Die Souveränität Deutschlands steht außer Frage

27.03.2023, 14:33 (CEST)

Auch wenn die russische Führung und Staatsmedien das Gegenteil behaupten - Deutschland ist ein souveräner Staat. Daran ändern auch aus dem Kontext gerissene Aussagen deutscher Politiker nichts.

Aussagen ohne Kontext

Ein zentraler Bestandteil der Ideologie der sogenannten «Reichsbürger»-Szene ist der Glaube an das fortbestehende Deutsche Reich. Ein aktuell verbreitetes Video soll diese These stützen. Darin äußert sich zunächst der russische Präsident Wladimir Putin zum Thema. Dem schließen sich Ausschnitte aus Reden deutscher Politiker sowie aus russischen Medien an. Aber was steckt wirklich hinter den - auffällig kurz geschnittenen - Aussagen?

Bewertung

Deutschland ist ein souveräner Staat, auch wenn Putin das anzweifelt. Die Zitate der deutschen Politiker sind aus dem Zusammenhang gerissen.

Fakten

Beim Besuch der Moskauer Lomonossow-Universität am 25. Januar 2023 sagte Wladimir Putin: «Streng genommen sind es formal und rechtlich gesehen Besatzungstruppen, die sich auf dem Territorium Deutschlands befinden.» Doch dieses Narrativ ist falsch und wurde durch Fachleute schon lange widerlegt.

So schreiben etwa die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags: «Der am 15. März 1991 in Kraft getretene Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 markiert den Schlusspunkt der schrittweisen Wiederherstellung der vollen Souveränität Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.» Zuvor galt für die Bundesrepublik noch eine Souveränität unter Vorbehalt, die unter anderem eine Stationierung von Truppen der Siegermächte im Land vorsah.

Die Ausschnitte aus den Reden deutscher Politiker sind deutlich älter als Putins Statement und allesamt aus dem jeweiligen Zusammenhang gerissen:

Carlo Schmid

Im kurzen Ausschnitt der Rede von Carlo Schmid aus dem Jahr 1948 sagt der SPD-Politiker: «[...] nicht die Verfassung Deutschlands oder Westdeutschlands zu machen. Wir haben keinen Staat zu errichten.» Die ersten Worte und der folgende Satz sind abgeschnitten: «Wir haben etwas zu schaffen, das uns die Möglichkeit gibt, gewisser Verhältnisse Herr zu werden.» Schmids Aussage bezog sich auf eine konkrete historische Situation - nämlich die Teilung Deutschlands, die sich heute ganz anders darstellt.

Ernst Albrecht

Der ehemalige CDU-Ministerpräsident von Niedersachsen, Ernst Albrecht, spricht in der Sequenz davon, dass er Leute kenne, «die davon reden, dass das Deutsche Reich rechtlich nicht untergegangen ist - und dazu gehört unser Verfassungsgericht.» Er bezieht sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 1973 zum Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR.

Dieser wurde von der damaligen sozialliberalen Bundesregierung und der DDR beschlossen, um während der Teilung die Beziehungen beider Staaten zueinander zu regeln. Nachdem Bayern beim BVerfG ein Normenkontrollverfahren gegen den Vertrag beantragt hatte, hieß es in der Entscheidung des Gerichts wörtlich: «Das Deutsche Reich existiert fort (...)» und «Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht "Rechtsnachfolger" des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat "Deutsches Reich", in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings "teilidentisch", sodass insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht.»

Das Bundesverfassungsgericht ist also nicht der Ansicht, dass es noch ein reales Deutsches Reich gibt, sondern dass es vielmehr - zumindest zum Teil - in der Bundesrepublik aufgegangen ist. Zudem lässt der Ausschnitt im Video den direkt darauffolgenden Satz Albrechts aus: «Aber ich kenne keinen namhaften Politiker (...), der die Wiederherstellung des Reiches von 1937 zu seinem Ziel gemacht hätte.»

Theo Waigel

Ähnlich wie bei Albrecht verhält es sich mit dem kurzen Clip des ehemaligen Bundesfinanzministers Theo Waigel (CSU) aus seiner Rede anlässlich des Deutschlandtreffens der Schlesier 1989. Ein Faktencheck der dpa macht deutlich, dass Waigel sich ebenfalls auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 bezog und Deutschland als Staat nicht infrage stellte.

Sigmar Gabriel

Der Ausschnitt von Sigmar Gabriel stammt vom Landesparteitag der NRW-SPD in Dortmund am 26. Februar 2010. Die Aussage, dass Deutschland «gar keine Bundesregierung» hat und Frau Merkel «Geschäftsführerin einer neuen Nichtregierungsorganisation in Deutschland» ist, ist Ironie. Dies hat Gabriel auch in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der Deutschen Presse-Agentur bestätigt.

Wolfgang Schäuble

Der Clip von Wolfgang Schäuble entstammt einem Vortrag auf dem 21. Europäischen Bankenkongress im Jahr 2011. Auch hier fehlt erneut der entscheidende Kontext: Im Vorfeld der zitierten Aussage verweist Schäuble auf die nationale Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten hinsichtlich Finanzpolitik und Budgetrecht des Parlaments, wie ein dpa-Faktencheck hervorhebt.

(Stand: 24.3.2023)

Links

Facebook-Post mit Video (archivierter Post, archiviertes Video)

Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus über Reichsbürger (archiviert)

Wissenschaftliche Dienste des Bundestags u.a. über Zwei-plus-Vier-Vertrag (2016) (archiviert)

Urteil des Bundesverfassungsgericht 1973 zum Grundlagenvertrag (archiviert)

Bundeszentrale für politische Bildung über das Urteil zum Grundlagenvertrag (archiviert)

Ausschnitt aus Theo Waigels Rede, 1989 (archiviert)

Sigmar Gabriel beim Landesparteitag der SPD in Düsseldorf im Februar 2010

Informationen zu Carlo Schmid (archiviert)

Rede von Schmid aus dem Jahr 1948 (archiviert)

Wolfgang Schäuble auf dem 21. Europäischen Bankenkongress 2011 (archiviert)

dpa-Faktencheck zu Theo Waigel und Wolfgang Schäuble

dpa-Faktencheck zu Sigmar Gabriel

dpa-Faktencheck zu Carlo Schmid

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