Humanitäre Hilfe

Antikorruptionsgremium Greco dementiert Existenz von Aussage zu EU-Ukraine-Hilfen

28.09.2022, 12:52 (CEST)

Die EU unterstützt die Ukraine mit Geld und Hilfsgütern. Frei erfunden ist jedoch, dass ein europäisches Antikorruptionsgremium einen alarmierenden Bericht über deren Verbleib veröffentlicht hat.

Aus der Europäischen Union und weiteren Ländern erhält die Ukraine seit Beginn des russischen Angriffs militärische, humanitäre und finanzielle Unterstützung. Doch in Blogbeiträgen und in sozialen Medien wird verbreitet, dass angeblich fast die gesamte EU-Hilfe der Korruption in der Ukraine zum Opfer gefallen sei. «Insgesamt hat die EU der Ukraine von März bis August 2022 humanitäre Güter von mehr als 360 Millionen Euro zukommen lassen. Davon seien, laut GRECO, Waren im Wert von 342 Millionen Euro gestohlen worden», heißt es in den Blogbeiträgen. Greco ist eine Staatengruppe von 50 Ländern, die regelmäßig den Einsatz ihrer Mitglieder gegen Korruption beurteilt. Zusätzlich zu den angeblich gestohlenen humanitären Gütern sollen nach Angaben von Greco außerdem mehr als 55 Millionen Euro EU-Hilfsgelder in der Ukraine abgezweigt worden sein. Stimmen diese Angaben?

Bewertung

Falsch. Es ist keine derartige Veröffentlichung des Antikorruptionsgremiums Greco bekannt. Greco dementiert, dass es sie gegeben habe. Zudem hat die EU für humanitäre Hilfe deutlich mehr Geld zur Verfügung gestellt als angegeben.

Fakten

Das Antikorruptionsgremium Greco hat nach eigenen Angaben zuletzt keinen Bericht und kein Statement veröffentlicht, das eine Beurteilung der Hilfsleistungen für die Ukraine enthält. Das bestätigte die Organisation auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Der jüngste Bericht über die Ukraine sei im Dezember 2021 von den Mitgliedern angenommen und im April 2022 veröffentlicht worden.

Recherchen in Fach- und Medienberichten bestätigen das: Sowohl in den Veröffentlichungen auf der Webseite von Greco als auch im dpa-Meldungsarchiv oder in anderen Medienberichten ist keine Einschätzung des Antikorruptionsgremiums zu finden, die sich auf die Hilfsleistungen für die Ukraine seit Kriegsbeginn bezieht.

Das Greco-Gremium gibt seinen 50 Mitgliedstaaten Empfehlungen, um gegen Bestechung und Korruption in Politik, Justiz und anderen Institutionen vorzugehen. Dazu veröffentlicht es in regelmäßigen Abständen Berichte. Es gehört zum Europarat mit Sitz im französischen Straßburg. Dieser setzt sich für den Schutz der Menschenrechte ein und ist kein Organ der Europäischen Union. Auch die Ukraine und Russland sind Mitglieder.

Es findet sich keine Quelle für die Angabe, dass die EU der Ukraine angeblich von März bis August 2022 humanitäre Güter von mehr als 360 Millionen Euro zukommen lassen hat.

Vielmehr ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Summe deutlich höher liegen muss: Unter dem Punkt «humanitäre Hilfe» listet die EU 335 Millionen Euro für die Ukraine und 13 Millionen Euro für Moldau auf, die in Nahrung, Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Unterkünfte geflossen seien. Darüber hinaus seien 332 Millionen Euro in ein weiteres Nothilfeprogramm geflossen und weitere 200 Millionen Euro im Rahmen einer Geberkonferenz im Mai 2022 gesammelt worden.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft listet sogar noch höhere Zahlen auf: Die Forscherinnen und Forscher geben in ihrem «Ukraine Support Tracker» an, dass die EU-Institutionen 1,4 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe aufgewendet haben. Die Angabe bezieht sich allerdings auf den Zeitraum vom 24. Januar 2022 bis zum 3. August 2022.

Den im Blogbeitrag erwähnten Verdacht des Diebstahls von Hilfsgütern in der ukrainischen Region Saporischschja hat es gegeben - allerdings werden relevante Informationen weggelassen und der Fall wird noch untersucht:

Ukrainische Behörden haben am 30. August 2022 mitgeteilt, dass sie gegen hohe Beamte aus der Region Saporischschja wegen des Verdachts der Veruntreuung humanitärer Hilfe ermitteln. Bei einer Razzia hätten der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU und die Antikorruptionsbehörde NABU eine große Menge Bargeld, nicht registrierte Schusswaffen und betäubungsmittelähnliche Substanzen gefunden.

Die Zahlenangaben zu mutmaßlich gestohlenen Containern und Waggons tauchen in ukrainischen Berichten auf, doch dies sind keine gesicherten Angaben. Die Ermittlungen in dem Fall laufen noch. In der zweiten Septemberhälfte hat jüngst auch das ukrainische Parlament eine vorläufige Untersuchungskommission eingesetzt, wie auf der Seite des Parlaments und auf der Seite der ukrainischen Präsidentenpartei Sluha Narodu (Diener des Volkes) nachzulesen ist. Die von ukrainischen Behörden erwähnten Einzelhandelsketten «Silpo» und «ATB» dementierten bisher, dass entwendete Güter bei ihnen zum Verkauf angeboten wurden.

(Stand: 28.9.2022)

Links

Jüngster Greco-Bericht über die Ukraine, April 2022 (archiviert)

Publikationen von Greco (archiviert, Stand: 28.9.2022)

Suche über Google-Stichwörter (archiviert)

Infoseite zu EU-Unterstützungen für die Ukraine (archiviert)

«Ukraine Support Tracker» des Kieler Instituts für Weltwirtschaft

Grafik aufgeschlüsselt nach Art der Unterstützung und Ländern (archiviert)

Meldung des ukrainischen Inlandsgeheimdiensts SBU zu Ermittlungen (archiviert)

Meldung Antikorruptionsbehörde NABU (archiviert)

Meldung über die Einrichtung des Untersuchungsausschusses auf Seite der Präsidentenpartei (archiviert)

Meldung über die Einrichtung des Untersuchungsausschusses auf Seite des ukrainischen Parlaments (archiviert)

Dementi der Einzelhandelskette «ATB» (archiviert)

Dementi der Einzelhandelskette «Silpo» (archiviert)

Blogbeitrag mit Behauptungen (archiviert)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.