Keine Belege, dass dieser Satz von dem Philosophen Adorno stammt

28.01.2022, 10:56 (CET)

Der 1969 gestorbene Philosoph Theodor W. Adorno wird in politischen Diskussionen nach wie vor oft zitiert. Auf Facebook etwa kursieren Beiträge (archiviert) und Sharepics (archiviert), die dieses angebliche Zitat Adornos enthalten: «Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.» Aber stammt dieser Satz überhaupt von ihm?

Bewertung

Es gibt keinerlei Belege, dass Adorno sich in seinem Werk oder mündlich so geäußert hat. Deutlich wahrscheinlicher ist, dass der verbreitete Satz eine andere Äußerung des Philosophen sehr frei paraphrasiert und ihm fälschlicherweise als wörtliches Zitat zugeschrieben wird.

Fakten

Außer dem Hinweis auf den angeblichen Urheber Adorno gibt es in den Facebook-Beiträgen zu dem Zitat keine genaue Quellenangabe, also keine Textstelle oder ähnliches - auch nicht in der leicht abgewandelten Formulierung «Ich fürchte nicht» statt «Ich fürchte mich nicht». In Online-Artikeln lässt sich der Satz bis ins Jahr 2007 zurückverfolgen, wie der Literaturwissenschaftler Gerald Krieghofer für sein Blog «Zitatforschung» recherchiert hat. Aber auch in der von Krieghofer genannten Fundstelle gibt es keinen Hinweis auf eine Stelle im Werk von Adorno oder eine andere Veröffentlichung wie etwa einen Vortrag oder ein Interview.

Der Adorno-Biograph Stefan Müller-Doohm schreibt auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa): «Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist der Satz keine Originalformulierung von Adorno. Mir ist er in seinen Texten bislang noch nicht begegnet.» Auch eine Prüfung von Vorträgen und Gesprächen Adornos zu den Themen des angeblichen Zitats zeige keine Quelle. Auf dpa-Anfrage schreibt auch das Adorno-Archiv an der Akademie der Künste in Berlin, dass man das Zitat für apokryph, also unecht halte.

Zitatforscher Krieghofer zufolge ist wahrscheinlich, dass der Satz vielmehr eine Äußerung in einem Vortrag aus dem Jahr 1959 zusammenfasst. Adorno hatte darin zur Frage «Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit?» unter anderem gesagt:

«Ich möchte nicht auf die Frage neonazistischer Organisationen eingehen. [...] Die wir uns hier zusammenfinden, sehen wohl recht wenig von dem, wovon wir nicht wollen, dass es wiederkehre. Dass wir es nicht wollen, hält uns vorweg den anderen fern. Aber ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potenziell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie. Unterwanderung bezeichnet ein Objektives; nur darum machen zwielichtige Figuren ihr Comeback in Machtpositionen, weil die Verhältnisse sie begünstigen.»

Möglich ist, dass dieses Zitat interpretierend zusammengefasst worden ist und in einer solchen verkürzten Form später fälschlicherweise als wörtliche Aussage verstanden wurde.

Gemein haben Adornos Wortlaut und das Falschzitat im weiteren Sinne, dass ein Gegensatz konstruiert wird zwischen offen die Demokratie ablehnenden nationalsozialistischen oder faschistischen Akteuren und solchen, die verdeckt innerhalb der Demokratie existieren. Zentrale Begriffe des auf Facebook kursierenden Satzes wie «Rückkehr» und «Maske» finden sich im Wortlaut Adornos allerdings gar nicht. Auch spricht Adorno über den Nationalsozialismus und nicht über Faschismus. Die Begriffe werden in der Geschichtswissenschaft in der Regel nicht synonym verwendet.

Es ist wahrscheinlich, dass Adorno mit Formulierungen wie «Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie» und «Unterwanderung» auf die damalige gesellschaftliche Debatte über Politiker und Funktionäre Bezug nimmt, die im Nationalsozialismus und auch in den ersten Jahren der Bundesrepublik zum Beispiel unter Kanzler Konrad Adenauer Karriere machten. So hatte Adenauers langjähriger Kanzleramtsleiter Hans Globke im Nationalsozialismus als Jurist an der Entrechtung jüdischer Menschen mitgewirkt.

Dem Adorno-Archiv zufolge sei dem Philosophen damals allgemein wichtig gewesen, auf eine Änderung politischer Mentalitäten hinzuwirken: «Solange sie sich nicht ändern - so seine Überzeugung - lebt der Faschismus nach, bleibt die Demokratie eine formale.»

(Stand: 25.1.2022)

Links

Artikel mit Falschzitat auf «Telepolis» (4.6.2007) (archiviert)

Recherche von Gerald Krieghofer auf «Zitatforschung» (25.8.2017) (archiviert)

Adorno-Archiv an der Akademie der Künste (archiviert)

Adorno-Vortrag «Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit?» (archiviert)

Definition von «Nationalsozialismus» der Bundeszentrale für politische Bildung (archiviert)

Definition von «Faschismus» (archiviert)

Sammelband über NS-Kontinuitäten im Nachkriegsdeutschland (archiviert)

Biografie von Hans Globke (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviert)

Weiterer Beitrag auf Facebook (archiviert)

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