Gerichtsurteil zur Impfung erfunden - Video wärmt alten Hoax auf
4.4.2022, 16:11 (CEST)
Wer sich gegen Covid-19 impfen lässt, wird rechtlich angeblich so betrachtet, als begehe er Selbstmord. Deswegen könnten Hinterbliebene im Todesfall von der Versicherung kein Geld erwarten. Das jedenfalls wird - wieder einmal - in sozialen Netzwerken behauptet. Angeblich gibt es auch ein entsprechendes Gerichtsurteil.
Bewertung
Das angebliche Gerichtsurteil ist frei erfunden. Versicherungen zahlen durchaus bei Impfschäden.
Fakten
In einem Facebook-Post wird mit dem Kommentar «Gericht hat entschieden» auf ein Video der Verschwörungs-Webseite «kla.tv» verwiesen. In diesem Video wird unter anderem behauptet, ein Gericht habe entschieden: «Tod durch Corona-Impfung ist wie Tod durch Selbstmord». Während der Sprecher seinen Text vorträgt, ist am linken unteren Bildrand die Ortsmarke «Karlsruhe» eingeblendet - womit beim arglosen Zuschauer der falsche Eindruck erweckt werden könnte, es gehe hier um ein Urteil des in Karlsruhe ansässigen Bundesgerichtshofes oder gar des Bundesverfassungsgerichts.
Zunächst wird behauptet, dass «auch in Deutschland» Unfallversicherungen «die Kosten für Folgeschäden der Corona-Schutzimpfung» ablehnten. «Ähnlich in Frankreich», heißt es dann. Dort habe die Familie eines «nachweislich an der Covid-Impfung verstorbenen Großvaters» die Lebensversicherung verklagt, weil diese nicht bei Tod infolge einer Impfung zahlen wolle.
Vor Gericht habe die Versicherung Recht bekommen. Denn «dieses Gericht» - nirgendwo im Text wird mitgeteilt, welches Gericht in welchem Land zu welchem Zeitpunkt entschieden haben soll - habe geurteilt, «ein tödliches Risiko einzugehen ist juristisch gesehen wie Selbstmord zu werten». Die Unschädlichkeit der Impfung sei «noch nicht nachgewiesen» . Der Großvater habe mit seiner «freiwilligen Teilnahme an dieser experimentellen Impfung» den eigenen Tod billigend in Kauf genommen.
Die Geschichte über den französischen Großvater, die Versicherung und das Gerichtsurteil ist nicht neu. Sie wurde bereits Anfang Februar 2022, unter anderem in diesem dpa-Faktencheck in Bezug auf die deutsche Webseite «Unser Mitteleuropa» als pure Fantasie entlarvt. Als Quelle wurde damals ein Artikel einer Kinderärztin auf der rechtsextremen Webseite Riposte Laïque genannt, der dort aber nicht mehr zu finden war. In einem archivierten Artikel der Autorin, der sich allgemein mit Versicherungsfragen bei Covid-Schutzimpfungen befasst, fehlt der geschilderte angebliche Fall.
Laut der deutschen Webseite hat der französische Anwalt Carlo Alberto Brusa den Fall als Vertreter der Familie publik gemacht. Brusa ist mehrfach gegen Corona-Maßnahmen in Frankreich eingetreten. Seine Kanzlei erklärte der dpa allerdings auf Nachfrage, dass Brusa «nichts mit dieser Angelegenheit zu tun» und man nicht wisse, ob sie überhaupt real sei.
Nun teilt «kla.tv» die Behauptungen über das Gerichtsurteil erneut. Alleine die Tatsache, dass auch hier nicht mitgeteilt wird, um welches Gericht es sich angeblich handelt, deutet darauf hin, dass es weder das Gericht noch das Urteil tatsächlich gibt. Zudem hat auch ein Sprecher des französischen Verbandes der Versicherungsunternehmen (France Assureurs) die Behauptung, die Versicherungen betrachteten eine Impfung wie einen Selbstmord, energisch zurückgewiesen.
Die Webseite «kla.tv» wird als «Klagemauer.tv» vom Gründer der evangelikal-fundamentalistischen «Organische Christus-Generation» (OCG), Ivo Sasek, betrieben und behauptet von sich selbst, eine «Medien-Klagemauer» an der «Aufklärungsfront» gegen die Irreführung durch «Hauptmedien oder namhafte Politiker» zu sein.
Abgesehen von dem erfundenen Urteil halten auch andere Behauptungen einem genaueren Blick auf die Fakten nicht stand. Die Versorgung bei Impfschäden ist in Deutschland beispielsweise zunächst durch Paragraf 60 des Infektionsschutzgesetzes geregelt. Geschädigte können sich auf die Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes berufen.
Darüber hinaus sind auch die Versicherungen in der Pflicht. Die Krankenversicherung kommt nach Angaben der Deutschen Verbraucherzentrale für die Behandlungskosten auf, sofern eine Impfung Schäden verursacht. Die Rentenversicherung zahlt eine Erwerbsminderungsrente. Private Unfallversicherungen decken oft nur Impfschäden von ganz bestimmten Impfungen ab, zu denen in vielen Fällen die Impfung gegen Covid-19 nicht gehört. Die Impfung habe bei einer Risikolebensversicherung «weder negative noch positive Folgen für den Versicherungsschutz oder die Prämienhöhe», teilte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mit.
Auch die in dem Video aufgestellte Behauptung, es handele sich um eine «experimentelle Impfung», ist falsch. Tatsächlich haben die Corona-Impfstoffe eine «bedingte Marktzulassung» erhalten. Eine solche Zulassung wird vor der EU-Arzneimittelbehörde nur erteilt, sofern Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität des Impfstoffs nachgewiesen werden. Dazu gehört, dass die Sicherheitsüberwachung nach der Zulassung fortgesetzt wird. Das Zulassungsverfahren ist wesentlich strikter als bei einer «Notfallzulassung», bei der es um die vorübergehende Verwendung eines Arzneimittels unter bestimmten Bedingungen in einer Notsituation geht.
(SAtand: 04.04.2022)
Links
Webseite Unser Mitteleuropa, archiviert
Über Carlo Alberto Brusa (archiviert)
Kanzlei von Brusa (archiviert)
Infektionsschutzgesetz, archiviert
Deutsche Verbraucherzentrale, archiviert
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, archiviert
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