Desinformation über Euthanasie

Angebliche Papst-Forderung ist frei erfunden

2.8.2023, 10:47 (CEST), letztes Update: 2.8.2023, 10:59 (CEST)

Überraschungen sind im Vatikan selten. Besonders dann, wenn damit am Werte-Fundament der katholischen Kirche gerüttelt würde. Deswegen ist bei anderslautenden Meldungen allergrößte Skepsis angebracht.

Der Papst fordert angeblich die Tötung von Menschen mit Behinderungen. Damit werde die Weltbevölkerung vermindert - und das sei gut für den Kampf gegen den Klimawandel. Der Papst habe sich «mit aller Kraft für die Kampagne des Weltwirtschaftsforums eingesetzt, Menschen mit Autismus, Alkoholismus und anderen geringfügigen Krankheiten und Behinderungen einzuschläfern», heißt es in Blogs und Beiträgen in sozialen Netzwerken. Kann das wirklich sein?

Bewertung

Nein. Die behaupteten Äußerungen des Papstes sind frei erfunden.

Fakten

Abgesehen davon, dass das Weltwirtschaftsforum (WEF) keinerlei Aktivitäten befürwortet, um behinderte Menschen «einzuschläfern», enthält der Post vor allem eine Reihe von frei erfundenen Falschbehauptungen über Papst Franziskus.

So wird in einem Facebook-Post aus Luxemburg auch behauptet, nach Ansicht des Papstes werde die Verringerung der Weltbevölkerung dazu beitragen, das «existenzielle Problem des Klimawandels zu lösen und der Natur ihre Vorrangstellung in der Weltordnung zurückzugeben». Franziskus sei «Agenda-Mitwirkender beim Weltwirtschaftsforum» und arbeite «aktiv daran, die Kirche und das Christentum im Allgemeinen zu untergraben».

Grundlage für diese Behauptungen ist offensichtlich ein Artikel auf der Webseite «People's Voice» vom 28. Juli 2023. Die Website gehört zu den besonders aktiven Lieferanten von Artikeln für die Verschwörungsszene, die schon häufigerGegenstand von Faktenchecks waren.

Franziskus war noch nie beim Weltwirtschaftsforum

Auf dieser Website wird auch ein Video verbreitet, in dem sich allerdings ebenso wie im dazugehörigen Text keinerlei Hinweise darauf finden, wann und wo der Papst seine umstrittenen Äußerungen gemacht haben soll. Man könne aber über diese Äußerungen nicht erstaunt sein, denn schließlich trage der Papst ja zur WEF-Agenda bei. In der Verschwörungsszene wird den Teilnehmern des jährlichen Treffens in Davos unter der Leitung des WEF-Chefs Klaus Schwab gerne unterstellt, sie wollten die Erde gewaltsam «entvölkern».

Tatsächlich hat Papst Franziskus noch nie an einem Treffen des Weltwirtschaftsforums teilgenommen. Er hat zweimal - 2014 und 2018 - Botschaften an die Teilnehmer verlesen lassen. In seiner Botschaft von 2018 beispielsweise bedauerte er unter anderem zunehmende «Fragmentierung und Individualisierung» sowie «eine egoistische Lebensweise, die von einem nicht mehr tragbaren Überfluss geprägt ist und der Welt um uns herum und insbesondere den Ärmsten der Armen häufig gleichgültig gegenübersteht». Er rief die Teilnehmer zu «weisen Entscheidungen» auf. Zu keinem Zeitpunkt hat er sich für eine Verringerung der Weltbevölkerung ausgesprochen.

Kirche lehnt jede Form von Euthanasie ab

Aber auch ansonsten gibt es keinerlei Äußerung des Papstes, mit der er sich - wie behauptet - dafür ausgesprochen hätte, «Menschen mit Autismus, Alkoholismus und anderen leichten Krankheiten und Behinderungen zu euthanasieren». Ganz im Gegenteil: Der Papst hat in einer Reihe von Äußerungen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Leben und auf Teilhabe unterstrichen.

So hat die vatikanische Glaubenskongregation im September 2020 einen Brief mit dem Titel «Samaritanus bonus» veröffentlicht, in dem jede Form von Euthanasie und Beihilfe zum Selbstmord abgelehnt wird. «Euthanasie ist ein Verbrechen gegen das Leben», heißt es in dem ausdrücklich vom Papst gebilligten, 32 Seiten langen Papier. Auch wenn Heilung unmöglich oder unwahrscheinlich sei, so sei die medizinisch-pflegerische Begleitung «eine unausweichliche Pflicht». Abtreibung, Euthanasie und auch Selbstmord wertet das Dokument als «schwerwiegende Verletzung» der Schöpfungsordnung.

Papst setzt sich für Menschen mit Behinderung ein

In einer Botschaft zum Tag der Menschen mit Behinderung vom 3. Dezember 2022 erklärte Papst Franziskus, Menschen mit Behinderung könnten «dazu beitragen, die Wirklichkeit, in der wir leben, zu verändern und sie menschlicher und einladender zu machen». Die Diskriminierung von Behinderten entspringe der zutiefst unchristlichen «Vorstellung, dass das Leben von Menschen mit Behinderung weniger wert sei als das anderer». Eine Behinderung beeinträchtige «in keiner Weise unsere Natur als Kinder des einen Vaters und unsere Würde».

Bei einer Audienz am 12. Dezember 2022 sagte Papst Franziskus nach Angaben des Vatikan unter anderem: «Normalerweise verbindet man mit Behinderung die Vorstellung von Not, von Hilfe und manchmal - Gott sei Dank immer weniger - von einem gewissen Pietismus. Nein, ich betrachte euch nicht so, die Kirche sieht euch nicht so.»

Die dem Papst untergeschobenen Äußerungen sind also in keiner Weise mit der offiziellen kirchlichen Position, wie sie durch die Glaubenskongregation ausgedrückt wird, und mit den bisherigen Äußerungen des Papstes zu diesem Thema in Einklang zu bringen. Auf der Website «People's Voice» sind weitere falsche Behauptungen über den Papst und dessen angebliche Äußerungen enthalten, die allerdings nicht Gegenstand dieses Faktenchecks sind. 

(Stand: 01.08.2023)

Links

Facebook-Post, archiviert und Video archiviert

People's Voice, archiviert

Faktenchecks zu People's Voice hier, hier und hier

Papst Botschaft WEF 2018, archiviert

Glaubenskongregation zu Euthanasie, archiviert

Papst-Botschaft , archiviert

Papst bei Audienz, archiviert

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