US-Gaspreis trotz kurzen Einbruchs auf hohem Niveau

Seit Monaten wird in Deutschland über die steigenden Gaspreise und mögliche Versorgungsengpässe im Winter diskutiert. Da platzt Anfang Juli eine vermeintliche Sensationsmeldung bei Facebook herein: Der Gaspreis soll innerhalb von vier Wochen um mehr als 40 Prozent gefallen sein und wird angeblich sogar noch weiter sinken. Dazu wird der Screenshot einer Grafik mit der Überschrift «Natural Gas» verbreitet, auf dem ein steiler Anstieg gefolgt von einem ähnlich rasanten Rückgang zu erkennen ist.

Eine ähnliche Preisentwicklung lässt sich angeblich beim Rohöl beobachten. Dieses sei «um 30% in den letzten 4 Wochen gesunken», wird ohne Quellenangabe behauptet. Werden Gas und Öl tatsächlich immer günstiger? (archiviert)

Bewertung

Gas- und Ölpreise sind stets Schwankungen unterworfen. Abhängig davon, welchen Zeitraum man betrachtet, ergibt sich daher ein sehr unterschiedliches Bild. Öl und Gas sind derzeit deutlich teurer als in den vergangenen Jahren, eine Entspannung ist nicht in Sicht.

Fakten

Der Screenshot stammt von der Seite tradingeconomics.com und zeigt die US-Gaspreisentwicklung («US natural gas futures») von Mitte Mai bis zum 5. Juli 2022 mit dem Endstand von 5,453 US-Dollar pro Million British thermal unit (MMBtu). Seitdem haben die Preise wieder angezogen - auf mittlerweile mehr als 7 US-Dollar pro MMBtu (Stand: 18. Juli 2022).

Nachdem Anfang Juni ein Höchststand von mehr als 9 US-Dollar erreicht wurde, ist der Preis also tatsächlich einige Woche lang gefallen. Doch auch in diesem Zeitraum war Gas alles andere als ein Schnäppchen. Denn trotz der starken Rückgänge im Juni lag Erdgas im Jahr 2022 mehr als 40 Prozent im Plus, wie CNBC Ende Juni schrieb.

Betrachtet man statt einiger Wochen einen längeren Zeitraum, wird der deutliche Anstieg des Gaspreises erkennbar. Klickt man unter der Grafik auf «All», sieht man, dass er seit der russischen Invasion in der Ukraine Ende Februar 2022 auf ein Niveau geklettert ist, das zuletzt 2008 erreicht wurde. US-Gas kostet im Monatsdurchschnitt momentan also so viel wie seit 14 Jahren nicht mehr.

Futures-Preise sind vereinbarte Preise für einen Gashandel in der Zukunft, in diesem Fall einen Monat später. Es gibt auch sogenannte Spotmärkte für den kurzfristigen Handel, auf denen die Preisschwankungen noch deutlich höher ausfallen können.

Am europäischen Gasmarkt ist die Situation noch angespannter, wie das «Wall Street Journal» schreibt. Während die US-Preise Anfang Juni fielen, kletterte der Preis hier binnen einer Woche um 52 Prozent auf mehr als das Vierfache des Niveaus von vor einem Jahr. Während er zwischen 2010 und 2020 nie höher als rund 30 Euro/Megawattstunde (MWh) stieg, liegt er derzeit bei mehr als 150 Euro/MWh. 1 MMBtu entspricht etwa 0,3 MWh.

Entwicklung des Ölpreises

Bei Facebook wird behauptet, Rohöl sei innerhalb von vier Wochen 30 Prozent günstiger geworden. Schaut man sich die beiden wichtigsten Rohölsorten WTI («West Texas Intermediate») und Brent an, so ein ähnliches Bild wie beim Gas: Sie sind zwar seit Juni von knapp 125 auf etwa 105 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) gefallen, liegen aber dennoch weit über dem Schnitt der vergangenen Jahre. Auch hier wird also nur ein Teil des Gesamtbilds betrachtet.

Werden nur Daten präsentiert, die die eigenen Aussagen stützen, spricht man von Rosinenpickerei. So werden oft einzelne Studien, Anekdoten oder nicht repräsentative Zahlen angeführt. Am häufigsten trifft man jedoch auf Zeitreihen wie die Gaspreisentwicklung, bei denen Anfangs- und Enddatum so gewählt wurden, dass ein bestimmtes Bild erzeugt wird.

(Stand: 18.7.2022)