Behauptung ohne Grundlage
Wissenschaftler halten Klimawirkung von Atomtests für klein
16.2.2024, 15:25 (CET)
In sozialen Medien wird behauptet, mehr als 2100 Atombombentests seit 1945 verseuchten die Atmosphäre. Es gebe einen von Menschen gemachten nuklearen Klimawandel. Ein in Luxemburg verbreiteter Facebook-Post teilt ein entsprechendes Video, das von der Webseite kla.tv des schweizerischen Onlinesenders Klagemauer.tv erstellt wurde.
Bewertung
Atomwaffenversuche haben zahlreiche negative Auswirkungen gehabt, auch auf die Erdatmosphäre. Die Behauptung, sie seien ein wichtiger Grund für den Klimawandel, ist jedoch nicht bewiesen.
Fakten
In der Video-Beschreibung wird von «nuklearen Klimakillern» gesprochen und behauptet: «Seit 1945 gab es weit über 2000 atomare Explosionen - na, wenn das kein Klimakiller ist!» In dem Video heißt es dann: «Über 2100 Atombombentests seit 1945 verseuchen die Atmosphäre. Zusammengenommen hatten schon alleine 520 dieser nuklearen Explosionen einen Detonationswert, der 45 000 mal stärker war als die Wucht der einen Atombombe in Hiroshima.»
In dieser Rechnung fehlten «noch mindestens 1680 weitere entdeckte nukleare Explosionen plus Dunkelziffer». Weiter wird behauptet: «Hiroshima dürfte damit über 100 000 mal wiederholt worden sein. Wie krank ist das eigentlich? Und gleichzeitig nimmt man unseren Bauern gerade die Kühe weg, weil die angeblich zu viel furzen.»
Dieser Text ist im Wesentlichen identisch mit einer Passage in einem Artikel mit dem Titel «Updates für Greta» und «Die wahren Klimakiller» auf der Webseite von kla.tv. In diesem Artikel wirft der Laienprediger und kla.tv-Gründer Ivo Sasek «Klima-Kriminellen» und «Krisen-Machern» vor, das Wetter zu manipulieren.
Oberirdische Atomtests wurden 1963 verboten
Zutreffend ist, dass es seit 1945 nach Angaben der auf dieses Thema spezialisierten australischen Geowissenschaftler (Geoscience Australia) 518 sogenannte atmosphärische - also oberirdische - Atomwaffentests gegeben hat. Diese oberirdischen Tests wurden durch einen entsprechenden Vertrag von 1963 verboten.
Seither gab es keine atmosphärischen Tests mehr seitens der USA, der Sowjetunion und Großbritanniens. Frankreich stellte diese Tests 1974 ein, China erst 1980. Mit dem Stopp der oberirdischen Tests wurde die drastische Zunahme von Radioaktivität in der Erdatmosphäre gestoppt. Sie nahm in den folgenden Jahrzehnten ständig ab.
Die oberirdischen Tests machten nur etwa ein Viertel aller Atomwaffentests aus. Die große Mehrzahl der Tests wurde unterirdisch durchgeführt, um das Entweichen von Radioaktivität zu vermeiden. Die australischen Geo-Wissenschaftler zählten insgesamt 1643 unterirdische Tests, sodass sie von einer Gesamtzahl von 2161 Atomexplosionen ausgehen.
Die letzten unterirdischen Tests von Frankreich, den USA und der Sowjetunion fanden zwischen 1990 und 1992 statt. Danach gab es noch einige wenige unterirdische Tests von China, Indien, Pakistan und zuletzt Nordkorea (2017). Die Zahlen variieren in unterschiedlichen Publikationen aufgrund von Definitionsunterschieden, die Größenordnungen sind jedoch unstreitig.
Atomwaffentests lösten gesundheitliche Schäden aus
Kein Zweifel besteht daran, dass die atmosphärischen Atomwaffentests wegen der Freisetzung von radioaktivem Material für vielerlei schwere Gesundheits- und Umweltschäden verantwortlich sind. Tatsächlich ist aber seit dem Ende der oberirdischen Tests von 1963 die radioaktive Belastung der Atmosphäre und vor allem der Meere stetig zurückgegangen.
Auf starken Widerspruch trifft jedoch die Behauptung, dass die vor mehr als drei Jahrzehnten gestoppten unterirdischen Atomwaffentests «Klimakiller» seien, also Auslöser oder zumindest Verstärker der globalen Erwärmung. Die US-Webseite «skepticalscience.com», die seit Jahren mit wissenschaftlichen Argumenten den Leugnern des menschengemachten Klimawandels entgegentritt, rechnete vor, dass die gesamten Atomexplosionen des 20. Jahrhunderts mit einem TNT-Äquivalent von (großzügig geschätzten) 600 Megatonnen nur ein Zehntausendstel der Energie erzeugten, die innerhalb eines Jahres als sogenannter Strahlungsantrieb vom CO2-Anstieg hinzugefügt wurde.
Wissenschaftler errechneten nur minimale Klimawirkung
Bei einer Reihe von Atomtests sei eine größere Menge von Staub entstanden, die wiederum zur Abkühlung der Erde beigetragen habe. Atomtests seien also eher ein «Abkühlungsfaktor» gewesen. Aber selbst wenn man nicht mit einem solchen Effekt kalkuliere, könnten 1962 - dem Höhepunkt der atmosphärischen Atomtests - die Atomexplosionen die Erdoberfläche lediglich im Ausmaß von 35 Millionstel eines Grades Celsius erwärmt haben. «Zu wenig, um es wahrzunehmen», heißt es.
Dies bedeutet nicht, dass die atmosphärischen Atomtests keinerlei klimatische Auswirkungen gehabt hätten. So hatte der britische Physiker Giles Harrison (University Reading) im Mai 2020 berichtet, dass es in den 50er- und frühen 60er-Jahren eine Veränderung der Regenfälle im Zusammenhang mit gestiegener Radioaktivität in der Atmosphäre gegeben habe.
Der US-Chemieingenieur Clay Hansen ist einer der Wenigen, die behaupten, die unterirdischen Atomversuche seien der wesentliche Grund für die globale Erwärmung gewesen. Er stützt sich dabei auf statistische Daten und ist überzeugt, große Mengen von Wärme könnten auch über große Entfernungen durch Gesteinsmassen ins Meer geraten sein. Ein im Januar 2023 erschienenes 17-seitiges Papier von ihm ist allerdings bisher von keinem anderen Experten einer sogenannten Peer Review unterzogen worden.
(Stand: 16.02.2024)
Links
Geoscience Australia, archiviert
Bericht Gesundheits- und Umweltschäden, archiviert
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