Deep-Fake-Vorwürfe

Experten halten Video von Joe Biden für authentisch

05.08.2022, 13:00 (CEST), letztes Update: 05.08.2022, 18:58 (CEST)

Mit künstlicher Intelligenz können Videos gemacht werden, die einem Original täuschend ähnlich sind - sogenannte Deep Fakes. Bei einem Video von Joe Biden spricht aber nichts dafür.

Manche Social-Media-Nutzer machen es am scheinbar fehlenden Augenblinzeln fest, andere am angeblich veränderten Erscheinungsbild von Joe Biden. Sie glauben an ein Deep Fake und meinen: Das ist nicht der Präsident der Vereinigten Staaten, der in dem YouTube-Video vor der Kamera steht. Joe Biden werde von einem Schauspieler oder einer Puppe gespielt, behaupten Kommentatoren (auch hier). Die auf unterschiedlichen Plattformen veröffentlichten Verschwörungstheorien (auch hier oder hier) beziehen sich auf einen 17 Sekunden langen Zusammenschnitt des YouTube-Videos, das auf dem Kanal des Weißen Hauses veröffentlicht wurde.

Bewertung

Es gibt keine Hinweise, die darauf hindeuten, dass an dem Video Manipulationen durchgeführt wurden. Fachleute entkräften die Deep-Fake-Vorwürfe vielmehr mit mehreren Argumenten.

Fakten

Dass einige Nutzerinnen und Nutzer das Video für manipuliert halten, findet der KI-Experte Nicolas Müller unbegründet. «Die Algorithmen, die Deep Fakes erstellen, sind noch lange nicht perfekt», sagte der 31-jährige der Deutschen Presse-Agentur. Seit knapp drei Jahren forscht der Informatiker am Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC zu Deep Fakes.

Die Manipulation eines Videos lasse sich zum Beispiel an leichtem Rauschen in der Audiospur oder Auffälligkeiten im Bild, wie einem verwaschenen Mund, erkennen. Im Biden-Video aber gebe es keine Hinweise dieser Art. «Dann fällt auf, dass die Stimmmelodie sehr gut zum Gesprochenen passt», erklärte Müller weiter. Algorithmen könnten monotone Stimmen gut nachmachen, emotionale Reden - wie die von Biden - hingegen seien sehr schwer zu simulieren. Auch das Blinzel-Argument hält Müller für hinfällig: «KI‘s können blinzeln», sagte er.

Im Durchschnitt blinzelt ein Mensch ungefähr zwölf mal pro Minute, wie die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mitteilte. Demnach schließen sich die Augenlider etwa alle fünf Sekunden für einen ganz kurzen Moment. Eine genaue Untersuchung des Videos zeigt, dass Biden teilweise mehr als 20 Sekunden, ab Minute 3:13 sogar mehr als 50 Sekunden lang nicht blinzelt. Auch wenn 30 Sekunden ohne Blinzeln unter normalen Umständen relativ lang ist, deutet das nach Angaben eines DOG-Sprechers nicht auf eine Fälschung hin.

Dem Sprecher zufolge verlangsamt sich die Blinzelfrequenz zum Beispiel bei angestrengtem Lesen (auch hier). Während seiner Rede bewegt Biden seine Augen leicht von rechts nach links. Es ist daher anzunehmen, dass er von einem Teleprompter abliest. Darüber hinaus lässt die Blinzelfrequenz laut DOG im hohen Alter oft nach. Joe Biden ist 79 Jahre alt - auch das könnte das überdurchschnittlich lange Offenhalten seiner Augen erklären.

In dem elf Minuten langen Video hält der Demokrat eine Rede anlässlich einer Konferenz der National Organization of Black Law Enforcement Executives (Nationale Organisation Schwarzer Strafverfolgungsbeamter). Der US-Präsident spricht darin unter anderem über den Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2021.

Neben der Veröffentlichung auf dem YouTube-Kanal wurde ein Ausschnitt des Videos auch auf dem verifizierten Twitter-Account von Joe Biden veröffentlicht. Durch eine Google-Suche stößt man auf den Post des amerikanischen Präsidenten. Das schließt eine denkbare Manipulation außerhalb des Weißen Hauses praktisch aus.

In einem am selben Tag auf Bidens Twitter-Account veröffentlichten Video, in dem der 79-Jährige 55 Sekunden lang über die Gaspreise spricht, sieht der US-Präsident manchen Nutzerkommentaren zufolge verdächtig anders aus. Wie BBC in einem Faktencheck erklärt, kann der Unterschied auf die unterschiedlichen Lichtverhältnisse im Raum zurückzuführen sein. Auch die Faktenchecker von Newsweek sowie eine Untersuchung der Vice kommen auf dieses Ergebnis.

In dem 11-Minuten-Video sind auf Bidens Stirn und Wangen im Gegensatz zum anderen Video deutliche Lichtreflexionen zu erkennen. Das spricht für eine andere, stärkere Beleuchtung. Darüberhinaus unterscheiden sich die Videos in der Kameraeinstellung sowie der Kameraposition. Auch das kann Einfluss aus Bidens Erscheinungsbild haben. Unabhängig davon sprechen das Veröffentlichungsdatum und die gleiche Kleidung nicht zwangsläufig dafür, dass das Video am selben Tag gedreht wurde. Biden trägt in den beiden Videos unterschiedliche Krawatten.

Immer wieder behaupten Verschwörungstheoretiker, dass Joe Biden nicht mehr selbst in die Öffentlichkeit trete, sondern von einem Schauspieler oder einer Computersimulation ersetzt würde. Dafür gibt es jedoch keine klaren Nachweise.

(Stand: 5.8.2022)

Links

YouTube-Video zur Noble Conference (archiviert)

Deutscher Tweet (archiviert)

Englischer Tweet mit Fake-Vorwurf (archiviert)

TikTok-Post (archiviert)

Twitter-Kommentar Sprechpuppe (archiviert)

Twitter-Kommentar Schauspieler (archiviert)

Englischer Tweet zu Blinzeln (archiviert/ archiviertes Video)

YouTube-Kanal Weißes Haus(archiviert)

Archivierter Video-Zusammenschnitt

Website Weißes Haus(archiviert)

Website National Organization of Black Law Enforcement Executives (archiviert)

Website Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (archiviert)

Tweet mit Vergleich (archiviert)

Tweet von Joe Biden über Gaspreise (archiviert)

Twitter-Account von Joe Biden (archiviert)

LinkedIn-Profil von Nicolas Müller

Fachartikel zu Augenblinzeln

Website Frauenhofer-Institut AISEC (archiviert)

Informationen des Fraunhofer-Instituts AISEC zu Deep Fakes (archiviert)

Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung über den Sturm auf das Kapitol (archiviert)

Google-Suche (archiviert)

Website BBC (archiviert)

BBC-Faktencheck (archiviert)

Website Newsweek (archiviert)

Newsweek-Faktencheck (archiviert)

Vice-Faktencheck (archiviert)

Website Vice (archiviert)

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