Frage der Formulierung

Personen im ORF-Beitrag werden als «Opfer» und nicht als Tote bezeichnet

21.12.2023, 14:45 (CET), letztes Update: 21.12.2023, 14:50 (CET)

Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Österreich wird Manipulation vorgeworfen. In einem Bericht zum Gaza-Krieg sei eine lebende Person als tot ausgegeben worden. Doch der ORF hat das nie behauptet.

Nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel und dem Beginn des aktuellen Kriegs im Gazastreifen gibt es wiederholt Behauptungen, dass Palästinenser das Leid der dortigen Bevölkerung inszenieren würden. Nun wird ein solcher Vorwurf auch gegen eine bekannte deutschsprachige Nachrichtensendung erhoben. In «ZIB 2» im Sender ORF seien Opfer israelischer Angriffe angeblich als Tote dargestellt worden. Eine der gezeigten Personen habe sich dann aber plötzlich bewegt. Hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Österreich also seine Zuschauer getäuscht?

Bewertung

Nein. In der fraglichen Passage im ORF-Beitrag ist nicht von getöteten Palästinensern, sondern allgemein von «Opfern» eines israelischen Angriffs die Rede. Auch der Mann, der in der Sequenz offenbar verletzte Angehörige beklagt, spricht nicht von einer getöteten Person.

Fakten

Von einem «handfesten Skandal» ist in den Beiträgen auf Facebook die Rede. Eine tote Frau habe im Bericht der Nachrichtensendung den Kopf bewegt. Zynisch heißt es: «Große Auferstehung».

Doch aus dem ORF-Beitrag geht das gar nicht hervor. Das zeigt schon ein Blick in den kurzen Ausschnitt, der auf Facebook präsentiert wird. Zu hören ist, wie eine Sprecherin die arabische Aussage eines Mannes übersetzt. Er zeigt auf zwei Personen im Vordergrund, die offenbar auf einem Karren liegen, in dem Beitrag jedoch unkenntlich gemacht wurden. Eine davon bewegt kurz Kopf und Oberkörper, nach einer Geste des Mannes legt sie sich aber wieder hin. «Das sind die Opfer dieser kriminellen Aggression», sagt der Mann laut ORF-Übersetzung. Von Leichen oder Toten ist in Bezug auf die Szenerie also nicht die Rede.

Es ist nicht ganz klar, wann im Original dieser Satz fällt, denn der O-Ton der Sprecherin überstrahlt die Äußerungen des Mannes. Ganz zu Beginn spricht er auf Arabisch noch darüber, dass die Personen im Vordergrund «zehn Tage im Krankenhaus» gewesen seien.

ORF berichtete über israelische Razzia in Krankenhaus

Was ist der Hintergrund der gezeigten Szene? Im vollständigen Beitrag aus der ZIB-2-Ausgabe vom 17. Dezember geht es um eine Razzia der israelischen Armee in einem Krankenhauses im Norden des Gazastreifens. Unter Berufung auf den arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira heißt es im Beitrag, dass Israel mit einem Bulldozer Zelte von Vertriebenen zerstört und Menschen getötet habe.

Einen solchen Bericht von Al-Dschasira gibt es tatsächlich. Der Sender beruft sich auf Ärzte und Augenzeugen. Die Informationen lassen sich aber nicht unabhängig prüfen. Durch die israelische Seite bestätigt ist lediglich ein Einsatz an und in dem Krankenhaus, das laut Darstellung der Armee der islamistischen Hamas als «wichtiges Kommandozentrum» gedient hat. Kritik an Israel kam später auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), da Israel ein Krankenhaus zerstört habe und Patienten gestorben seien. Israels Vertretung bei den Vereinten Nationen wies das zurück, da der größte Teil des Krankenhauses in einem humanitären Zeitfenster evakuiert worden sei.

Im Beitrag ist von «Zivilbevölkerung» und «Opfern» die Rede

Auf die mutmaßliche Hamas-Zentrale im Krankenhaus geht auch der ORF ein und beruft sich dabei auf Angaben der israelischen Armee. Es sind auch Aufnahmen zu sehen, die offenbar von Soldaten gemacht wurden. Dann geht es im ORF um mutmaßliche zivile Opfer. Wörtlich heißt es: «Dazwischen, wie immer in diesem Krieg: Die Zivilbevölkerung.» Zunächst sind in einer Aufnahme mutmaßlich tatsächlich Leichen zu sehen. Ein Mensch wird von anderen in ein Leichentuch gewickelt. Rechts im Bild ist mutmaßlich ein bereits eingewickelter Leichnam zu sehen.

Nach einem Schnitt folgt die Szene, die angeblich den Manipulationsvorwurf zeigen soll: Der Mann mit zwei Personen vor ihm auf einem Karren. Danach ist ein weiterer Mann zu sehen, der auf Sand und Trümmer zeigt und laut dem Beitrag seinen vermissten Sohn darunter vermutet. Im Anschluss geht der ORF auf die politische Diskussion rund um den Krieg ein.

Sender prüft rechtliche Schritte

An keiner Stelle des ORF-Beitrags wird behauptet, dass die unkenntlich gemachten Personen Leichen seien. Es fallen lediglich die Begriffe «Zivilbevölkerung» und «Opfer», was auch Verletzte einschließt. Es gibt auch keine Anhaltspunkte, dass der Mann in dem kurzen Ausschnitt des Beitrags die Menschen auf dem Karren vor ihm als tot ausgegeben haben könnte.

Verantwortliche des ORF reagierten am Montag nach der Sendung auf die Vorwürfe. Sendersprecher Martin Biedermann teilte auf der Plattform X mit, dass es sich bei den Aufnahmen um geprüftes Agenturmaterial der Europäischen Rundfunkunion EBU und der Nachrichtenagentur Reuters handele. Es habe auch einen Faktencheck durch den ORF gegeben. Zudem verwies Biedermann auf die Formulierung «Opfer» im Gegensatz zu der vermeintlichen Wortwahl «Leiche». Die Unkenntlichmachung habe persönlichkeitsrechtliche Gründe. Einen Vorwurf des «Schwindels» weise man scharf zurück und prüfe rechtliche Schritte.

(Stand: 21.12.2023)

Links

Kompletter Beitrag des ORF (archiviert; Video archiviert)

dpa-Bericht über die Razzia via «RND» (archiviert)

Artikel von Al-Dschasira (archiviert)

X-Beitrag von WHO-Direktor Tedros (archiviert)

X-Beitrag der israelischen UN-Vertretung (archiviert)

X-Beitrag des Sendersprechers (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviert; Video archiviert)

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