Unredlicher Vergleich

Mehr Verkehrstote durch Tempolimit? Grafik ist irreführend

23.06.2022, 11:23 (CEST)

Zu schnelles Fahren gehöre zu den häufigsten Unfallursachen, sagt der Verkehrssicherheitsrat. Doch damit wollen sich manche Gegner eines Tempolimits nicht abfinden und stellen unpassende Vergleiche an.

Es ist eine fragwürdige Argumentation, die jüngst in die Debatte um Tempolimits auf Autobahnen Einzug gehalten hat: Befürworter der freien Fahrt erwecken den Eindruck, Geschwindigkeitsbegrenzungen seien viel gefährlicher. Als vermeintlicher Beweis wird die Quote der Verkehrstoten in ausgewählten EU-Staaten mit Tempolimit mit Deutschland verglichen (archiviert). Doch das ist auf mehreren Ebenen manipulativ.

Bewertung

Staaten mit Tempolimit, die eine geringere Verkehrstoten-Quote haben als die Bundesrepublik, werden verschwiegen. Zudem sagt ein solcher Vergleich nichts aus, da hier die Verkehrstoten auf allen Straßen aufgeführt werden - und nicht nur die auf Autobahnen. Außerdem sind die Zahlen schon rund sechs Jahre alt.

Fakten

Die Angaben zum Tempolimit sind im Sharepic korrekt. Während es in Deutschland nur eine Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern gibt, haben die anderen genannten Länder strikte Begrenzungen: In Belgien darf man höchstens 120 Kilometer pro Stunde fahren, in Österreich, Frankreich, Italien wie in Griechenland 130 und in Polen 140.

Werte zu Verkehrstoten

Die Grafik bedient sich des Verkehrssicherheitsberichts der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit dem Titel «Global Status Report On Road Safety». Das Papier aus dem Jahr 2018 analysiert Daten von 2016. Die Werte sind also schon rund sechs Jahre alt.

Für Deutschland nimmt die WHO eine Todesrate von 4,1 Menschen pro 100 000 Einwohner an (S. 151). Die anderen Länder im Sharepic - Polen (9,7), Griechenland (9,2), Belgien (5,8), Italien (5,6) und Frankreich (5,5) - haben tatsächlich eine höhere Quote. Eine kleine Abweichung gibt es bei Österreich: Während in der Grafik von 5,1 Toten pro 100 000 Einwohner die Rede ist, sind es im WHO-Report 5,2.

Was die Grafik verschweigt

Es gibt weitere Staaten mit Tempolimits im WHO-Bericht, deren Quoten für 2016 teils deutlich unterhalb der 4,1 Verkehrstoten pro 100 000 Einwohner in Deutschland lagen.

Für die Schweiz zum Beispiel (Tempolimit: 120 Stundenkilometer auf Autobahnen) gibt der Report eine Quote von 2,7 an. In Schweden (110 km/h) liegt sie bei 2,8, in Großbritannien (112 km/h) bei 3,1, in den Niederlanden (130 km/h) bei 3,8 und in Dänemark (130 km/h) bei 4.

Es gibt aktuellere Daten zu Verkehrstoten

Zudem gibt es bereits neuere Werte. Für die Jahre 2019 bis 2021 hat die EU-Kommission am 22. März 2022 Zahlen zu Verkehrstoten in den EU-Staaten herausgegeben. Auch an ihnen lässt sich erkennen, dass Deutschland mit 31 Toten auf eine Million Einwohner (2021) nicht der Musterschüler an der Spitze ist.

Zwar liegen Länder wie Polen (59 auf eine Million), Italien (48), Frankreich (45) und Belgien (43) tatsächlich auch hier über dem deutschen Wert. Doch Staaten wie die Niederlande (28), Irland (27), Dänemark (23) oder Schweden (18) haben eine geringere Quoten.

Gegenüberstellung grundsätzlich schwierig

Ein solcher Zusammenhang von Verkehrstoten und Tempolimits, wie er im Sharepic gemacht wird, ist nicht zielführend. Denn die allgemeinen Daten zu Verkehrstoten lassen etwa keinen Unterschied erkennen, ob sich die Unfälle beispielsweise in verkehrsberuhigten städtischen Bereichen oder auf Überlandstraßen ereigneten.

Den jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge starben im Jahr 2020 die meisten Menschen auf Landstraßen außerhalb von Ortschaften, nicht auf Autobahnen. Ähnlich war es 2021 etwa in Österreich.

Unfallbilanz konkret auf Autobahnen

Zum Unfallgeschehen auf Autobahnen macht die Europäische Union bis einschließlich 2020 Angaben. Deutschland lag dabei nur im schlechtesten Drittel der 22 europäischen Länder, aus denen Werte dazu erhältlich sind.

Demnach gab es 2020 in der Bundesrepublik 0,4 Tote pro 100 000 Einwohner nach Verkehrsunfällen auf Autobahnen. In Polen waren es 0,1 Tote, 0,3 in Griechenland, Italien, Frankreich und Österreich. Von den im Sharepic genannten Ländern war allein in Belgien die Quote mit 0,7 höher als hierzulande.

(Stand: 21.6.2022)

Links

WHO-Bericht «Global Status Report On Road Safety 2018» (archiviert)

EU-Kommission über Verkehrstote nach EU-Ländern 2019-2021 (archiviert)

Eurostat über Verkehrstote nach Straßenarten und EU-Ländern (archiviert)

EU-Kommission über Tempolimits in EU-Staaten (archiviert)

Brititsche Regierung über Tempolimits in Großbritannien (archiviert)

Statistisches Bundesamt Verkehrsunfälle 2020, besonders S. 20-24 (archiviert)

Österreichisches Innenministerium über Unfälle 2021 (archiviert)

Instagram-Post mit irreführender Grafik über Tempolimit (archiviert)

Facebook-Post mit irreführender Grafik über Tempolimit (archiviert)

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