Aus der Luft gegriffen

Fantasiezahlen zum Klimaschaden des Militärmanövers

26.6.2023, 17:31 (CEST)

Gegner der großen Luftwaffenübung «Air Defender 23» vom Juni kritisieren den entstandenen Umweltschaden. Doch ihre Argumente verlieren an Kraft, wenn sie mit falschen Zahlen operieren.

Beim bisher größten NATO-Luftwaffenmanöver seit der Gründung des nordatlantischen Bündnisses sollen riesige Mengen Kohlenstoffdioxid (CO2) ausgestoßen worden sein. Illustriert vom Foto zweier Kampfflugzeuge behauptet ein Facebook-Post aus Luxemburg: «In elf Tagen 222 000 Tonnen CO2 durch NATO-Übung - das produziert eine Stadt pro Jahr.» Dieses Sharepic wird mit den Worten «Das ist GRÜN!!!» und drei Wut-Emojis kommentiert.

Bewertung

Die genannte Zahl ist nicht nachvollziehbar. Die Berechnung beruht, soweit erkennbar, auf falschen Annahmen.

Fakten

Die irreführende Behauptung beruht auf einem Artikel der österreichischen Webseite Exxpress.at, die sich selbst als Seite «für Selberdenker» bezeichnet, vom 30. Mai 2023. Es sei «unglaublich», dass die NATO-Luftwaffenübung die Luft über Europa mit 222.000 Tonnen CO2 belasten werde: «Das ist so viel, wie 30 000 Bewohner einer kleinen Stadt im Jahr produzieren. Und das in nur elf Tagen.»

An der Übung «Air Defender 23» nahmen nach Angaben der deutschen Bundeswehr vom 12. bis 23. Juni rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten aus 25 Nationen mit 250 Flugzeugen teil. Von den Flugzeugen wurden alleine 100 aus den USA nach Deutschland gebracht. Zweck des seit fünf Jahren geplanten Manövers war es, die Verlegung von Kampfflugzeugen nach Deutschland und deren Einsatz an der östlichen Grenze des NATO-Gebiets zu demonstrieren.

In Deutschland gab es drei Übungsgebiete, in denen zeitlich versetzt jeweils für vier Stunden der Luftraum für Übungen reserviert war. Aus einer Bilanz der Luftwaffe nach Abschluss der Übung geht vor, dass es insgesamt rund 1800 Flüge und praktisch keine der zuvor befürchteten Verzögerungen für den zivilen Flugverkehr gab.

Zu möglichen Umweltschäden und CO2-Emissionen des Manövers antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Edgar Naujok, in Deutschland sei «mit Treibhausgasemissionen in Höhe von 35 000 Tonnen CO2-Äquivalenten durch die eingesetzten Luftfahrzeuge zu rechnen».

Bereits Ende März 2023 hatte die Bundesregierung auf Anfrage der Fraktion der Linkspartei diese Zahlen in aufgeschlüsselter Form veröffentlicht. Demnach wurde damit gerechnet, dass mit rund 15 000 Tonnen die meisten Emissionen vom größten Übungsteilnehmer, den USA, kommen würden. Für die militärischen Flugzeuge aus Deutschland wurden knapp 12 500 Tonnen CO2-Emissionen erwartet.

Die eigene Berechnung der österreichischen Webseite ist nicht nachvollziehbar. Dort wird auf den hohen CO2-Ausstoß verschiedener Kampfflugzeuge verwiesen. Da es keine offiziellen Angaben darüber gibt, wie viele Kampfflugzeuge welchen Typs an dem Manöver wie oft und wie lange teilgenommen haben, ist allerdings die Aussagekraft von Emissionswerten unterschiedlicher Typen begrenzt.

Die Webseite erläutert ihre Berechnung mit der Behauptung: «Bei der elf Tage andauernden Übung werden die Kampf- und Tankflugzeuge täglich fünf Stunden in der Luft sein.» Tatsächlich gab es während des Manövers lediglich an zehn Tagen Übungsflüge. Die der Rechnung zugrunde gelegte Annahme, alle Flugzeuge würden während der Übung täglich 5 Stunden in der Luft sein - was zu einer Gesamtflugzeit von 55 Stunden führe - ist falsch.

Tatsächlich wurden Einschränkungen in den drei Übungsräumen für jeweils 4 Stunden angekündigt. Dies allerdings bedeutet nicht, dass sämtliche in den verfügbaren Übungsräumen vorhandenen Flugzeuge auch tatsächlich die gesamte Zeit in der Luft waren. Zudem gibt es keine Angabe darüber, auf welcher Grundlage das Ergebnis von 222 000 Tonnen kalkuliert wurde. 

Im Übrigen führt die Formulierung der Überschrift, diese Menge sei so viel CO2 wie «eine Stadt pro Jahr» produziere, in die Irre. Erst später wird in dem Artikel mitgeteilt, die Menge entspreche in etwa dem jährlichen CO2-Ausstoß von 30 000 Österreichern. Es kann also nur um eine sehr kleine Ortschaft gehen. Wollte man den behaupteten Ausstoß von 222 000 Tonnen in ein Verhältnis zur jährlichen CO2-Emission der Stadt Luxemburg (700 000 Tonnen) mit rund 130 000 Einwohnern setzen, so wäre das knapp ein Drittel.

Die offizielle Zahl von 35 000 Tonnen CO2 ist nur schwer in ein Verhältnis zum jährlichen deutschen Gesamtausstoß von CO2 zu setzen, der im vergangenen Jahr nach Angaben des Umweltbundesamtes 746 Millionen Tonnen betrug. 35 000 Tonnen hätten daran einen Anteil von 0,00469 Prozent: Mathematiker runden diesen Betrag stets auf 0 Prozent ab.

Dies ist möglicherweise auch eine Erklärung dafür, warum die Webseite «exxpress.at» als einzige die von ihr behaupteten Zahlen verbreitet. 

(Stand: 26.06.2023)

Links

Facebook-Post, archiviert

Webseite Exxpress.at, archiviert

Bundeswehr zu Air Defender 23, archiviert

Bilanz der Luftwaffe, archiviert

Anfrage Naujok, archiviert

Anfrage Linke, archiviert

Emissionen Stadt Luxemburg, archiviert

Umweltbundesamt zu Emissionen , archiviert

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