Scheinkorrelation

Daten falsch interpretiert - Corona-Impfung wirkt

25.11.2022, 09:17 (CET)

Der Unterschied zwischen Korrelation und einem ursächlichen Zusammenhang ist eine der Grundlagen wissenschaftlicher Arbeit. Dennoch werden immer wieder Daten falsch bewertet, zum Beispiel in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Im November 2022 verbreitet sich ein Video, in dem behauptet wird, dass mit der Zahl der Impfungen auch die Zahl der Todesfälle gestiegen ist. Dies gehe aus einer Studie aus England hervor.

Bewertung

Im Video werden teils falsche und verzerrte Schlussfolgerungen aus den Daten gezogen. Auswertungen in mehreren Ländern kommen zu dem Ergebnis, dass in der Gruppe der gegen Covid-19 geimpften Menschen deutlich niedrigere Sterberaten zu beobachten sind als bei Ungeimpften.

Fakten

Grundsätzlich gilt in statistischen Vergleichen, dass ein Zusammenhang zwischen bestimmten Erscheinungen (Korrelation) nicht automatisch einen kausalen, also ursächlichen Zusammenhang bedeutet. In der Wissenschaft werden solche Ursachen, die keine sind, als «Spurious Correlation», also als Scheinkorrelation bezeichnet. Ein bekanntes Beispiel ist das Verhältnis zwischen der Anzahl der Störche und der Geburtenrate in einigen Regionen.

Der Videoausschnitt stammt aus einer Fernsehdokumentation von Anfang 2022 und bezog sich auf eine damals als sogenanntes Preprint veröffentlichte Studie aus Großbritannien, die die Sterberate der britischen Bevölkerung im Jahr 2021 untersucht hatte. Die Wissenschaftler sahen den Höhepunkt des Sterberisikos immer genau dann, wenn der Höhepunkt der Corona-Impfungen erreicht war.

Gleichzeitig argumentieren sie, dass Todesfälle, die innerhalb von zwei Wochen nach der erfolgten Impfung auftraten, in die Kategorie der Ungeimpften fallen. Deswegen seien Todesfälle «systematisch fehlzugeschrieben» worden und daher könnten die Impfstoffe die Sterblichkeit nicht verringern, sondern angeblich sogar erhöhen.

Britische Studie interpretiert Zahlen falsch

Großbritannien hat relativ früh mit Impfungen gegen das Coronavirus begonnen. Bereits Anfang Dezember 2020 wurden die ersten Menschen geimpft. Ähnlich zu der Vorgehensweise in Deutschland wurden ältere Menschen priorisiert. Jüngere Menschen hatten also in der Regel erst ab Frühjahr 2021 die Möglichkeit, eine Corona-Impfung zu erhalten. 12- bis 15-Jährige konnten sich aufgrund der späteren Zulassung des Impfstoffs für ihre Altersgruppe sogar erst im September 2021 impfen lassen.

Die verwendeten Daten der Studie wurden vom britischen Statistikamt, dem «Office for National Statistics» (ONS), erhoben. Die Sterbedaten wurden dabei in teils sehr breiten Kategorien zusammengefasst, so wurden zum Beispiel alle 10- bis 59-Jährigen in einer Gruppe erfasst. Ältere Verstorbene hingegen wurden in spezifischere Altersgruppen aufgeteilt (90+, 89-80, 79-70, 69-60). Da in die Gruppe der 10- bis 59-Jährigen auch die 12- bis 15-Jährigen fallen, für die der Impfstoff erst später zugelassen wurde, lassen sich die Sterbedaten in dieser Alterskohorte nur schwer mit den Impfstatistiken vergleichen.

Das «Office for National Statistics» veröffentlichte kurz nach dem Erscheinen der Studie detailliertere Zahlen. In den neuen Daten werden auch die jüngeren Altersgruppen in spezifischere Kategorien aufgeteilt.

Die angeblich «systematisch fehlzugeschriebenen» Todesfälle gibt es nicht, da das ONS sehr wohl die Todesfälle innerhalb der 14 Tage nach der Impfung registriert: «In unseren Sterblichkeitsstatistiken gilt eine Person als "ungeimpft", wenn sie keine Dosis der Covid-19-Impfung erhalten hat.» Demnach gebe es vier Kategorien: «Ungeimpft», «Nur mit der ersten Dosis geimpft (Sterbedatum liegt innerhalb von 21 Tagen nach der Impfung)», «Nur mit der ersten Dosis geimpft (Sterbedatum liegt 21 Tage oder mehr nach der Impfung)» und «Geimpft, sowohl mit der ersten, als auch mit der zweiten Dosis (Todesdatum)».

