Gesetz falsch verstanden

Grundrechte sind über Juli 2023 hinaus garantiert

30.05.2023, 16:42 (CEST)

Gesetzestexte sind oft schwer zu lesen und noch schwerer zu verstehen. Das könnte erklären, warum in sozialen Medien über angeblich bevorstehende Grundrechtseinschränkungen fantasiert wird.

Kommende Einschränkungen bestimmter Grundrechte in Deutschland wurden angeblich schon 2021 beschlossen, ohne dass es bisher jemand wirklich bemerkt hat. So wird es jedenfalls in Sozialen Netzwerken behauptet.

Bewertung

Berichte über Einschränkungen der Grundrechte vom 1. Juli 2023 an sind falsch. Sie beruhen auf einem Missverständnis über einen juristischen Text.

Fakten

Ein Facebook-Post aus Luxemburg enthält ein Video, in dem eine Frau behauptet, am 22. Juni 2021 sei beschlossen worden, dass ab 1. Juli 2023 die Grundrechte eingeschränkt würden. Unter Verweis auf einen eingeblendeten Text heißt es, die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person, der Freizügigkeit und der Unverletzlichkeit der Wohnung würden beschränkt. 

Bei dem eingeblendeten Text handelt es sich um einen Ausschnitt aus der Drucksache 19/30938 des Bundestages vom 22. Juni 2021. Dies ist die Stellungnahme des Justizausschusses zu zwei Gesetzesvorhaben - nämlich zur Vereinheitlichung der Stiftungsrechts und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes. In der Tat befindet sich ganz am Ende dieser Stellungnahme unter der Überschrift «Einschränkung von Grundrechten» ein Passus, in dem es heißt, die oben genannten Grundrechte würden eingeschränkt. Außerdem findet sich dort ein Hinweis: «(2) Die Artikel 1, 2, 6, 7 Nummer 1, 2 und 4 sowie Artikel 8 treten am 1. Juli 2023 in Kraft.»

Entscheidend für das Verständnis des Textes ist die Tatsache, dass es sich hier um eine Stellungnahme zu einem Gesetz handelt, mit dem sozusagen in einem Zug zwei völlig unterschiedliche Gesetze geändert werden sollen - nämlich um den «Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes». Der Großteil der Stellungnahme bezieht sich auf das Stiftungsrecht, ein zwei Absätze kleiner Schlussteil betrifft das Infektionsschutzgesetz.

Der Gesetzentwurf ist ein sogenanntes «Omnibusgesetz», bei dem eine große Gesetzesänderung (Stiftungsrecht) mit einer kleinen Gesetzesänderung (Infektionsschutzgesetz) verbunden wird. Dieses Verfahren ist durchaus üblich und legal, wird aber immer wieder von der Opposition kritisiert. Denn es sorgt dafür, dass der Gesetzesänderung auch Abgeordnete zustimmen, die möglicherweise nur dem einen Teil zustimmen würden, dem anderen aber nicht. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat sich in einer Stellungnahme mit der Problematik der «Omnibusgesetze» befasst.

Nach der Stellungnahme des Justizausschusses wurde am 16. Juli 2021 das «Gesetz zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes» beschlossen und sechs Tage später im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.

Ganz am Ende dieses Gesetzes ist - deutlicher erkennbar als in der Stellungnahme des Justizausschusses - in Artikel 11 das Inkrafttreten des Gesetzes geregelt. Am 1. Juli 2023, dem angeblichen Datum der geplanten Grundrechtseingriffe, tritt eine Reihe von Artikeln in Kraft, die sich allesamt auf das Stiftungsrecht beziehen. Dort heißt es außerdem: «Im Übrigen tritt dieses Gesetz am Tag nach der Verkündung in Kraft.» Dies bezieht sich also auch auf Artikel 9 (Änderung des Infektionsschutzgesetzes) und Artikel 10 (Einschränkung von Grundrechten), die deswegen bereits am 23. Juli 2021 in Kraft getreten sind. Das Gesetz, das angeblich im Juli 2023 kommen soll, gibt es also schon seit Juli 2021.

Die in Artikel 9 des Änderungsgesetzes erwähnte Vorschrift ändert Paragraf 36 des Infektionsschutzgesetzes. Und zwar legt diese Änderung fest, dass spätestens ein Jahr nach Aufhebung der Feststellung der epidemiemischen Lage von nationaler Tragweite die in diesem Zusammenhang erlassenen Rechtsverordnungen außer Kraft treten müssen. Das Gesetz schränkt also keine Rechte ein, sondern stellt vielmehr sicher, dass wegen der epidemischen Lage eingeschränkte Rechte wieder an die Bürger zurückgegeben werden.

In dem Video äußert sich die dort gezeigte Frau besorgt: «Diese Rechte sind doch unser allerhöchstes Gut, oder nicht? Wenn da irgendetwas dran geändert wird, dann verstehe ich nicht, warum das nicht die Schlagzeile des Tages ist am 23. Juni.» Die Erklärung ist relativ einfach: Sofern ein Gesetz die Grundrechte einschränkt, wird dies stets gesondert im Text erwähnt.

Im Fall des Infektionsschutzgesetzes ging es in erster Linie darum, den Bürgerinnen und Bürgern Rechte wieder zurückzugeben. Zweitens war die Einschränkung von Rechten im Infektionsschutzgesetz keine Neuigkeit, weil es hier oft um angeordnete Untersuchungen oder Isolierungen von Patienten geht, die immer in Grundrechte eingreifen. So findet sich auch in dem Infektionsschutzgesetz, das am 18. November 2020 geändert wurde, in Artikel 7 bereits ein Hinweis auf die Einschränkung von Grundrechten. Daher gab und gibt es keinen Grund zur Aufregung.

(Stand 30.05.2023)

Links

Facebook-Post, archiviert

Stellungnahme des Justizausschusses, archiviert

Wissenschaftlicher Dienst zu Omnibusgesetz, archiviert

Bundesgesetzblatt Stiftungsrecht und Infektionsschutz, archiviert

Paragraf 36 des Infektionsschutzgesetzes, archiviert

Infektionsschutzgesetz vom November 2020, archiviert

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