Einschätzungen und Augenzeugen

Erschwerte Berichterstattung aus dem Iran

23.11.2022, 10:49 (CET)

Während im Iran die Regierung mit Gewalt gegen Demonstrierende vorgeht, wird im Internet die Glaubwürdigkeit der medialen Darstellung hinterfragt – anhand nur eines einzigen Berichts.

Viele Medien in Deutschland thematisieren die Gewalt, mit der die iranische Regierung gegen Demonstrierende vorgeht und nennen dabei auch Zahlen zu Opfern und Verhaftungen. Doch ein Blogbeitrag im Netz unterstellt den «westlichen Medien», sie beriefen sich in ihrer Berichterstattung über die Proteste im Iran nur auf Angaben einer einzigen Menschenrechtsorganisation. Das stelle die Glaubwürdigkeit dieser Angaben und somit auch die Berichterstattung in Zweifel.

Bewertung

Der in dem Blogbeitrag zitierte Bericht bezieht sich zwar nur auf Angaben einer einzigen Menschenrechtsorganisation. Die Behauptung, alle Medien würden dies tun, ist jedoch falsch. Ähnliche Zahlen werden auch von anderen Organisationen vermeldet. Aufgrund der Unruhen und des restriktiven Vorgehens gegen Journalisten im Iran sind stichfeste Belege derzeit nicht zu bekommen.

Fakten

Gegenstand der Kritik ist ein «Spiegel»-Artikel über die Situation im Iran. Obwohl das Nachrichtenmagazin keine eigenen Korrespondenten vor Ort habe, würde aus dem Land berichtet. Als Quelle dienten ausschließlich Einschätzungen einer einzigen Menschenrechtsorganisation, die von allen Medien übernommen würden.

Quellenlage der westlichen Medien

Seit Ende September finden in vielen Städten des Iran Proteste statt, nachdem eine junge Frau in Polizeigewahrsam ums Leben kam. Im Rahmen der Demonstrationen kommt es nun fortlaufend zu Verhaftungen, Verletzten und Toten.

Der Bericht des «Spiegel» basiert auf einer dpa-Meldung, die sich auf Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) beruft. Die Meldung wurde von mehreren Medienhäusern in Deutschland aufgegriffen, weswegen in all jenen Artikeln auch dieselbe Quelle verwendet wird.

Ähnliche Zahlen zu Verhaftungen und Todesfällen vermeldet am gleichen Tag allerdings auch die Organisation Iran Human Rights (IHR). Deren Einschätzungen sind etwa im Bericht der «Tagesschau» zu finden – es berufen sich also nicht alle «westlichen» Medien auf ein und dieselbe Quelle. Darüber hinaus sprechen die Vereinten Nationen ebenfalls von mehreren hundert Toten seit Beginn der Proteste und machen zu den Verhaftungen ähnliche Angaben wie die HRANA.

Journalismus in Iran

Die journalistische Berichterstattung ist im autoritären Iran nicht erst seit den Demonstrationen schwierig. Das Land belegt laut der Organisation Reporter ohne Grenzen auf der Rangliste der Pressefreiheit Platz 178 von 180.

Die Repressionen der Regierung betreffen dabei auch internationale Journalisten. Hier ist die Abteilung für ausländische Presse des Ministeriums für Kultur und islamische Führung zuständig.

Deren Webseite ist aktuell aus Deutschland nicht erreichbar, in einer archivierten Fassung ist aber nachzulesen, dass für ein Pressevisum vorab ein Antrag gestellt und ein Fragebogen (externer Download) ausgefüllt werden muss. In diesem sind unter anderem der konkrete Anlass des Besuchs, der berufliche Hintergrund sowie die Geschichte des jeweiligen Medienhauses anzugeben.

Laut Bericht eines iranisch-amerikanischen Autors zum Umgang mit internationalen Korrespondenten bestünde so bereits im Vorhinein die Möglichkeit, kritische Stimmen gar nicht erst ins Land zu lassen. Außerdem müssten ausländische Journalisten sämtliche Aktivitäten vor Ort sowie ihre Berichterstattung mit der Behörde koordinieren.

Im Zuge der internationalen Reaktionen auf das Vorgehen gegen die Proteste im Iran hat die iranische Regierung inzwischen auch einige deutsche Journalisten auf eine Sanktionsliste gesetzt, wie das iranische Außenministerium bekannt gab. Darunter ist etwa die komplette Redaktion des Persischen Dienstes der Deutschen Welle. Ihnen ist nun beispielsweise die Einreise untersagt.

Einer der wenigen deutschen Journalisten vor Ort ist der ZDF-Korrespondent Jörg Brase. Auch er berichtet von Repressionen: Drehs außerhalb der Hauptstadt Teheran seien mit Verweis auf die Sicherheitslage verboten und nach Berichten über Proteste Konsequenzen angedroht worden.

Aufgrund der restriktiven Vergabe von Visa und in Verbindung mit der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes ist die Berichterstattung aus dem Iran also momentan von Augenzeugenberichten abhängig, wie auch der «Spiegel» selbst schon darlegte. Soziale Medien und Messenger-Dienste sind dabei oft die einzigen Kommunikationswege.

Nur: Die iranische Regierung zensiert auch das Internet. Bereits in der Vergangenheit wurden Webseiten eingeschränkt oder das Internet temporär komplett abgeschaltet. Eine solche Unterbrechung konnte auch zu Beginn der Proteste von der Organisation Netblocks beobachtet werden, die weltweit die Internetzensur und -sicherheit überwacht.

Das Bild der Proteste in deutschen Medien gleicht also einem Mosaik, das sich aus Augenzeugenberichten, von Iranerinnen und Iranern veröffentlichten Fotos und Videos und eben auch den Berichten von Menschenrechtsorganisationen zusammensetzt. Dass eine davon als einzige Quelle dient, ist aber falsch.

(Stand: 21.11.2022)

Links

Blog-Post zu Iran-Berichterstattung (archiviert)

SPIEGEL-Artikel (archiviert)

Angaben von HRANA (archiviert)

Angaben von IHR (archiviert)

Bericht der Tagesschau (archiviert)

Pressekonferenz der Vereinten Nationen zur Situation in Iran (archiviert)

Vereinte Nationen zu Menschenrechten in Iran (archiviert)

Einschätzungen zu Iran von Reporter ohne Grenzen (archiviert)

Vorgaben der Abteilung für ausländische Presse (archiviert)

Fragebogen für Pressevisum in Iran (archiviert)

Bericht zum Umgang mit internationalen Journalisten (archiviert)

Iranisches Außenministerium zur Sanktionsliste (archiviert)

Bericht des ZDF zu Einschränkungen bei der Berichterstattung (archiviert)

Reisewarnung des Auswärtigen Amtes (archiviert)

SPIEGEL zu Augenzeugenberichten (archiviert)

Zur Internetzensur in Iran (archiviert)

Übersicht der Internetunterbrechung Ende September (archiviert)

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