Unterschiedliche Kundgebungen

Linke wehrt sich gegen rechtsextreme Vereinnahmung in Leipzig

02.09.2022, 15:48 (CEST), letztes Update: 02.09.2022, 16:02 (CEST)

Die Linke hat für einen Montag zu Protesten gegen die deutsche Energiepolitik aufgerufen. Nun muss sie sich gegen einen von Rechtsextremisten erfundenen «Schulterschluss» wehren.

Die rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen will Proteste der Partei Die Linke für sich vereinnahmen. Die vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppierung behauptet auf ihren Social-Media-Kanälen, die verschiedenen politischen Lager würden am 5. September in Leipzig «gemeinsam» gegen die Energie- und Russlandpolitik der Bundesregierung auf die Straße gehen. Der Linken-Politiker Gregor Gysi etwa wird als Redner gleichwertig in einer Reihe mit bekannten Rechtsextremisten aufgezählt. Es fällt das Wort «Schulterschluss».

Bewertung

Falsch. Es sind voneinander unabhängige Kundgebungen. Die Rechtsextremisten haben ihre Versammlung erst Tage nach den Linken angemeldet. Die Linkspartei verwehrt sich gegen Vereinnahmung, allerdings hatten zuvor Linken-Politiker vor solch einem Szenario gewarnt.

Fakten

Für Montag, den 5. September, waren bei der Stadt Leipzig nach Angaben des Ordnungsamtes bis zum 1. September sieben Kundgebungen von rechten und linken Gruppen angemeldet - darunter Versammlungen der Linken und der Freien Sachsen auf dem zentralen Augustusplatz.

Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) teilte das Ordnungsamt mit, dass die Linken-Demonstration bereits am 16. August angemeldet wurde. Die Freien Sachsen zeigten ihre Versammlung erst am 24. August bei der zuständigen Behörde an.

Auf der Veranstaltung der Linken unter dem offiziellen Titel «Preise runter - Energie und Essen müssen bezahlbar sein!» sollen etwa der frühere Fraktionschef Gregor Gysi, Linken-Chef Martin Schirdewan und der Ostbeauftragte der Linksfraktion, der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann, auftreten.

Die rechtsextremen Freien Sachsen wiederum zeigen schon im Titel ihrer acht Tage später eingereichten Demo-Anmeldung, dass sie auf den Zug der Linken aufspringen wollen: «Freie Sachsen unterstützen den Montagsprotest von Sören Pellmann und der Linken - Gemeinsam gegen die da oben». Die rechte Kundgebung wurde «unmittelbar neben» der Linken-Veranstaltung angekündigt.

Nun behauptet die Gruppierung, vermeintlich «gemeinsam» mit der Linkspartei auf die Straße zu gehen. Gysi etwa wird gleichrangig auf der Rednerliste der Freien Sachsen mit bekannten Köpfen aus dem rechtsextremen Spektrum genannt: Auf der Rechtsaußen-Demo sollen neben Jürgen Elsässer, Chefredakteur des vom Bundesamt für Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch eingestuften «Compact»-Magazins, Martin Kohlmann, Parteivorsitzender der ebenso als erwiesen rechtsextremistisch eingestuften Freien Sachsen, und der frühere AfD-Politiker André Poggenburg sprechen.

Die Linke distanzierte sich in der Folge ausdrücklich von der Vereinnahmung. «Das ist der hilflose Versuch der Rechten, irgendwie eine Rolle zu spielen», sagte Pellmann der dpa. «Wir dürfen den Rechten die Straßen und Plätze nicht überlassen», verteidigte Gysi gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) die Kundgebung der Linken. «Außerdem werde ich den Rechten schon etwas sagen, nämlich, dass unsere Gesellschaft das gesamte rechte Gesocks nicht dulden darf».

Vertreter der Linken wehren sich auch juristisch gegen die Vereinnahmung. Pellmann bestätigte der dpa einen Bericht von T-Online, wonach er Anzeige gegen die Freien Sachsen wegen der Erwähnung seines Namens erstattet habe. Auch Gysi habe eine Anwaltskanzlei beauftragt.

Die Linksfraktion im Bundestag stellte mit Blick auf die Kundgebungen am Montag per Twitter klar: «Wir stehen nicht mit Faschisten auf der Bühne.» Die Aktion sei das Machwerk der Freien Sachsen. «Sie beziehen sich auf uns, nicht umgekehrt», heißt es. Die Linke der Stadt Leipzig erklärte: «Selbstverständlich ist es Fake, es so darzustellen, als wäre es eine Veranstaltung.»

Schon im Vorfeld hatte es Kritik am Zeitpunkt des von Pellmann angekündigten Protests an einem Montagabend in Leipzig gegeben. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte dem RND Mitte August: «Bei sozialen Protesten bitte aber die Abstandsregel zu rechtsradikalen Organisatoren beachten. Die Rechten wurden zu Recht kritisiert, als sie sich der Symbolik der Montagsdemonstrationen bemächtigt haben.»

Auch die Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz aus Sachsen warnte vor selbst geschaffenen Problemen: «"Montagsdemos" verbieten sich, sind rechts besetzt», twitterte sie am 15. August. Seinerzeit schon versuchten die Freien Sachsen, die Linken-Proteste mit ihren eigenen Kundgebungen in Verbindung zu bringen.

In der Endphase der DDR galten Montagsdemonstrationen unter anderem in Leipzig mit teils mehreren Zehntausend Teilnehmern als wichtige Etappen auf dem Weg zum Fall der Mauer. Zuletzt hatten Rechtsaußen-Gruppierungen und Coronaleugner regelmäßig in deutschen Städten dazu aufgerufen, an Montagen gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Pandemie auf die Straße zu gehen.

Schon im Jahr 2004 hatte im Zusammenhang mit der Einführung von Hartz IV in Deutschland unter anderem die Linkspartei (damals PDS) Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen an diesen Wochentagen auf die Straßen getragen. Als um 2015 herum Hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland kamen, vereinnahmten wiederum Neonazis, Hooligans und rechtsextreme Bewegungen wie Pegida die Montagsdemonstrationen für ihre ausländer- und islamfeindliche Hetze.

(Stand: 2.9.2022)

Links

Linken-Aufruf zur Demonstration am 5.9.2022 (archiviert)

Tweet der Linksfraktion im Bundestag über Demos am 5.9.2022: hier (archiviert) und hier (archiviert)

Tweet der Linken der Stadt Leipzig über Demo am 5.9.2022 (archiviert)

dpa-Artikel über Demo-Anmeldungen für 5.9.2022 (archiviert)

Bundesamt für Verfassungsschutz u.a. über «Compact»-Magazin (archiviert)

Landesverfassungsschutz Sachsen über Freie Sachsen (archiviert)

Haus der Geschichte über DDR-Montagsdemonstrationen (archiviert)

«t-online» über Pellmann-Anzeige (archiviert)

RND über Gysi zu Demonstrationen an Montagen (archiviert)

RND über Ramelow zu Demonstrationen an Montagen (archiviert)

Köditz-Tweet über Demonstrationen an Montagen (archiviert)

Telegram-Post der Freien Sachsen vom 15.8.2022 (archiviert)

Telegram-Post der Freen vom 31.8.2022 (archiviert)

Facebook-Post der Freien Sachsen vom 31.8.2022 (archiviert)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.