Makler und Märchen

Geburtsurkunden sind an der Börse keinen Penny wert

30.08.2022, 14:52 (CEST), letztes Update: 30.08.2022, 15:06 (CEST)

Eine Geburtsurkunde sollte jeder haben. Ein finanziell sorgenfreies Leben garantiert das Dokument jedoch nicht - auch wenn das hier und da im Internet behauptet wird.

Schon mit der Geburt ist man angeblich reich. Denn die Geburtsurkunde sei in Wirklichkeit sehr wertvoll. So wertvoll, dass sie an der New Yorker Börse gehandelt werde. Dies jedenfalls wird in sozialen Netzwerken behauptet.

Bewertung

Geburtsurkunden werden nicht an der Börse gehandelt. Sie sind kein Geld wert.

Fakten

In einem Facebook-Post wird behauptet, 19 Millionen Euro seien «der durchschnittliche Wert Deiner Geburtsurkunde, die an der Börse in New York gehandelt wird». Schon das ist verkehrt. An der New Yorker Börse werden verschiedene Produkte gehandelt, aber keine Geburtsurkunden.

Dennoch behauptet der Post, der Staat führe passend zu jeder Geburtsurkunde ein «Kollateralkonto», das er mit «doppelter Buchführung» plündere. Dies sei der Grund, «warum so viele Asylanten hierher gelockt werden»: auch sie bekämen nämlich ein «Kollateralkonto». «Alles ist mit deiner Geburt bereits im Voraus bezahlt», heißt es in dem Post, der den Staat als «StaatsSimulation» bezeichnet undauf eine Webseite namens «OPPT-INFOS» verweist.

Diese Webseite, die mit dem Slogan «Where we go One we go All» (WWG1WGA) ihre Zugehörigkeit zur sogenannten QAnon-Bewegung deutlich macht, erläutert die in dem Facebook-Post enthaltenen Behauptungen ausführlich. Der auf 2013 datierte Artikel, der sich mit den USA beschäftigt, geht davon aus, dass die USA in Wirklichkeit ein Unternehmen sind. Die Bürger würden «als Sicherheiten für die Staatsschulden» benutzt, hätten also auch einen Geldwert. Wer als Bürger beispielsweise Schulden habe, könne diese ausgleichen, indem er Zugriff auf sein «Kollateralkonto» verlange.

Auf einer anderen verschwörungsaffinen Webseite wird dies noch detaillierter beschrieben: Die Geburtsurkunde sei «handelsrechtlich eine Schenkungsurkunde» an eine «staatssimulierende Firma», Geld fließe «direkt nach Washington D.C.(Mutterkonzern)».

Eine wiederum andere Webseite mit dem Titel «Wahrheit-Klarheit-Ehrlichkeit» behauptet, mit dem sogenannten «Organic Act of 1871» habe der US-Kongress die Vereinigten Staaten «in ein gewerbliches Unternehmen» umgewandelt. Tatsächlich wurden mit diesem Gesetz nicht die USA zu einem Unternehmen erklärt, sondern es wurde der District of Columbia (D.C.) mit Washington als Hauptstadt zur «municipal corporation» erklärt. In den USA ist «municipal corporation» - vor allem im geschichtlichen Zusammenhang mit der Entstehung des District of Columbia - der Ausdruck für eine Gemeinde oder Stadt.

Eine Art Zusammenfassung der in dem fraglichen Facebook-Post und anderswo immer wieder aufgeführten Behauptungen findet sich auf der Webseite eines «Freigeist Forum Tübingen». Dort wird unter anderem fantasiert, es gebe «Treuhandkonten» bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), deren Guthaben von den «staatssimulierenden Firmen» entnommen würden.

Tatsächlich gibt es keinen Beleg oder auch nur Hinweis darauf, dass Geburtsurkunden tatsächlich an irgendeiner Börse gehandelt würden. Der Service US Birth Certificates widerspricht diesem Mythos deshalb auch klipp und klar.

Zudem fehlen jegliche Belege dafür, dass die Zahl der Bevölkerung eines Landes maßgeblich wäre für dessen Kreditwürdigkeit. Dann wäre etwa Pakistan mit seinen mehr als 220 Millionen Einwohnern kreditwürdiger als Deutschland (83,7 Millionen). Davon kann jedoch keine Rede sein.

Die im Zusammenhang mit dem Mythos der wertvollen Geburtsurkunden verbreitete Behauptung, Zahlen - insbesondere rote - auf den US-Geburtsurkunden erlaubten die Identifizierung der dazugehörigen Bankkonten, ist ebenfalls falsch. Es handelt sich dabei, wie auch die American Bar Association als Organisation der US-Juristen betont, lediglich um die Registriernummer der Kunden.

Die Behauptung, das Gesetz von 1871 habe einem Unternehmen außerhalb der festgelegten Grenzen der Vereinigten Staaten das Tätigwerden erlaubt, was zum Ende der Souveränität der USA geführt habe, wurde nach der Wahlniederlage von Donald Trump genutzt, um das Wahlergebnis infrage zu stellen. Die Faktencheck-Webseite «The Dispatch» hat dazu festgestellt: «Weder hat der Organic Act von 1871 dazu geführt, dass die USA zu einem Unternehmen worden, noch zur Änderung des Wahlergebnisses.» In Deutschland wird die Erzählung, die Bundesrepublik sei in Wirklichkeit kein Staat sondern ein Unternehmen, vor allem in der Szene der «Reichsbürger» verbreitet.

Mit der Lüge, es gebe versteckte Konten für alle US-Bürger, die für Schulden der Regierung verwendet worden seien, sind auch Kriminelle unterwegs. Das Bundeskriminalamt der USA (FBI) hat vor Betrügern gewarnt, die unter Hinweis auf das angeblich bei den US-Behörden lagernde Geld behaupten, sie wüssten, wie man an das geheime Konto komme.

(Stand: 30.8.2022)

Links

Facebook-Post, archiviert

New York Stock Exchange, archiviert

Webseite 1, archiviert

Webseite 2, archiviert

Webseite 3, archiviert

Webseite 4, archiviert

Über WWG1WGA, archiviert

Organic Act of 1871, archiviert

Municipal corporation, archiviert

Freigeist Forum Tübingen, archiviert

US Birth Certificates, archiviert

The Dispatch, archiviert

Einwohner Pakistan, archiviert

Bevölkerung Deutschland, archiviert

Pakistans Kreditwürdigkeit, archiviert

American Bar Association, archiviert

Betrugswarnung, archiviert

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