Irreführendes Video

Die Bundesrepublik existiert als souveräner Staat

22.3.2023, 15:54 (CET), letztes Update: 22.3.2023, 16:59 (CET)

In einem Videobeitrag, der auf Facebook und Tiktok kursiert, werden diverse Behauptungen aufgestellt, laut denen Deutschland nie als souveräner Staat gegründet wurde. Entsprechend gebe es keine legitimen Beamten, Gesetzgeber oder Wahlen. Dazu wird unter anderem auf Aussagen des Politikers und Staatsrechtlers Carlo Schmid, der «obersten Richter», sowie auf die «SHAEF-Gesetze» verwiesen. Die Schlussfolgerung: «Alle Corona-Verordnungen haben damit also auch keinerlei Rechtsgrundlage und hätten (...) nicht beschlossen werden dürfen.» Was ist an diesen Behauptungen dran?

Bewertung

Eindeutig falsch. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein 1949 gegründeter, seit 1991 endgültig souveräner, international anerkannter Staat. Die Aussagen des Politikers und Staatsrechtlers Carlo Schmid und des Bundesverfassungsgerichts werden kontextlos und falsch interpretiert.

Fakten

Es werden gleich mehrere Behauptungen im Video aufgestellt, deren zentraler Ausgangspunkt die mutmaßliche Nicht-Existenz Deutschlands als souveräner Staat ist. Diese Behauptung wird unter «Reichsbürgern» häufig verbreitet - aber immer wieder widerlegt. Deutschland wurde mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag, der im März 1991 in Kraft trat, endgültig souverän. Zuvor gab es noch eine Souveränität unter Vorbehalt, die unter anderem eine Stationierung von Truppen der Siegermächte im Land vorsah.

Drei Kernargumente des Videos - und warum sie nicht belegen, dass «die BRD nie gegründet wurde»:

Wer war Carlo Schmid?

Carlo Schmid war SPD-Politiker und in den 1960er Jahren Bundesminister. In den Jahren 1948 und 1949 wirkte er im Verfassungskonvent und im Parlamentarischen Rat an der Ausarbeitung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland mit. In einer Rede im Jahr 1948 sagte er: «Wir haben nicht die Verfassung Deutschlands oder Westdeutschlands zu machen. Wir haben keinen Staat zu errichten. Wir haben etwas zu schaffen, das uns die Möglichkeit gibt, gewisser Verhältnisse Herr zu werden.»

Schmid begriff das Grundgesetz als ein Provisorium, da die Sowjetische Besatzungszone - die spätere DDR - nicht einbezogen wurde. Erst seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag ist das Grundgesetz die Verfassung der gesamten Bundesrepublik, also auch der ostdeutschen Bundesländer. Damals entschied man sich dagegen, für das wiedervereinigte Deutschland eine komplett neue Verfassung zu entwerfen. Schmids Aussage bezieht sich also auf eine konkrete historische Situation, die sich heute ganz anders darstellt.

Die «obersten Richter» und ihr Urteil

Der Verweis auf die «Bestätigung» durch die «obersten Richter» am 31. Juli 1973 bezieht sich das auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Damals stellten die Verfassungsrichter fest, dass der Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dieser wurde von der damaligen sozialliberalen Bundesregierung und der DDR beschlossen, um während der Teilung die Beziehungen beider Staaten zueinander zu regeln.

Nachdem Bayern beim Bundesverfassungsgericht ein Normenkontrollverfahren gegen den Vertrag beantragt hatte, hieß es in der Entscheidung des Gerichts wörtlich: «Das Deutsche Reich existiert fort (...)» und «Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht "Rechtsnachfolger" des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat "Deutsches Reich", in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings "teilidentisch", sodass insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht.» Das Bundesverfassungsgericht ist also nicht der Ansicht, dass es noch ein reales Deutsches Reich gibt, sondern es vielmehr - zumindest zum Teil - in der Bundesrepublik aufgegangen ist.

Die «SHAEF-Gesetze»

Die am Ende des Videos erwähnten «SHAEF-Gesetze» sind ein beliebter Mythos unter Reichsbürgern und anderen Menschen, die die Existenz der Bundesrepublik und ihrer Gesetze anzweifeln. «SHAEF» steht für «Supreme Headquarters of the Allied Expeditionary Force», den obersten Befehlshaber der Alliierten Streitkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die sogenannten SHAEF-Gesetze beziehen sich meist auf das von den Alliierten erlassene Besatzungsrecht und haben keine Gültigkeit mehr, wie das Bundesinnenministerium 2017 in einer Bürgeranfrage nochmals bestätigte. Das Besatzungsrecht wurde entweder in Gesetze des Bundes oder der Länder überführt, durch Gesetze aufgehoben oder letztmalig im Jahr 2007 durch das «Zweite Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz» außer Kraft gesetzt.

Was sind «Reichsbürger»?

«Reichsbürger» und «Selbstverwalter» bestreiten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland. Viele von ihnen glauben an den Fortbestand des Deutschen Reiches. Ihre Thesen sind vielfach widerlegt worden. Teile der Szene werden von den Behörden als rechtsextrem eingestuft, zumal sie oft den demokratisch gewählten Repräsentanten in Deutschland die Legitimation absprechen. In seinem jüngsten Jahresbericht von 2021 rechnet der Verfassungsschutz bundesweit etwa 21 000 Menschen zu diesen Gruppen.

(Stand: 22.3.2023)

Links

Infos des Auswärtigen Amtes zum Zwei-Plus-Vier-Vertrag (archiviert)

Infos der Bundeszentrale für Politische Bildung zur deutschen Souveränität nach 1945 (archiviert)

dpa-Faktencheck zum Zitat von Carlo Schmid

Informationen zu Carlo Schmid (archiviert)

Rede von Schmid, 1948 (archiviert)

Weitere Informationen zur Haltung Schmids (archiviert)

Informationen zu Grundgesetz und Wiedervereinigung 1990 (archiviert)

Urteil des Bundesverfassungsgericht 1973 zum Grundlagenvertrag (archiviert)

Bundeszentrale für politische Bildung über das Urteil zum Grundlagenvertrag (archiviert)

Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus über Reichsbürger und den Grundlagenvertrag (archiviert)

Informationen über SHAEF beim US-Verteidigungsministerium (archiviert)

Antwort des Bundesinnenministeriums auf Bürgerfrage zur Gültigkeit von Besatzungsrecht (archiviert)

Verfassungsschutzbericht 2021 (archiviert)

Facebook-Beitrag (archvierter Beitrag, archiviertes Video)

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