerung ist, wie bei wörtlichen Zitaten üblich, in An- und Abführungszeichen gesetzt.

Bewertung

Borrell hat das nie gesagt. Seine Aussagen in einem CNN-Interview wurden in dem Post verkehrt übersetzt, sinnentstellend verkürzt und mit erfundenen Passagen ergänzt.

Fakten

Als Beweis verlinkt der Post zu einem 29 Sekunden langen Video-Ausschnitt aus einem in englischer Sprache geführten Interview des US-Nachrichtensenders CNN. Dort sind die Worte Borrells am unteren Bildrand mit einer deutschen Übersetzung versehen.

Holprige Untertitel

Dieser Übersetzung zufolge sagte der EU-Außenbeauftragte: «Wir können Russland in dieser Krise nicht gewinnen lassen. Sonst werden die Interessen der USA und der Europäischen Union zerstört. Es geht nicht nur um Großzügigkeit. Es geht auch nicht darum, die Ukraine zu unterstützen, weil wir die ukrainischen Leute lieben. Es geht um unsere eigenen Interessen, es geht auch um die Interessen der USA als globaler Spieler. Jemand, der als vertrauenswürdiger Partner als Sicherheitsanbieter der Allianzen wahrgenommen werden muss.»

Diese etwas holprige Untertitel-Übersetzung unterscheidet sich von dem Zitat in dem Facebook-Post bereits dadurch, dass hier Borrells Formulierung enthalten ist, wonach es bei der Unterstützung der Ukraine um die eigenen Interessen Europas und «auch» um die Interessen der USA gehe.

Irreführende Übersetzung

Tatsächlich ist diese Übersetzung aber unvollständig und irreführend. Sie erweckt den Eindruck, als unterstütze Europa die Ukraine, um die Interessen der USA zu wahren. In Wirklichkeit hatte Borrell jedoch die USA aufgefordert, mehr für die Wahrung der eigenen amerikanischen Interessen zu tun. Dies wird klar, wenn man sich das vollständige Zitat aus dem Interview anschaut.

Das zehnminütige Interview wurde von der CNN-Journalistin Christiane Amanpour geführt und am 25. März 2024 gesendet. Zu diesem Zeitpunkt war die US-Militärhilfe für die Ukraine wegen eines Streits zwischen Republikanern und Demokraten im Kongress noch blockiert. Deswegen drängten vor allem die Europäer die US-Politiker dazu, möglichst rasch die auf Eis gelegten Gelder freizugeben. Dies geschah schließlich am 23. April 2024, als der Kongress ein Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von insgesamt 61 Milliarden US-Dollar beschloss.

Bei dem Interview im März wurde Borrell daher gefragt, ob er bei einem Besuch in den USA Zusagen erhalten habe, dass die USA die Blockade der Ukraine-Hilfe aufgeben würden. Seine Antwort kann auch auf einer Abschrift des Interviews nachgelesen werden.

«Wissen Sie, die USA haben ein ureigenes Interesse daran, die Ukraine zu unterstützen», sagte Borrell (ab 3:33). Er fügte hinzu: «Andernfalls würden sie Russland einen Freifahrtschein erteilen, und wir wissen, dass wenn wir Russland einen Freifahrtschein geben - denken Sie an die Krim, denken Sie an Syrien, wenn man nicht Engagement und Stärke und echten Willen zur Unterstützung der Ukraine zeigt – wir können es uns nicht leisten, dass Russland diesen Krieg gewinnt, denn sonst werden die Interessen der USA und Europas großen Schaden nehmen. Es geht nicht um Großzügigkeit allein, es geht nicht darum, die Ukraine zu unterstützen, weil wir das ukrainische Volk lieben, es ist in unserem eigenen Interesse. Es liegt auch im Interesse der USA als globaler Akteur, als jemand, der als zuverlässiger Partner und Sicherheitsanbieter für die Verbündeten wahrgenommen werden muss. Deshalb fordern wir die USA auf, sich zu öffnen und den Nachtragshaushalt zu beschließen.»

Erfundene Passagen

Nirgendwo findet sich eine Äußerung, wonach die EU die Ukraine unterstützen müsse, um US-amerikanische Interessen zu schützen. Diese Aussage in dem angeblichen Zitat ist schlicht erfunden.

Vor der Freigabe der US-Hilfe von Ende April haben Politiker immer wieder die Regierung in Washington gedrängt, die Gelder nicht länger zurückzuhalten. So sagte die EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen in einer Rede vor dem Europaparlament am 28. Februar 2024: «Letztlich geht es darum, dass Europa die Verantwortung für seine eigene Sicherheit übernimmt. Die einfache Wahrheit ist: Wir haben nicht den Luxus der Bequemlichkeit.» Und weiter: «Ob mit oder ohne Unterstützung unserer Partner, wir können Russland nicht gewinnen lassen. Und die Kosten der Unsicherheit - die Kosten eines russischen Sieges - sind weitaus höher als alle Einsparungen, die wir jetzt vornehmen könnten. Deshalb ist es an der Zeit, dass Europa aktiv wird.» Entsprechend betont auch Borrell das europäische Interesse.

(Stand 04.10.2024)

Links

Über Josep Borrell, archiviert

Facebook-Post, archiviert

Video-Ausschnitt, archiviert

CNN-Interview, archiviert

Abschrift CNN-Interview, archiviert

Rede von der Leyen, archiviert

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