Behauptungen über Atomkraftwerk Tricastin sind fehlerhaft

20.07.2021, 15:52 (CEST)

In einem Facebook-Post wird behauptet, das «Atomkraftwerk EdF Tricasting Tihange2» weise Risse in allen vier Atomreaktoren auf. Tihange sei «bekannt als marode und abrissfähig». Es seien «Millionen Jod-Tabletten verteilt» worden.

Bewertung

Diese Darstellung ist teilweise falsch und aus dem Zusammenhang gerissen.

Fakten

Das in Facebook-Posts wie diesem genannte Atomkraftwerk «Tricasting Tihange2» gibt es nicht. Gemeint ist offensichtlich das an der Rhône unweit von Pierrelatte gelegene Atomkraftwerk Tricastin. Das von der staatlich kontrollierten Stromgesellschaft Électricité de France (EDF) betriebene Kraftwerk verfügt über vier Reaktoren mit einer Leistung von jeweils etwa 900 Megawatt, die 1980 und 1981 in Betrieb genommen wurden. Sie liefern jährlich etwa 25 Terrawattstunden Elektrizität.

Das Atomkraftwerk Tihange, zu dem auch der Reaktorblock Tihange-2 gehört, liegt in Belgien unweit der wallonischen Stadt Huy. Dessen drei Reaktoren gingen zwischen 1975 und 1985 mit Leistungen zwischen jeweils gut 900 und gut 1000 MW in Betrieb. Dieses Kraftwerk wird von der belgischen Elektrizitätsgesellschaft Engie Electrabel betrieben. Tricastin und Tihange haben nichts miteinander zu tun. Eine Gemeinsamkeit besteht allerdings darin, dass beide Atomkraftwerke wegen Störfällen und möglicher Sicherheitsprobleme immer wieder in die öffentliche Kritik geraten sind. 

Nach einer Mitteilung der französischen Behörde für Nuklearsicherheit (Autorité de sûreté nucléaire/ASN) vom November 2010 wurden seit 1993 insgesamt 33 Hinweise auf Materialfehler in den Reaktordruckbehältern von 9 Atomkraftwerken gefunden. Davon entfielen alleine 20 auf den Reaktor Nummer 1 von Tricastin. Die anderen 13 Auffälligkeiten entfielen auf andere Standorte. Die Behörde für Nuklearsicherheit kam bei der Untersuchung der Fehler zu dem Schluss, dass diese die Sicherheit der Reaktoren nicht beeinträchtigten.

Die Behörde stellte im April 2020 auch fest, dass die Laufzeit der Reaktoren über die auch für Tricastin geltende Dauer von maximal 40 Jahren verlängert werden könne, sofern «ehrgeizige» Verbesserungen der Sicherheitsvorkehrungen getroffen würden. Für die auf Facebook aufgestellte Behauptung, alle vier Reaktorblöcke von Tricastin wiesen Risse auf, gibt es keine Belege. Auch die französische Sektion der Umweltorganisation Greenpeace behauptet dies nicht.

Im belgischen Atomkraftwerk Tihange wurden schon 2012 im zweiten Reaktorblock Tausende feiner Risse festgestellt. Vor allem aus dem benachbarten Nordrhein-Westfalen wurde deswegen immer wieder Besorgnis über den störanfälligen Reaktor unweit der Grenze geäußert. Dort wurden auch vorsichtshalber Jodtabletten in der Region Aachen verteilt. Electrabel teilte Ende 2020 nach längeren Diskussionen mit der belgischen Regierung mit, dass der Reaktor Tihange-2 Anfang 2023 abgeschaltet werden soll.

Nicht nur Regierungen der Nachbarstaaten, auch Umweltorganisationen wie Greenpeace hatten den Betrieb der Reaktoren in Tricastin, Tihange und anderenorts scharf kritisiert. Die Behauptungen in dem Facebook-Post werden mit einer Grafik illustriert, die am 18. Juni 2021 auf der Webseite von Greenpeace Luxemburg erschien. In dieser Grafik wird die potentielle Gefahr dargestellt, die im Falle eines schweren Atom-Unfalls nach einer Schätzung des Biosphären-Instituts infolge einer radioaktiven Wolke aus Tricastin entstünde.

Die Grafik zeigt eine Wolke, die sich aus dem Rhônetal in nördlicher Richtung ausbreitet und weite Teile West- und auch Osteuropas erreicht. Der Facebook-Post, der mit dem Wort «Breaking» eingeleitet wird und damit Aktualität vorspiegelt, erläutert allerdings nicht, dass es sich bei der dargestellten Wolke um eine Simulation eines zwar möglichen, aber bisher nicht eingetretenen Ernstfalls handelt.

Im Zusammenhang mit der Warnung vor einem Atomunfall bekräftigt Greenpeace die Kernpunkte seiner Kritik am Beispiel von Tricastin: Neben den feinen Rissen in einem Reaktorbehälter wird auf das Alter des Kraftwerks hingewiesen und auf das im Rhonetal erhöhte Erdbebenrisiko. Man wisse nicht, ob das Kraftwerk Tricastin einem starken Erdbeben standhalten könne. Zudem liege das Kraftwerk sechs Meter unter dem Niveau eines nahen Kanals: im Erdbebenfall könne ein Durchbruch des Dammes nicht ausgeschlossen werden. Das Kraftwerk liegt tiefer als der Kanal, es befindet sich aber anders als im Facebook-Post dargestellt nicht «unter dem Rhonekanal».

Im Februar 2020 waren Greenpeace-Aktivisten in das Gelände des Atomkraftwerks Tricastin eingedrungen und hatten dessen Schließung gefordert. Ende Juni 2021 begann vor einem Gericht in Valence ein Verfahren gegen insgesamt 34 Angeklagte ein Prozess wegen Hausfriedensbruchs. Ein Urteil wurde am 7. September erwartet.

(Stand: 20.7.2021)

Links

Facebook-Post (archiviert)

EDF zu Tricastin (archiviert)

BRF über Tihange (archiviert)

Risse in Tihange (archiviert)

ASN zu Reaktorsicherheit (archiviert)

ASN zu Laufzeitverlängerung (archiviert)

Electrabel zu Tihange (archiviert)

Initiative Stop Tihange (archiviert)

Greenpeace Luxemburg (archiviert)

Gerichtsverfahren (archiviert)

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