Unrealistische Zahlen

Angeblicher Personalschlüssel in der Flüchtlingsbetreuung weit übertrieben

26.01.2023, 17:05 (CET)

Die Zahl der in Deutschland gestellten Asylanträge steigt. Mit ihr wird das Narrativ populärer, Flüchtlinge würden bevorzugt behandelt. Ein Blick auf die Zahlen zeigt etwas anderes.

Die Zahl der Asylanträge in Deutschland steigt. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) rund 244 000 Anträge gestellt. Mehr Anträge gab es seit 1994 nur in den Jahren 2015 und 2016.

Ein auf Facebook häufig geteiltes Bild erweckt den Eindruck, diese Zahl wirke sich negativ auf das deutsche Gesundheits- und Pflegesystem aus. Flüchtlinge würden bevorzugt behandelt. «Deutschland ist, wenn sich zwei Sozialarbeiter um fünf Flüchtlinge kümmern, während sich zwei Krankenpfleger um 30 Patienten oder zwei Altenpfleger um 60 Bewohner kümmern», heißt es.

Bewertung

Die genannten Zahlen zur Pflege können in Ausnahmefällen zutreffen, die Zahl zur Flüchtlingsbetreuung ist aber gewaltig übertrieben.

Fakten

Für wie viele Flüchtlinge ein Sozialarbeiter im Durchschnitt zuständig ist, ist schwer zu erheben und unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. In den Landesunterkünften in Schleswig-Holstein betreut ein Sozialarbeiter zurzeit, je nach Belegung, etwa 60 bis 70 Flüchtlinge, wie das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge auf Anfrage mitteilte. In Rheinland-Pfalz ist in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes den Angaben des Ministeriums für Integration zufolge ein Sozialarbeiter für 80 Flüchtlinge vorgesehen.

Der Betreuungsschlüssel in Sachsen bewege sich zwischen eins zu 130 und eins zu 150, teilte das Sozialministerium mit. In Bayern stünden 760 Flüchtlings- und Integrationsberater mehr als 152 000 ukrainische Kriegsflüchtlingen und 38 000 Asylbewerbern mit Beratungsbedarf gegenüber. «Dass sich im Schnitt zwei Sozialarbeiter um fünf Flüchtlinge kümmern, können wir ins Land der Märchen verweisen», sagte ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums.

In deutschen Krankenhäusern gibt es eine Personaluntergrenze. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums soll sich eine Pflegekraft um höchstens zwei bis 13 Patienten kümmern - je nach Gesundheitszustand des Patienten. Auf der Intensivstation soll eine Pflegefachkraft durchschnittlich zwei Patienten am Tag versorgen, in der Rheumatologie sind es 13. Nachts können es mehr als doppelt so viele Patienten pro Pfleger sein. Sind die Patientenzahlen stark erhöht, zum Beispiel durch eine Epidemie, muss die Untergrenze nicht eingehalten werden.

Die personelle Besetzung in der Altenpflege ist im Sozialgesetzbuch verankert, aber nicht bundeseinheitlich geregelt. In Baden-Württemberg kümmert sich nach Angaben des Gesundheitsministeriums ein Altenpfleger durchschnittlich um einen bis sechs Bewohner - je nach Pflegegrad. Hinzu komme Personal für die Hauswirtschaft, Qualitätsmanagement und Leitung.

Die Situation in der Pflege sei sehr angespannt, sagte eine Sprecherin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBFK). In Einzelfällen könne es sogar vorkommen, dass sich wie im Facebookpost behauptet ein Krankenpfleger um 30 Patienten und ein Altenpfleger um 60 Bewohner kümmern müssten. Zum Beispiel, wenn besonders viele Krankheitsausfälle beim Personal und eine Großlage, wie zuletzt durch die Corona-Pandemie, zusammenkommen. Die Regel sei das aber nicht.

Der Handlungsbedarf ist groß. Mehr Geld für Kinderversorgung, weniger unnötige Klinik-Übernachtungen und Entlastungen für Pflegekräfte - das sieht eine Krankenhausreform vor, die Bund und Länder derzeit planen. Trotz Fachkräftemangel und Pandemie ist die Zahl der Beschäftigten in Pflegeberufen 2021 weiter gestiegen.

(Stand: 26.1.2023)

Links

Archiviertes Facebook-Bild

Aktuelle Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge

Pflegepersonaluntergrenzen des Gesundheitsministeriums (archiviert)

Paragraph 84 XI im Sozialgesetzbuch zur Altenpflege (archiviert)

Gesundheitsministerium zur Krankenhausreform (archiviert)

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