Falscher Vergleich

Von der Leyen hat weder Lüge noch «Klimahysterie» zugegeben

22.04.2024, 15:01 (CEST)

Leugner des Klimawandels sind überzeugt, dass dies eine große Lüge und «Klimahysterie» ist. Dass nun sogar die EU-Kommissionspräsidentin diese Auffassung teile - das ist allerdings falsch.

In sozialen Netzwerken wird ein Video geteilt, in dem behauptet wird, «Von der Leyen und das ganze EU-Parlament» hätten «jetzt zugegeben, dass die ganze Klimahysterie gelogen war». Dies gehe aus einem neuen Strategiepapier des Europäischen Parlaments hervor. Und das zeige, «dass die Klimadebatte völlig faktenfrei und reine politische Agenda war».

Bewertung

Die Behauptung ist falsch. Das EU-Parlament und die Kommission arbeiten weiter am Klimaschutz. Das Video vergleicht zudem zwei Dokumente, die nicht vergleichbar sind.

Fakten

In dem Video wird zunächst darauf hingewiesen, dass die EU alle fünf Jahre ein Strategiepapier vorlegt, in dem die «aller-allerwichtigsten politischen Themen» aufgelistet werden (Minute 0:30). 2019 habe das Klimathema noch «ganz oben» auf der Liste gestanden.

Als Beweis dafür zieht der Autor ein Papier über die Prioritäten der Europäischen Kommission für die Jahre 2019 bis 2024 heran und sagt, das seien die Prioritäten der Euopäischen Union, also deren Strategiepapier. Und er vergleicht es dann mit dem derzeit in Brüssel kursierenden Entwurf für ein EU-Strategiepapier für die Jahre 2024-2029.

Älteres Dokument ist gar nicht das EU-Strategiepapier

Da die gesamte Argumentation auf dem Vergleich der beiden Papiere beruht, ist die Tatsache wichtig, dass das ältere Papier von Ursula von der Leyen keineswegs das EU-Strategiepapier ist. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem im Video gezeigten Papier der jetzigen Kommissionspräsidentin um eine Art Bewerbungsschreiben. Unter dem Titel «Eine Union, die mehr erreichen will - Meine Agenda für Europa» ist daher auch deutlich zu lesen: «Von der Kandidatin für das Amt der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen».

Das Strategiepapier für die Jahre 2019-2024, welches man mit dem Entwurf für das Strategiepapier der Jahre 2024-2029 vergleichen könnte, umfasst acht Seiten und ist unter dem Titel «Eine neue Strategische Agenda 2019-2024» im Juni 2019 veröffentlicht worden.

Über die EU-Strategie entscheidet der Europäische Rat

Die EU-Strategie wurde schon 2019 und wird auch 2024 vom Europäischen Rat festgelegt. In diesem Gremium sind die Staats- oder Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten vertreten. Präsident des Europäischen Rates ist der frühere belgische Regierungschef Charles Michel. Die Präsidentin der Europäischen Kommission hingegen, Ursula von der Leyen, darf an den Sitzungen des Europäischen Rates teilnehmen, hat dort aber kein Stimmrecht.

Die Argumentation in dem Video stützt sich auf den Vergleich zwischen dem fälschlicherweise zum Strategiepapier erhobenen Dokument von Ursula von der Leyens mit dem Entwurf für das Strategiepapier des Europäischen Rates für die Jahre 2024-2095. Über die tatsächliche Strategie soll nach weiteren Diskussionen im Juni 2024 entschieden werden. Vorher sind noch Änderungen möglich und wahrscheinlich.

Irreführendes Video vergleicht Apfel mit Birne

Beim Vergleich dieser beiden völlig unterschiedlichen Papiere kommt der Autor des Videos zu der Erkenntnis, dass in dem Papier der Kandidatin Von der Leyen das Wort «Klima» 18 mal auftaucht. Unter Berufung auf einen Artikel des Magazins Politico vom 11. April über den Entwurf für die EU-Strategie der nächsten fünf Jahre teilt der Autor mit, dass in diesem Entwurf der Klimawandel oder der Umweltschutz gar nicht mehr vorkomme.

Tatsächlich hat «Politico» unter der (sinngemäßen) Überschrift «Bomben statt Bienen» auf die Abwesenheit der Klimafragen in dem Strategie-Entwurf hingewiesen. Die Tatsache, dass in dem Ratsentwurf von Charles Michel die Klimakrise und der Klimaschutz kaum noch erwähnt werden, löste Kritik aus.

Vor allem Umweltorganisationen wie Greenpeace oder der WWF zeigten sich entsetzt darüber, dass von der Klimakrise in dem Entwurf kaum noch die Rede ist. Dort heißt es lediglich, man müsse Innovation und Forschung auch im Bereich der Verteidigung fördern und Europa «auf dem Weg zur Klimaneutralität begleiten». Im tatsächlichen EU-Strategiepapier für die Jahre 2019-2024 kam das Wort Klima immerhin acht Mal vor.

Neue Schwerpunkte werden zu Eingeständnis umgedeutet

Allerdings ist der bisherige, nur zwei Seiten lange Entwurf Michels für die künftige EU-Strategie noch keineswegs das endgültige Papier. Michel hatte während der Vorarbeiten für das Strategiepapier betont, neue Konflikte, insbesondere der russische Krieg gegen die Ukraine, bedeuteten, dass sich die EU künftig vor allem Gedanken über Sicherheit und Verteidigung, Wettbewerbsfähigkeit, Energie, Migration, globale Verantwortung und die Erweiterung der Union machen müsse.

Dagegen wird in dem Video die Tatsache, dass die Klimakrise nicht mehr erwähnt wird, (ab 06:15) zu einem Eingeständnis umgedeutet, dass die EU diese Krise als «fette Lüge» erfunden habe: «Wir wurden alle komplett verarscht.» Die EU mache «selbst eine 180-Grad-Wende und verbannt den Klimawandel von ihrer Agenda».

Das ist ebenso falsch wie die Behauptung, Von der Leyen «und das ganze EU-Parlament» hätten jetzt zugegeben, dass die «Klimahysterie» erfunden gewesen sei. Das Europaparlament, das sich ständig für mehr Klimaschutz einsetzt, hat sich ebensowenig wie von der Leyen in diesem Sinn geäußert. Entgegen den Behauptungen hat es daher zusammen mit Von der Leyen auch kein entsprechendes Strategiepapier veröffentlicht.

(Stand 22.04.2024)

Links

Post bei Threads (archiviert)

Video (archiviert)

Entwurf EU-Strategiepapier 2024 bis 2029 (archiviert)

Papier Von der Leyen (archiviert)

EU-Strategiepapier 2019-2024(archiviert)

Politico (archiviert)

Greenpeace über Entwurf (archiviert)

Warnung von Umweltschützern (archiviert)

Beratungen dauern an (archiviert)

Charles Michel über Konflikte und Prioritäten (archiviert)

EU-Parlament zum Klimaschutz (archiviert)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.