Falschbehauptung zur WHO
Entwurf für neuen Pandemievertrag betont Souveränität
17.1.2024, 21:11 (CET), letztes Update: 4.3.2024, 15:14 (CET)
In sozialen Netzwerken wird behauptet, künftig werde die WHO die totale Kontrolle über die Menschen haben. Die WHO dürfe in Zukunft dank eines neuen Pandemievertrags die Bewegungsfreiheit der Menschen einschränken und beispielsweise Impfzwänge einführen.
Bewertung
Diese Behauptungen sind falsch. Der Entwurf für den Pandemievertrag sieht keine solche Machtverschiebung vor.
Fakten
In einem Facebook-Post aus Luxemburg wird ein Tiktok-Video verbreitet. Darin behauptet der deutsche Finanzunternehmer Philip Hopf (0:28), mit dem Pandemievertrag solle der WHO «totale Kontrolle, totale Macht übergeben werden, weg von der Souveränität der Staaten hin zu einer Totalkontrolle, also zu einer totalitären Macht der Weltgesundheitsorganisation in Pandemiefragen».
Er behauptet auch (0:44), die WHO solle «in Zukunft selbstständig, über die Köpfe der Regierungen hinweg, entscheiden können, ob es eine Pandemie gibt, wo diese Pandemie ist». Und laut Hopf kommt es (ab 1:04) noch schlimmer: «Sie (die WHO) kann Ausgangssperren weltweit verhängen, sie kann Pandemien ausrufen und Bewegungsfreiheiten einschränken. Sie kann Impfzwänge einführen, ohne die man sich sonst nicht mehr bewegen darf. Das ist de facto eine totale Machtverschiebung hin zu einer Weltregierung in Form der WHO.»
Vertragsentwurf betont Souveränität der Staaten
Richtig ist, dass die 194 Mitgliedstaaten der WHO eingedenk der Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie seit Anfang 2022 über einen Vorentwurf («Zero Draft») für einen neuen Pandemievertrag beraten. Diese Beratungen finden derzeit noch in einem speziellen Verhandlungsgremium (Intergovernmental Negotiating Body INB) statt. Das Ergebnis soll der Weltgesundheitsversammlung, in der alle Mitgliedsländer vertreten sind, im Mai 2024 vorgelegt werden. Mitte Januar 2024 gibt es noch keinen endgültigen Vorschlagstext.
Im Gegensatz zu der Behauptung in dem Video unterstreicht der bisher vorliegende Entwurf gleich an drei Stellen die Souveränität der Mitgliedstaaten in allen Fragen der öffentlichen Gesundheit.
Schon im ersten Satz des Papiers wird der «Grundsatz der Souveränität der Vertragsstaaten bei der Behandlung von Fragen der öffentlichen Gesundheit, insbesondere Pandemieprävention, Bereitschaft, Reaktion und Wiederherstellung der Gesundheitssysteme» betont. In Artikel 4 wird das souveräne Recht der Mitgliedstaaten, «ihren Umgang mit der öffentlichen Gesundheit zu bestimmen und zu verwalten» unterstrichen. In diesem Zusammenhang wird außerdem betont: «Souveränität umfasst auch die Rechte der Staaten über ihre biologischen Ressourcen.»
Bedingungen werden noch diskutiert
Auch die Behauptung, die Weltgesundheitsorganisation könne künftig «über die Köpfe der Regierungen hinweg» entscheiden, ob und wo es eine Pandemie gebe, ist weder neu noch richtig.
In Artikel 15 des Vorentwurfes heißt es zwar, der WHO-Generaldirektor könne «in Übereinstimmung mit den festgelegten Bedingungen Pandemien ausrufen». In einer Fußnote zu dieser Textpassage heißt es jedoch, das Verhandlungsgremium INB müsse dies noch diskutieren. Dabei geht es um die Frage der Erklärung einer Pandemie durch den WHO-Generaldirektor sowie die Bedingungen für eine solche Erklärung auch im Zusammenhang mit den internationalen Gesundheitsvorschriften und anderen Mechanismen und Instrumenten.
Das bedeutet mit allergrößter Wahrscheinlichkeit: Im abschließenden Text - der erst noch beschlossen werden muss - wird die Ausrufung der Pandemie durch den Generaldirektor an eine Reihe von Bedingungen gebunden sein.
Die Behauptung, die WHO könne künftig Ausgangssperren verhängen oder einen Impfzwang anordnen, hat ebenfalls nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Der Vorentwurf für den Pandemievertrag enthält keinerlei derartige Ermächtigungen.
Juristen sehen Grundrechte gewahrt
Auch in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom Oktober 2023 heißt es, der Pandemievertrag enthalte keine Grundrechtseinschränkungen. Die WHO sei keine globale Gesundheitspolizei: «Potenzielle Grundrechtseingriffe wären allein die Folge eines souveränen staatlichen Handelns.»
Der neue Vertrag solle die Grundrechte «gerade nicht einschränken, sondern verfolgt vielmehr das Ziel einer Stärkung der menschenrechtlichen Grundlagen in der globalen Gesundheitsfürsorge», heißt es in dem Gutachten. Experten verweisen in diesem Zusammenhang auf die Präambel, in der die Verpflichtung der Staaten zur Achtung und zum Schutz der Menschenrechte eigens betont wird. Zudem widmet sich auch Artikel 14 des Vorentwurfs dem Schutz der Menschenrechte.
Genauso sehen es die obersten deutschen Verfassungsrichter. Sie lehnten am 15. September 2023 eine Verfassungsbeschwerde gegen die deutsche Beteiligung an den Verhandlungen über den Pandemievertrag als unzulässig ab. Die Klägerin hatte ähnlich wie im Video argumentiert, die WHO solle aufgrund der derzeit verhandelten Regelungen legislative und exekutive Gewalt erhalten. Das hebe die Souveränität der Mitgliedstaaten auf. Die WHO könne in einer selbst ausgerufenen Pandemie verbindliche Anordnungen treffen und Entscheidungen souveräner Staaten über Gesundheitsmaßnahmen außer Kraft setzen.
Dieser Deutung widersprachen die Verfassungsrichter energisch. Die Mitwirkung am Pandemievertrag sei «kein tauglicher Beschwerdegegenstand»: «Denn sie löst keine innerstaatlichen Rechtswirkungen aus, die geeignet wären, die Beschwerdeführerin in ihren (Grund)Rechten zu verletzen.» Man könne eine Verletzung von Grundrechten «inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen». Die Begründung der Klage zeige «insbesondere nicht auf, dass die derzeitigen Entwurfstexte auf eine mit den Vorgaben des Grundgesetzes unvereinbare Hoheitsrechtsübertragung an die WHO abzielen».
(Stand 17.01.2024)
Berichtigung
Im ersten Fakten-Absatz wurde präzisiert, wo die Behauptungen über den Pandemievertrag verbreitet wurden.
Links
WHO-«Zero Draft»-Entwurf, archiviert
Gutachten Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, archiviert
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