Corona-Zahlen aus Schottland kein Beleg für Unwirksamkeit der Impfungen

19.01.2022, 15:36 (CET)

Wie sehr schützen Impfungen vor der neuen Coronavirus-Variante Omikron? Die Frage treibt viele Menschen um. In einem Blogbeitrag (archiviert) werden Corona-Fallzahlen mit Informationen zum Impfstatus aus Schottland herangezogen - und so gedeutet: Dass die Impfstoffe «vor schweren Verläufen und Hospitalisierungen schützen», sei durch die Zahlen angeblich «als Irreführung entlarvt». Die Impfungen zerstörten vermeintlich «das natürliche Immunsystem».

Bewertung

Falsch. Die Zahlen geben diesen Schluss nicht her. Bei ihrer Interpretation müssen weitere Faktoren wie die generelle Impfquote und die Altersverteilung unter den registrierten Fällen berücksichtigt werden. Generell gilt: Je stärker sich die Impfquote 100 Prozent annähert, desto größer wird auch der Anteil der Geimpften an anderen Kennziffern. Die schottische Gesundheitsbehörde betont weiterhin, dass Impfungen Schutz unter anderem gegen schwere Verläufe bieten.

Fakten

Die im Blogartikel genannten Zahlen gehen auf wöchentliche Corona-Lageberichte der schottischen Gesundheitsbehörde Public Health Scotland zurück. Die Größenordnung der Zahlen entspricht denen der von der Behörde genannten - wenn auch nicht klar ist, welche konkreten Werte aus den Berichten für den genannten Zeitraum addiert wurden.

Public Health Scotland nennt jeweils für die zurückliegenden vier Wochen einzeln die Zahl der registrierten Fälle, korrigiert diese aber auch jeweils rückwirkend leicht. Demnach waren rund 80 Prozent der positiv getesteten Menschen mindestens einmal geimpft - wie es auch im Blog angegeben wird.

Bei der Interpretation dieser Daten müssen jedoch einige Dinge berücksichtigt werden: Zum einen die generelle Impfquote in der untersuchten Bevölkerung. Hintergrund ist, dass bei einer steigenden Impfquote auch die Anteile von Geimpften bei weiteren Kennziffern automatisch größer werden - etwa bei symptomatisch Infizierten oder Hospitalisierungen, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) bereits in einem Faktencheck gezeigt hat.

In Schottland haben derzeit (Stand: 18. Januar 2022) bereits rund 92 Prozent der Menschen über zwölf Jahren mindestens eine Impfung erhalten. Eine Booster-Impfung haben demnach etwas mehr als zwei Drittel in dieser Altersgruppe. Dementsprechend ist auch ihr Anteil an allen Corona-Infektionen größer als der der Ungeimpften. Die Virus-Varianten Delta und Omikron haben den Impfschutz vor symptomatischer Erkrankung verringert, auch bei Menschen, die die lange Zeit üblichen zwei Impfdosen erhalten haben.

Public Health Scotland betont in seinem jüngsten Bericht jedoch, dass eine Auffrischungsimpfung weiter einen Schutz vor einer symptomatischen Infektion biete. Auch vor Krankenhauseinweisungen gibt es demnach einen Schutz. Dabei beruft sich die Behörde auf jüngste, noch nicht veröffentlichte Studienergebnisse. Die Zahlen müssen demnach noch vorsichtig interpretiert werden. Die Behörde verweist darauf, dass die Zahl der Hospitalisierungen generell noch klein sei und ein Großteil der Omikron-Fälle jüngere Menschen betreffe, die ohnehin ein niedrigeres Risiko für schwere Verläufe haben.

Die Hospitalisierungsraten im Bericht sind aus diesem Grund altersstandardisiert, also statistisch aufbereitet worden. Public Health Scotland schreibt mit Stand vom 10. Januar 2021: «Zwischen dem 11. Dezember 2021 und dem 7. Januar 2022 war die altersstandardisierte Hospitalisierungsrate pro 100 000 Einwohner unter Ungeimpften höher als unter Menschen mit einer dritten Dosis oder Boosterimpfung. In der vergangenen Woche hatten Menschen ohne Impfung in einer altersstandardisierten Bevölkerung eine viermal höhere Wahrscheinlichkeit, wegen Covid-19 ins Krankenhaus zu müssen als Menschen mit einer dritten Dosis oder Boosterimpfung.»

Die Zahlen aus Schottland zeigen also, dass die Auffrischungsimpfung einen wirksamen Schutz gegenüber der Omikron-Variante bietet. Zu diesem Schluss waren zum Jahreswechsel 2021/22 auch das deutsche Robert Koch-Institut (RKI) und Immunologen gekommen.

Dass Menschen mit einer dritten Impfdosis unter den Corona-Todesfällen in Schottland zum Jahresende, wie im Blogbeitrag gezeigt, etwas häufiger als die anderen Gruppen vorkommen, geht möglicherweise ebenfalls auf einen Alterseffekt zurück: Schottland hatte neben medizinischem Personal zuerst ältere Menschen ein drittes Mal geimpft, die jedoch auch mit Booster ein höheres Risiko für schwere oder tödliche Corona-Verläufe haben. Allgemein sind die zuletzt verzeichneten Todesfallzahlen in ganz Großbritannien deutlich geringer als während der schweren Corona-Wellen Ende 2020 und Anfang 2021. Das ist ein Effekt der Impfungen.

Aus den Zahlen aus Schottland lässt sich nicht ableiten, dass Impfungen nicht schützen - im Gegenteil. Auch für die immer wieder von Impfgegnern aufgestellte Behauptung, die Impfstoffe zerstörten das Immunsystem, gibt es keinen Beleg. Auf dpa-Anfrage zu ähnlich falsch interpretierten Daten aus Deutschland hatte das RKI bereits Anfang des Jahres mitgeteilt, dass es keine Hinweise gebe, dass die Impfung eine Infektion begünstige. Vergleichbare Behauptungen, die sich auf ältere Daten aus Großbritannien beriefen, hatten Faktenchecker von «PolitiFact» bereits Anfang Dezember widerlegt.

(Stand: 18.1.2022)

Links

Schottischer Corona-Lagebericht mit Stand vom 20.12.2021 (archiviert)

Schottischer Corona-Lagebericht mit Stand vom 10.1.2022 (archiviert)

dpa-Faktencheck zu Impfdurchbrüchen (15.12.2021)

Schottisches Impfdashboard (archiviert)

dpa-Faktencheck zu Fallzahlen und Omikron in Deutschland (6.1.2022)

Start der Boosterimpfungen in Schottland (20.9.2021) (archiviert)

Corona-Todesfälle in Großbritannien (archiviert)

Faktencheck zu Omikron in Großbritannien von «PolitiFact» (3.12.2021) (archiviert)

Beitrag auf «Unser Mitteleuropa» (archiviert)

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