Szenarien werden mit diversen Erregern durchgespielt

08.06.2022, 10:55 (CEST), letztes Update: 15.06.2022, 12:59 (CEST)

Sie glauben nicht an Zufälle: Verschwörungsgläubige vermuten hinter allem einen Geheimplan - auch hinter dem Ausbruch der Affenpocken. Doch was sie als angeblichen Beweis vorlegen, ist irreführend.

Kaum entspannt sich die Corona-Situation in Deutschland ein wenig, da taucht schon der nächste Erreger auf. Die Sorge vor den Affenpocken geht um - der Boden für neue Verschwörungsmythen. «Es ist alles von oben geplant», heißt es in einem weit verbreiteten Telegram-Post. Als Beleg für die altbekannte «Plandemie»-Theorie wird auf einen Bericht über eine Übung auf der Münchner Sicherheitskonferenz aus dem Jahr 2021 verlinkt. Was geschah dort wirklich?

Bewertung

Mit Hilfe von Planspielen ergründen Organisationen, wie sie im Falle eines globalen Krankheitsausbruchs wirksam reagieren können. Für solche Szenarien werden meist Erreger ausgewählt, die eine reale Gefahr für mögliche Ausbrüche darstellen - nicht nur Affenpocken. Daher ist es erwartbar, dass es Jahre nach einem theoretischen Planspiel tatsächlich Ausbrüche gibt.

Fakten

Während der Münchner Sicherheitskonferenz im März 2021 veranstaltete die Organisation NTI|bio eine Übung. Wie bereits in den beiden Jahren davor ging es dabei um potenziell schwerwiegende biologische Bedrohungen. Das Szenario 2019 drehte sich um einen grippeähnlichen Erreger mit einer sehr hohen Fallsterblichkeit (80 Prozent), im Jahr darauf war es ein genetisch verändertes H2N2-Virus.

Im dritten Jahr der Übungsreihe wurde ein fiktives Pandemie-Szenario um ein modifiziertes Affenpocken-Virus entworfen, das gegen Impfstoffe resistent ist. Für das Planspiel wurde eine rasante globale Ausbreitung des Erregers angenommen, die innerhalb von einem Jahr zu 27 Millionen Toten führen würde, nach weiteren sieben Monaten sogar zu mehr als 270 Millionen Toten.

Damit unterscheidet sich das Szenario stark von vergangenen Affenpocken-Ausbrüchen - und auch vom aktuellen. In der Demokratischen Republik Kongo werden seit Jahrzehnten Infektionen registriert - allerdings viel weniger als im NTI-Modellszenario. 2020 belief sich die Gesamtzahl der jährlichen Verdachtsfälle laut CBC auf fast 6 300, darunter 229 Todesfälle. Da es bereits in vielen Ländern Ausbrüche gab, entschied sich das NTI dafür, einen ähnlichen Erreger im Planspiel zu verwenden.

Seit Anfang Mai 2022 breitet sich der vergleichsweise milde westafrikanische Stamm des Virus in Europa aus. Nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) ist eine Infektion mittlerweile bei 80 Menschen in Deutschland bestätigt und gemeldet worden. (Stand: 7.6.2022)

Doch bereits vor Auftauchen der Affenpocken in Europa gab es einen Impfstoff dagegen. Imvanex ist zwar hierzulande bislang nur gegen Menschenpocken zugelassen, Experten gehen aber auch von einer guten Wirksamkeit bei Affenpocken aus. Deutschland hat bis zu 40 000 Dosen davon bestellt. Mit Impfungen im Bereich bekannter Infektionscluster könnte das Ausbruchsgeschehen wahrscheinlich deutlich eingegrenzt werden, sagt Ralf Bartenschlager vom Universitätsklinikum Heidelberg. Zudem gibt es ein in der EU zugelassenes Medikament.

Auch wenn sich das 2021er Szenario stark von dem aktuellen Ausbruch unterscheidet, mag es überraschen, dass sich die Übung ausgerechnet um Affenpocken drehte. Doch es fanden schon sehr viele ähnliche Planspiele mit ganz unterschiedlichen Erregern statt. Neben den genannten Grippe-Erregern wurden beispielsweise auch Szenarien mit Coronaviren, Ebola, Masern, Zika, Rifttalfieber oder - bei der Sicherheitskonferenz 2022 - dem Akhmeta-Virus entworfen.

Angesichts der Vielzahl der Planspiele ist es kaum überraschend, dass es früher oder später tatsächlich zu Ausbrüchen mit ähnlichen Erregern kommen kann. Ein Planspiel ist aber kein Plan - so, wie die Feuerwehr auch keine Brände plant, wenn sie das Löschen übt.

(Stand: 7.6.2022)

Links

Telegram-Post (archiviert)

NTI|bio (archiviert)

NTI-Artikel vom 18.3.2021 (archiviert)

NTI-Bericht 2019 (archiviert)

NTI-Bericht 2020 (archiviert)

NTI-Bericht 2021 (archiviert)

F&A des RKI zu Affenpocken

dpa-Artikel über Affenpocken via nau.ch (archiviert)

NTI-Statement vom 24.5.2022 (archiviert)

Event-201-Planspiel (archiviert)

Infectious Disease Self-Administered Tabletop Exercises

(archiviert)

Cross Border Table Top Exercise (archiviert)

NTI-Artikel vom 23.2.2022 (archiviert)

CBC-Artikel (archiviert)

RKI zu Affenpocken (archiviert)

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