Studie fehlt Bestätigung

Fachleute nehmen Behauptung zu Impftoten auseinander

25.10.2023, 16:35 (CEST)

Auch nach der Covid-19-Pandemie geht der Streit um die Wirksamkeit der Impfung gegen das Virus weiter. Impfgegner behaupten weiter, nicht Covid-19 sei gefährlich gewesen. Sondern die Impfung dagegen.

Eine Untersuchung eines kanadischen Physikers behauptet, es gebe nun einen Beweis dafür, dass infolge der Covid-Impfung weltweit Millionen Menschen ums Leben gekommen seien. Ein in Luxemburg verbreiteter Facebook-Post verweist auf einen Bericht über eine «Verheerende Studie für Impfkampagne» der österreichischen Webseite tkp.at. «17 Millionen Todesfälle als Folge», heißt es dort.

Bewertung

Für diese Behauptung gibt es keinen Beleg. Exoerten bezeichnen die Arbeit des Autors als unwissenschaftlich.

Fakten

Die Studie über die angeblich 17 Millionen Impftoten wurde bisher in keiner der großen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht und daher auch nicht der nötigen offiziellen Bewertung durch andere Wissenschaftskollegen («Peer Review») unterzogen.

Es geht um eine am 17. September 2023 von Denis G. Rancourt veröffentlichte Untersuchung mit dem Titel «Covid-19 vaccine-associated mortality in the Southern Hemisphere» (Covid-19-impfstoffbedingte Sterblichkeit in der südlichen Hemisphäre).

Der Physiker Rancourt war 2009 von der Universität in Ottawa (Kanada) entlassen worden, weil er seinen Studenten ausschließlich Spitzennoten gab. Er machte im August 2021 mit der Behauptung, es habe in Kanada niemals eine Covid-19-Pandemie gegeben, erneut von sich reden.

Daten aus 17 südlichen Ländern hochgerechnet

Eigenen Angaben zufolge untersuchten Rancourt und seine Ko-Autoren die Folgen der Impfung gegen Covid-19 in 17 Ländern der südlichen Hemisphäre in vier Kontinenten. In diesen 17 Ländern habe es in den Daten zur Gesamtmortalität «keine Hinweise auf einen positiven Effekt der COVID-19-Impfstoffe» gegeben. «Es gibt keinen zeitlichen Zusammenhang zwischen Covid-19-Impfung und einer proportionalen Verringerung der Gesamtmortalität. Das Gegenteil ist der Fall», heißt es dort.

Stattdessen gebe es deutliche Anstiege der Sterblichkeit «wenn die Covid-19-Impfstoffe eingesetzt und verabreicht werden». In neun der 17 Ländern gebe es eine messbare Übersterblichkeit erst im Frühjahr 2021, als die Impfstoffe eingesetzt werden. «Beispiellose Anstiege» gebe es auch Anfang 2022, als die Booster-Impfungen verfügbar sind. Es sei «unwahrscheinlich» dass diese Anstiege «durch etwas anderes als die Impfstoffe verursacht sein könnten».

Die Verfasser der Studie errechnen dann aus der Übersterblichkeit in den 17 Ländern der südlichen Erdhalbkugel eine altersübergreifende «Impfdosis-Todesrate» von rund 17 Millionen Impftoten weltweit.

Namhafte Experten weisen Analyseansatz zurück

Renommierte Wissenschaftler haben diese Behauptungen kritisiert und zurückgewiesen. «Es gibt keine kausale Beziehung», konstatiert der US-Infektiologe Amesh Adalja vom Johns Hopkins Center für Gesundheitssicherheit in einer E-Mail an die dpa.

Adalja bezieht sich damit auf die Behauptung, dass die Übersterblichkeit eine Folge der Impfung und nicht der Covid-Erkrankung sei. Vielmehr sei die kausale Beziehung so: «Die überzähligen Todesfälle folgen den Covid-Wellen, die wiederum Impfwellen auslösen. Das ist das Phänomen, das in dem Papier umgangen wird.» Die Studie führe deshalb zu einer «Entstellung der tatsächlichen Daten.»