Wer aus diesen Daten einen kausalen Zusammenhang zwischen den Impfungen und der Anzahl von Sterbefällen schließt, vernachlässigt viele Faktoren. Zum Beispiel begannen die Impfungen in den verschiedenen Altersgruppen zu unterschiedlichen Phasen der Pandemie, teils während massiver Infektionswellen, was sich auf die Sterbezahlen auswirkte. In der Wissenschaft wird dieses Phänomen auch als «Simpson Paradoxon» bezeichnet. Die Eigenschaften einer Gesamtmenge stehen dabei im Widerspruch zu einer Teilmenge.

Auch deutsche Studie zieht falsche Schlüsse

Der Mann aus dem Videoausschnitt ist Psychologieprofessor Christof Kuhbandner; er hatte eine eigene Studie veröffentlicht, die ebenfalls kein Beleg für eine Übersterblichkeit durch die Corona-Impfungen war.

Kuhbandner verglich einzelne Bundesländer und fand auch dort einen Zusammenhang, ebenso in Österreich und Israel. Das Problem an dieser Rechnung ist jedoch, dass besonders bei den Corona-Impfungen nicht nur zwei Variablen (Sterberate und Impfrate) von Bedeutung sind. Um echte Kausalität zu beweisen, müsste hier mindestens ein Faktor (beispielsweise zu individuellen Todesursachen) hinzugezogen werden, sodass nicht nur ein zeitlicher Zusammenhang zu beobachten ist.

Wenn die Impfung wirklich gefährlich wäre und Todesfälle verursachen würde, müsste dies weltweit und flächendeckend zu denselben Effekten führen - insbesondere in Ländern, die hohe Impfquoten aufweisen. Betrachtet man den Verlauf der verimpften Dosen und der gemeldeten Todesfälle beispielsweise in Australien und Japan, ist dieser Effekt jedoch nicht zu beobachten.

Studien zeigen: Impfung wirkt und verhindert Todesfälle

Mehrere Studien zeigen zudem gegenteilige Effekte. Forschende der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena sehen Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen hohen Impfquoten und niedrigen Übersterblichkeitszahlen. Auch in Österreich kommt das dortige Statistikamt nach einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass in der Gruppe der gegen Covid-19 geimpften Menschen deutlich niedrigere Sterberaten zu beobachten sind. Im Frühjahr 2022 hatte sich auch Kuhbandners Fakultät an der Universität Regensburg von gegenteiligen Behauptungen distanziert.

Daten zur Übersterblichkeit in der Corona-Pandemie sind immer wieder Gegenstand von Behauptungen, die die Pandemie verharmlosen oder die Wirkung der Corona-Impfung anzweifeln. Die Deutsche Presse-Agentur hat dazu bereits mehrere Faktenchecks (etwa hier und hier) veröffentlicht.

(Stand: 22.11.2022)

Links

Post (archiviert)(Video archiviert)

Beispiele für «Spurious Correlations» (archiviert)

Studie zum Zusammenhang von Storchpopulationen und Geburtenraten (archiviert)

Britisches Preprint zu Sterberaten und Corona-Impfungen (archiviert)

Informationen zum «Office for National Statistics» (ONS) (archiviert)

Zahlen des ONS (archiviert)

Informationen zur Kategorisierung von Geimpften und Ungeimpften des ONS in Großbritannien (archiviert)

Deutsche Welle über den Start der britischen Impfkampagne (7.12.2020) (archiviert)

Analyse des britischen Preprints durch Datenwissenschaftler Morris (archiviert)

«Ärzteblatt» über Start der Impfungen bei Teenagern in Großbritannien (14.9.2021) (archiviert)

Das «Simpson Paradoxon» bei Covid-19-Todesfallraten (archiviert)

Informationen über das «Simpson Paradoxon» im «Spiegel» (archiviert)

Statement der Fakultät Humanwissenschaften an der Uni Regensburg (7.2.2022)archiviert

Verlauf der Corona-Impfungen in Japan und Australien (archiviert)

Verlauf der Sterberate in Japan und Australien (archiviert)

Hinweise auf niedrige Übersterblichkeit in Bundesländern mit hohen Impfquoten (Ernst-Abbe-Hochschule Jena) (archiviert)

Statistik Austria zu Corona-Impfungen und Übersterblichkeit (25.1.2022) (archiviert)

Artikel über Kuhbandner im Wissenschaftsmagazin «Spektrum»(archiviert)

dpa-Faktencheck zur Übersterblichkeit durch Corona (11.1.2021)

dpa-Faktencheck zu Übersterblichkeitszahlen in Deutschland (18.11.2022)

Zur Fernsehreportage archiviert

dpa-Faktencheck

Meldung zu Studie aus Regensburg (archiviert)

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