Neujahr ohne Ansprache

Orbán-Rede frei erfunden: Ungarn bleibt in der EU

06.01.2023, 14:14 (CET)

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán ist erklärtermaßen kein Freund der EU. Dennoch hat Orban keinen Austritt aus der Europäischen Union angekündigt.

Wegen Kritik an mangelnder Rechtsstaatlichkeit und grassierender Korruption hat die EU Fördermittel in Milliardenhöhe für Ungarn blockiert. Damit hat im Dezember vergangenen Jahres der lange Streit zwischen Brüssel und Budapest einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Angeblich hat Regierungschef Orbán deswegen den Austritt seines Landes aus der Union angekündigt.

Bewertung

Die Behauptung ist falsch. Berichte über eine entsprechende Ankündigung Orbans sind frei erfunden.

Fakten

In einem Facebook-Post aus Luxemburg wird behauptet: «Ungarn wird die EU verlassen.» Orbán habe dies in seiner Neujahrsansprache mitgeteilt. Er beklagte demnach, dass sein Land in die EU «hineingetäuscht» worden sei und Versprechungen aus Brüssel nicht erfüllt worden seien. Orbán wird dann wie folgt zitiert: «Wir betraten die europäische Familie, und es stellte sich heraus, dass es sich um eine LGBT-Familie handelt, in der das Kind statt eines Vaters und einer Mutter gezwungen ist, mehrere Eltern zu haben, wie in einem Konzentrationslager. Die ungarische Nation hat Sodomie nie akzeptiert, also sind wir nicht mehr auf dem Weg nach Brüssel. Wir leiten unverzüglich das Verfahren zum Austritt aus der EU ein.»

Die angebliche Rede hat es nicht gegeben. Es hat zum Jahreswechsel 2022/23 überhaupt keine Rede des ungarischen Regierungschefs gegeben. Tatsächlich hat Orbán über seinen Facebook-Account am Silvesterabend lediglich ein zweiminütiges Video hochgeladen, in dem er das Jahr kurz in Bildern Revue passieren lässt. Von einem möglichen Austritt aus der EU ist dort nicht die Rede.

Auch auf der offiziellen Webseite der ungarischen Regierung finden sich zwar viele Berichte über Orbán-Auftritte und -Reden, aber nirgendwo ein Hinweis auf eine Neujahrsansprache. Das gilt auch für eine "persönliche Webseite" des Regierungschefs. Auch dort ist keine Spur von irgendeiner Äußerung über einen demnächst beabsichtigten Austritt aus der EU zu finden.

Da Ungarn ein Land mit relativ starker Kontrolle der Presse durch die Regierung ist, wird in den meisten Medien des Landes ständig ausführlich und lückenlos über jede Äußerung und jeden öffentlichen Auftritt des Ministerpräsidenten berichtet. Über die angebliche Äußerung Orbáns - bei der es immerhin um ein spektakuläres und historisches Ereignis ginge - gibt es jedoch keinerlei Berichterstattung in Ungarn.

Der keineswegs regierungsfeindliche Youtube-Kanal @LebeninUngarn weist einen Weg zu einer möglichen Quelle für die erfundene Austritts-Rede. Dort wird auf einen Beitrag im russischen sozialen Netzwerk VK verwiesen, der dort in englischer und deutscher Sprache verbreitet wurde. «Okay, hört sich soweit mal gut an», heißt es dort (Minute 1:50). Allerdings räumt der Sprecher ein: «Aber ich habe diese Neujahrsansprache nicht gefunden.»

(Stand 6.1.2023)

Links

Fördermittel blockiert, archiviert

Facebook-Post, archiviert

Orbans Silvestervideo, archiviert

Webseite der ungarischen Regierung, archiviert

Webseite Orban, archiviert

Pressefreiheit in Ungarn, archiviert

Youtube-Kanal @LebeninUngarn, archiviert

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