Auch in Russland verursachte Covid-19 Übersterblichkeit

21.10.2021, 14:19 (CEST)

In Russland hat die Corona-Pandemie - im Gegensatz zum Rest der Welt - angeblich keine Übersterblichkeit ausgelöst. Das wird jedenfalls in sozialen Medien in Luxemburg behauptet.

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Die Behauptung ist falsch. Es hat in Russland eine erhebliche Übersterblichkeit gegeben. Das belegen offizielle Zahlen, und die Regierung in Moskau bestreitet das auch nicht.

Fakten

In einem Facebook-Post aus Luxemburg heißt es in luxemburgischer Sprache, es sei fürchterlich, im Parlament des Großherzogtums zu hören, «es wären in Russland an einem Tag 1000 Menschen an Corona gestorben». Dann wird behauptet: «Es gab in Russland 2020 keine Übersterblichkeit. Und es gibt heute keine und es sterben durchschnittlich 5200 Menschen täglich in der Russischen Föderation. Was für ein Pack sitzt da.»

Falls der Post Zweifel an der Zahl von 1000 Covid-Toten an einem Tag ausdrücken soll: Die Zahl beruht auf den Angaben der amtlichen russischen Webseite «Stopcoronavirus», die ständig offizielle Zahlen veröffentlicht. Demnach gab es (Stand 20. Oktober 2021) in Russland 226 353 Corona-Tote. Alleine am 20. Oktober wurden 1028 Tote gemeldet, die Marke von 1000 Toten wurde erstmals am 16. Oktober überschritten.

Die Behauptung, es habe in Russland im Jahr 2020 keine Übersterblichkeit wegen des Covid-19-Virus gegeben, ist falsch. Sie steht nicht nur im Widerspruch zu den Erkenntnissen westlicher Statistik-Experten. Die Behauptung der nicht-existenten Übersterblichkeit, die vor allem zu Beginn der Pandemie 2020 vom russischen Staatschef Wladimir Putin verbreitet wurde, hat die Regierung des Landes spätestens seit Ende 2020 fallengelassen.

Die für die Bekämpfung der Pandemie zuständige stellvertretende Ministerpräsidentin Tatyana Golikova sagte am 28. Dezember 2020, es seien deutlich mehr Menschen an Covid-19 gestorben als bisher mitgeteilt. Sie sagte, zwischen Januar und November 2020 habe die Zahl der registrierten Todesfälle um 229 700 über der des vorherigen Jahres gelegen. «Von diesem Zuwachs der Sterblichkeit entfallen 81 Prozent auf Covid», erläuterte sie. Demnach lag Ende 2020 die Übersterblichkeit bereit bei mehr als 186 000 Menschen. Zuvor hatte Russland stets von lediglich 55 265 Corona-Toten gesprochen.

Golikova sagte laut einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Interfax vom 8. Februar 2021, die Zahl der Todesfälle sei während des gesamten Jahres 2020 um 17,9 Prozent höher gewesen als im Vorjahr. «Dies ist Übersterblichkeit, die durch Covid-19 ausgelöste Todesfälle enthält», wurde Golikova von Interfax zitiert. 31 Prozent dieser Übersterblichkeit seien direkt auf Covid-19 zurückzuführen. Jene Toten mit einer Corona-Infektion, bei denen aber andere Krankheiten diagnostiziert wurden und die deshalb in Russland statistisch nicht als Corona-Tote gelten, machten einen Prozentsatz von 50 Prozent aus. Golikova rückte damit von der früheren Aussage ab, Covid-19 habe einen Anteil von 81 Prozent an der Übersterblichkeit.

Die Zeitung «Moscow Times» berichtete ebenfalls am 8. Februar 2020 unter Berufung auf das Statistikamt Rosstat, die Zahl der Todesfälle sei 2020 tatsächlich sogar um 19,6 Prozent angestiegen. 2,12 Millionen Menschen seien in Russland gestorben, 323 000 mehr als im Vorjahr. Dies sei die höchste Totenzahl seit 16 Jahren. Die «Moscow Times» berichtete am 27. August 2021, alleine im Monat Juli 2021 habe die Übersterblichkeit bei 64 000 gelegen. Der starke Anstieg der Totenzahlen - die im Juli um 42 Prozent über dem Vorjahresmonat lagen - bedeute, dass die Übersterblichkeit seit Beginn der Pandemie etwa 596 000 Tote betrage.

Golikova sagte laut einem Bericht der Nachrichtenagentu TASS vom 16. Oktober 2021: «Wir haben ziemlich hohe Sterberaten in den vergangenen Monaten verzeichnet.» Die medizinische Fachzeitschrift BMJ zitiert Golikova mit den Worten: «Leider gab es 2020 in fast jedem Land der Erde Übersterblichkeit - und zwar auf einem Niveau, das wir nicht sehen möchten.»

Verwirrung über genauen Zahlen gibt es unter anderem deswegen, weil das Gesundheitsministerium und die Statistikbehörde unterschiedliche Zahlen veröffentlichen, die auf unterschiedlichen Quellen beruhen. Die Zahlen des Gesundheitsministeriums werden erst nach längeren medizinischen Überprüfungen veröffentlicht. Die 2020 von der russischen Regierung zunächst veröffentlichten Zahlen hatten noch im Verlauf des Jahres Misstrauen bei vielen Experten erregt.

So legte der in Deutschland lebende Dmitry Kobak, der als Experte für Medizinstatistiken gilt, in einem im Februar erschienenen Artikel detailliert dar, dass die russische Sterbestatistik nicht mit den angeblich geringen Todesopfern der Pandemie in Einklang zu bringen sei.

Unabhängig von den genauen Zahlen kann an der Tatsache, dass die Covid-19-Pandemie in Russland eine erhebliche Übersterblichkeit ausgelöst hat, keinerlei Zweifel bestehen. Deswegen ist die Behauptung, es habe in Russland keine Übersterblichkeit gegeben, falsch.

(Stand: 21.10.2021)

Links

Facebook-Post, archiviert
Amtliche Webseite Stopcoronavirus, archiviert
Pressekonferenz Tatyana Golikova, archiviert
Bericht Nachrichtenagentur Interfax, archiviert
Moscow Times, archiviert
Moscow Times 2, archiviert
Bericht TASS, archiviert
Fachzeitschrift BMJ, archiviert
Analyse Kobak, archiviert

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