Falscher Plan

EU verhandelt über völlig andere Führerscheinregeln

19.01.2024, 21:15 (CET)

Angebliche EU-Pläne für weltfremde Vorschriften lösen in sozialen Netzwerken immer wieder Empörung aus. Bei näherem Hinsehen gibt es dann aber oft gar keinen Grund zur Aufregung.

Tempolimit für Fahranfänger? Dazu ein Nachtfahrverbot? Und ein besonderer Führerschein für Fahrzeuge über 1,8 Tonnen? In sozialen Netzwerken wird behauptet, die EU wolle neue Regeln für Führerschein-Neulinge einführen und zugleich die Gültigkeit von Fahrerlaubnissen für ältere Menschen drastisch verkürzen.

Bewertung

Diese Behauptungen sind falsch. Die angeblichen EU-Pläne mit den geschilderten Verschärfungen gibt es nicht.

Fakten

Richtig ist, dass derzeit in der EU zwischen den drei Institutionen (Kommission, Parlament und Ministerrat) über eine neue Führerschein-Richtlinie diskutiert wird. Die EU-Kommission hatte dazu am 1. März 2023 einen Vorschlag vorgelegt. Darüber gibt es derzeit noch keine Einigung. Mit den Behauptungen aus dem Video in den sozialen Netzwerken hat der Vorschlag inhaltlich überhaupt nichts zu tun.

In dem 1:43 Minuten kurzen Film, der etwa in einem Facebook-Post aus Luxemburg geteilt wird, verbreitet der Sprecher eine Reihe falscher Behauptungen über die angeblichen EU-Pläne. Das Video wird mit den Worten «Teuropa wird immer bescheuerter» kommentiert.

In dem am 18. Januar 2024 hochgeladenen Video wird behauptet, die EU plane «mit dem nächsten Hammer» eine Vereinheitlichung der Führerscheine und eine drastische Verschärfung der Vorschriften. Davon seien Fahranfänger und alte Menschen am meisten betroffen.

Gleich mehrere falsche Behauptungen

Für die Fahranfänger werde es «besonders schlimm». Diese durften (ab 0:18) nur noch mit einem Tempolimit von 90 Kilometern pro Stunde auf Landstraßen und Autobahnen fahren. Nachts dürften sie wegen «der angeblich erhöhten Unfallquote» überhaupt nicht mehr fahren. Für Fahrzeuge mit mehr als 1,8 Tonnen Gewicht benötige man einen Extraführerschein. Deshalb könne man dann mit dem normalen Autoführerschein der Klasse B kein SUV mehr fahren.

Bei den Senioren (ab 1:05) sei der Führerschein den EU Plänen zufolge ab dem 60. Lebensjahr nur noch sieben Jahre gültig, ab dem 70. Lebensjahr nur noch fünf Jahre und ab 80 nur noch zwei Jahre. Danach müsse der Führerschein auf eigene Kosten mit umfassenden medizinischen und psychologischen Untersuchungen erneuert werden.

Ein Entwurf, der nie beschlossen wurde

Die Behauptungen in dem Video sind vor allem deswegen falsch, weil die dort geschilderten Ideen zu keinem Zeitpunkt Teil irgendeines Plans irgendeiner EU-Institution gewesen sind. Zutreffend ist lediglich, dass diese Ideen in einem Entwurf für einen Bericht des Verkehrsausschusses des Europaparlamentes enthalten waren. Sie trafen jedoch auf so viel Widerstand, dass sie dort gar nicht beschlossen wurden.

Der Entwurf für die Stellungnahme des Verkehrsausschusses war am 19.7.2023 von der Berichterstatterin, der französischen Abgeordneten Karima Delli (Grüne), vorgelegt worden. Der vom Ausschuss angenommene Bericht - wohlgemerkt: ohne die in dem Video erwähnten angeblichen EU-Pläne - wurde dann am 20.12.2023 vorgelegt. Diese Daten sind deswegen bemerkenswert, weil das fragliche Video mit den falschen Behauptungen erst einen Monat später veröffentlicht wurde.

Die Ablehnung der ersten Ideen von Karima Delli im Verkehrsausschuss des Parlamentes war sogar schon am 7.12.2023 bekannt, als der Ausschuss über die einzelnen Punkte abstimmte und der eigenen Berichterstatterin damit eine deutliche Niederlage bereitete.

Verhandlungen über Richtlinie laufen noch

Zuvor hatten am 4. Dezember die EU-Verkehrsminister die Haltung der Regierungen in dieser Frage festgelegt. Der EU-Verkehrsministerrat sprach sich dafür aus, dass Führerscheine künftig alle 10 bis 15 Jahre verlängert werden müssen und dass dafür eine Selbstauskunft über den eigenen Gesundheitszustand verlangt werden soll.

Der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) konnte sich mit seinem Widerstand gegen eine solche Selbstauskunft nicht durchsetzen. Ob auch eine ärztliche Untersuchung vorgeschrieben wird, soll von den nationalen Regierungen und Parlamenten entschieden werden. Eine Verpflichtung dafür gibt es nicht.

Der Verkehrsausschuss des EU-Parlamentes hatte sich in seiner Stellungnahme zu dem Kommissionsvorschlag hingegen für eine verpflichtende medizinische Untersuchung alle 15 Jahre bei der Erneuerung des Führerscheins ausgesprochen.

Parlament und Ministerrat müssen nun in gemeinsamen Verhandlungen unter Einbeziehung der EU-Kommission einen Kompromiss finden. Die Verhandlungen über eine neue Richtlinie sollen auf jeden Fall noch vor der Europawahl vom Juni 2024 abgeschlossen sein.

(Stand 19.01.2024)

Links

Facebook-Post, archiviert

Video, archiviert

Vorschlag EU-Kommission , archiviert

Entwurf Bericht Verkehrsausschuss EU-Parlament, archiviert

Bericht Verkehrsaussschuss EU-Parlament, archiviert

Position EU-Verkehrsminister, archiviert

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