Ohne Grundlage
Pläne für Fleisch- und Kleidungsverbot sind erfunden
8.9.2023, 15:13 (CEST)
Das Weltwirtschaftsforum (WEF) will angeblich schon 2030 die «individuelle Kleidung» abschaffen. Zugleich soll die Bevölkerung gezwungen werden, Uniformen zu tragen und sich nur noch vegan zu ernähren. Ein Facebook-Post aus Luxemburg verbreitet ein Video mit diesen und anderen Behauptungen. In luxemburgischer Sprache wird kein Zweifel daran gelassen, dass diese Behauptungen ernst zu nehmen seien: «Da fallen dann aber noch viele Geschäfte weg.»
Bewertung
Das fragliche Papier stammt nicht vom Weltwirtschaftsforum. Es enthält auch keinen Plan für die Abschaffung individueller Kleidung oder für eine Uniform-Pflicht.
Fakten
In dem Video verkündet ein Sprecher gleich zu Anfang: «Du wirst 2030 keine individuelle Kleidung mehr tragen. Und Fleisch gibt es für dich nicht mehr, du bist vegan.» In einer Einblendung heißt es, das WEF habe erklärt, «dass Mode bis 2030 völlig überholt sein wird und alle Menschen vegan leben werden - ob sie wollen oder nicht». Das WEF sage: «Die Menschen werden alle eine Uniform tragen.»
Zu diesen «kruden Vorstellungen» sagt der Sprecher (0:19): «Ja, das kommt wieder mal vom Weltwirtschaftsforum.» Enthalten sei diese Enthüllung in einer schon 2019 erschienenen Broschüre, die von der Organisation «C40 Cities» zusammen mit der englischen Universität Leeds erarbeitet worden sei. Und «C40» sei eine «Tochter des Weltwirtschaftsforums».
«Individualität hat keinen Platz mehr. Das ist zumindest die Vorstellung vom World Economic Forum», behauptet der Sprecher (1:35). Als «größte Lobbyorganisation der Welt» habe das WEF «Mittel und Wege, das umzusetzen» (1:56).
C40 ist unabhängig vom WEF
Tatsächlich geht es bei dem fraglichen Papier um einen 131 Seiten starken Bericht, der 2019 von C40 Cities, Arup und der Universität Leeds veröffentlicht wurde. Das Planungs- und Beratungsunternehmen Arup mit Sitz in London befindet sich nach eigenen Angaben im Besitz seiner Mitarbeiter und gehört nicht zum WEF. C40 Cities ist laut Selbstdarstellung ein «globales Netzwerk von fast 100 Bürgermeistern der führenden Städte der Welt, die gemeinsam gegen die Klimakrise vorgehen». Die in C40 vertretenen Städte haben sich zu Anstrengungen verpflichtet, um ihren «gerechten Anteil» an den Emissionen von klimaschädlichen Treibhausgasen bis 2030 zu halbieren, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
C40 ist entgegen der Behauptung in dem Video keine «Tochter» des WEF. Das Netzwerk ist aber eines von rund 1200 zahlenden Mitgliedern des Weltwirtschaftsforums, die vom WEF als «Partner» bezeichnet werden. «C40 ist eine unabhängige Organisation», bestätigte WEF-Sprecher Yann Zopf der Deutschen Presse-Agentur. «Das Weltwirtschaftforum war niemals an der Erstellung dieses Berichts beteiligt.»
Die Behauptungen über den angeblichen Inhalt des Berichts von 2019 beruhen - wie auch im Video anhand der eingeblendeten Quellenangabe ersichtlich ist - auf einem am 3. Juli 2023 erschienenen Artikel der auf Verschwörungserzählungen spezialisierten englischsprachigen Webseite «The People’s Voice«. Dieser trägt die Überschrift «WEF sagt, dass die Mode bis 2030 abgeschafft wird: 'Die Menschen werden alle eine Uniform tragen‘.»
Bericht enthält verschiedene Szenarien, keine Pläne
Allerdings tauchen die behaupteten Aussagen in dem Bericht überhaupt nicht auf. Das Papier enthält weder Beschlüsse noch Pläne. Vielmehr geht es bei dem Bericht von 2019 mit dem Titel «Die Zukunft des städtischen Konsums in einer 1,5 Grad-Welt» darum, welchen Beitrag große Städte zur Erreichung der Klimaziele leisten könnten. Dabei werden verschiedene Szenarien für die Bereiche Ernährung, Bau, Kleidung, Fahrzeuge, Luftverkehr und Elektronik durchgerechnet und abgeschätzt.
Zum Punkt Ernährung wird unter anderem eine Reduzierung des Konsums von Fleisch und Milchprodukten empfohlen. Falls es gelänge, den Fleischverzehr in den Städten von bisher 58 auf 16 Kilo pro Person und Jahr zu senken und auch den Konsum von Milchprodukten deutlich zu verringern, so könnten die Emissionen im Ernährungsbereich um 51 Prozent gesenkt werden. Im Vergleich zu diesem «progressiven Ziel» ist auch (Seite 78) als «ehrgeiziges Ziel» ein Nullwert beim Fleisch- und Milchverbrauch angegeben.
In dem Bericht wird betont (Seite 68), dass die generelle Einführung dieser sogenannten «ehrgeizigeren Ziele» nicht befürwortet werde. Es handele sich nur um «Referenzpunkte» für «langfristige städtische Visionen».
Lediglich Empfehlungen zu Kleidung und Ernährung
Auch im Bereich Kleidung (Seite 82) wird grundsätzlich empfohlen, pro Jahr weniger neue Kleidungsstücke zu verbrauchen. Wenn man als «progressives Ziel» maximal acht neue Kleidungsstücke erreiche, könnten die Emissionen um etwa die Hälfte verringert werden. Bei einem «ehrgeizigeren Ziel» von drei Kleidungsstücken pro Jahr ergäbe sich rechnerisch sogar eine Verringerung um 75 Prozent.
Nirgendwo in dem Bericht - der mit dem WEF nichts zu tun hat - wird also von einer Abschaffung der individuellen Kleidung oder einer Abschaffung der Mode vom Jahr 2030 an gesprochen. Nirgendwo ist davon die Rede, dass die Bevölkerung sich nur noch vegan ernähren dürfe.
(Stand 08.09.2023)
Links
Arup Selbstauskunft, archiviert
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