Lieber leben als sterben

Videos von Klitschko-Interview irreführend geschnitten

08.04.2024, 17:03 (CEST)

Dass sich Wladimir Klitschko bei Markus Lanz dem Einsatz im Ukrainekrieg verweigerte, stimmt nicht. Mit irreführend geschnittenen Videos lässt sich aber genau dieser Eindruck erwecken.

Spätestens seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine sind die Klitschko-Brüder im deutschen Fernsehen häufig eingeladene Talkshowgäste. Ein Auftritt von Wladimir Klitschko in der ZDF-Sendung Markus Lanz verbreitet sich derzeit in sozialen Medien. In dem auf mehreren Plattformen geteilten 45-Sekunden-Clip sieht man zunächst Lanz, der den ehemaligen Boxweltmeister nach dessen Bereitschaft zum Einsatz an der Front befragt. Klitschko antwortet darauf, dass jeder unter 60 in der Pflicht stehe. Danach gibt es mitten im Satz einen harten Schnitt, der Rest seiner Antwort fehlt.

Im Video folgt darauf direkt eine weitere Aussage Klitschkos. Die Frage «Bist du bereit, für dein Land zu sterben?» richtet er an sich selbst. Als Antwort, die «der Unterschied zwischen russischen und ukrainischen Soldaten» sei, erklärt er: «Nein, ich bin nicht bereit für das Land zu sterben. Ich bin bereit, für das Land zu leben. Das ist eh komplizierter als sterben».

Im Zusammenhang mit dem Video wird Klitschko vorgeworfen, sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Aber hat er das wirklich so gemeint?

Bewertung

Die Videos sind geschnitten und stellen Klitschkos Antworten deutlich verkürzt dar. In dem Interview zeigte er sich für einen Einsatz an der Front bereit.

Fakten

Der Auftritt von Klitschko bei Markus Lanz wurde bereits am 26. September 2023 erstausgestrahlt. Die Sendung ist voller Länge in der ZDF-Mediathek abrufbar. Das aktuell geteilte Video enthält nur 45 Sekunden aus der über eine Stunde langen Sendung, in der Klitschko mehrmals zu Wort kommt.

In dieser Kurzform können Klitschkos Aussagen falsch verstanden werden. In dem Teil des Interviews, der herausgeschnitten wurde (ab 23:05), erklärt er ausdrücklich seine Bereitschaft zum Kriegsdienst.

Jeder Mann unter sei verpflichtet, an die Front zu gehen, «ab gewissen Zeitpunkt auch mit den Waffen», erklärt Klitschko. Auf Nachfrage von Lanz, ob er selbst auch dazu bereit sei, antwortet Klitschko: «Ich bin nicht nur bereit, ich war schon an der Front, um die Eindrücke zu schaffen».

Klitschko will Motivation ukrainischer Soldaten hervorheben

Die Aussage, er wäre «nicht bereit, für das Land zu sterben», folgt erst danach, und wird von Klitschko in der Sendung ab 24:20 ausführlicher erläutert. Das geschnittene Video enthält diesen Teil jedoch nicht. Die Aussage bezieht er auf unterschiedliche Hintergründe der russischen und ukrainischen Soldaten. Russland würde eingezogene Soldaten mit wenig Aussicht auf ihr Überleben in den Kampf schicken, die anschließend fallen würden, sagt Klitschko. Diesen Ansatz würde Russland ständig wiederholen, und die eigenen Soldaten somit wie Sklaven behandeln.

Die ukrainischen Soldaten seien dagegen «in der Mehrheit» nicht eingezogen, sondern freiwillig im Dienst, um das eigene Land zu verteidigen. Das sei «ein ganz ganz anderes Bild», meint Klitschko, denn Ukrainer «wollen leben» für das Land.

Russische Strategie bereitet Ukraine Probleme

Für Klitschkos Auslegung der russischen Strategie gibt es durchaus Belege. Im April 2023 berichtete die BBC über den Angriff auf die ostukrainische Stadt Bachmut, in dem Russland «Menschenwellen» auf das Schlachtfeld geschickt habe. Die Soldaten hätten zuvor unzureichendes Training bekommen, bevor sie trotz geringer Überlebenschancen auf das Schlachtfeld geschickt wurden. Mit der Strategie habe Russland Erfolg, da die ukrainischen Soldaten die Vorstöße zwar anfangs verteidigen können, damit aber ihre Positionen aufdecken und viel Munition verbrauchen.

Die «New York Times» berichtete über Schätzungen der US-Regierung im letzten August, wonach Russland mit dieser Strategie fast 300 000 tote und verletzte Soldaten verzeichnet habe. Die Ukraine habe nur etwa 190 000 Tote und Verletzte verzeichnen müssen. Im Krieg könne Russland aber auf fast dreimal so viele Truppen zurückgreifen. Unabhängig überprüfen lassen sich die Zahlen nicht.

Mit seiner Darstellung der ukrainischen Soldaten, die er als «freie Menschen» bezeichnete, bezog sich Klitschko explizit auf Freiwillige. Unter Wehrpflichtigen, die sich nicht selbst zum Dienst entscheiden, gehe dagegen Angst um, berichtete die «Tagesschau» schon vor Klitschkos Auftritt im März 2023. Um der Einberufung zu entgehen, würden sich wehrpflichtige Ukrainer teilweise nicht mehr in die Öffentlichkeit trauen. Auf der Chatplattform Telegram gäbe es dazu Kanäle, in dem sich Ukrainer gegenseitig auf die Standorte von Rekrutierern aufmerksam machen.

(Stand: 4.4.2024)

Links

Reel auf Instagram (archiviert: Post, Video)

Video auf X (archiviert)

Markus Lanz vom 26. September 2023 in der ZDF Mediathek (archiviert: Seite, Video)

Bericht zu Bakhmut-Kampf der BBC (archiviert)

Bericht der New York Times, kostenpflichtig (archiviert)

Bericht der Tagesschau (archiviert)

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