Im Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) reagierte der Biostatistik-Professor Jeffrey S. Morris, Leiter der Abteilung für Biostatistik, Epidemiologie und Informatik der Universität Pennsylvania, ausführlich auf die Rancourts Studie. Diese ignoriere die «offensichtliche Tatsache», dass sich die Übersterblichkeit überwiegend in Zeiträumen ereignet habe, in denen die betreffenden Länder «einen massiven Anstieg der bestätigten Covid-19-Fälle und der Covid-19 zugeschriebenen Todesfälle» verzeichneten.

Die Studie nenne die Impfung als Hauptursache der Übersterblichkeit, «ungeachtet der Tatsache, dass die Impfwellen nicht mit den überzähligen Todesfällen übereinstimmen». Tatsächlich gebe es beim genauen Blick auf die Daten einen deutlichen Zusammenhang zwischen Übersterblichkeit und Todesfällen durch Covid-19 - nicht aber zwischen Übersterblichkeit und Zahl der Impfungen.

Rancourts Methoden von «von keinem Experten akzeptiert»

In einem anderen Tweet schreibt Morris, die «Impfdosis-Todesrate» sei «eine erfundene Maßeinheit und nichtig». Die von Rancourt verwendeten Analysemethoden würden «von keinem Experten für kausale Schlussfolgerungen akzeptiert» und seien eher «amüsant». Er berechne lediglich die Übersterblichkeit und gehe davon aus, dass alle Todesfälle der Gesamtbevölkerung im Zusammenhang mit den Impfungen stehen würden. Rancourt antwortete nicht auf die Kritik an seiner Arbeit.

Oliver Watson vom Imperial College in London, der an der London School of Hygiene and Tropical Medicine über Sterblichkeitsschätzung arbeitet, hatte im Juni 2022 in der renommierten Fachzeitschrift «Lancet» eine Untersuchung über den Nutzen der Impfung vorgelegt. Demnach wurden dank der Covid-19-Impfung schätzungsweise zwischen 14,4 und 19,8 Millionen Menschenleben gerettet.

Watson schrieb in einer E-Mail an die dpa, er sehe in Rancourts Studie keinen Beweis für die Impfung als Grund der Übersterblichkeit. Er halte es für «unwahrscheinlich», dass es für diese Studie einen «Peer Review» geben werde - «sofern nicht die klaren Auslassungen in dem Papier korrigiert werden».

Institut spricht von «offensichtlichen Falschinformationen»

Eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), das unter anderem für die Kontrolle von Impfstoffen in Deutschland zuständig ist, ließ die dpa wissen, man wolle sich «nicht erneut mit solch offensichtlichen Falschinformationen befassen». Bisher gibt es vom PEI noch keine Reaktion auf die Behauptungen der in sozialen Medien verbreiteten Studie.

Die Sprecherin verwies lediglich auf die regelmäßigen Sicherheitsberichte über die Covid-19-Impfstoffe. Im aktuellsten Sicherheitsbericht für Deutschland heißt es, bisher seien rund 192 Millionen Covid-19-Impfungen verabreicht worden. In 3315 Fällen sei von einem tödlichen Verlauf in unterschiedlichem zeitlichen Abstand nach der Impfung berichtet worden. In 127 Fällen habe das PEI einen «ursächlichen Zusammenhang» mit der Impfung erkannt. Dieser Bericht stammt vom 31. März 2023.

(Stand: 25.10.2023)

Links

Facebook-Post, archiviert

Webseite tkp.at, archiviert

Studie über angebliche Impftote, archiviert

Universität zu Entlassung, archiviert

Studie zu Covid in Kanada, archiviert

Über Amesh Adalja, archiviert

Tweet Morris, archiviert

Tweet Morris2, archiviert

Untersuchung über Nutzen der Impfung, archiviert

Sicherheitsbericht PEI, archiviert

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