Großer Anteil der Omikron-Fälle im RKI-Bericht mit unbekanntem Impfstatus

06.01.2022, 15:18 (CET), letztes Update: 06.01.2022, 16:51 (CET)

Die sich ausbreitende, ansteckendere Omikron-Variante des Coronavirus beschäftigt Virologen, Politiker und die Öffentlichkeit. Dabei kursieren Zahlen zu Omikron-Fällen in Deutschland und dem Impfstatus der Infizierten. In Beiträgen bei Facebook (hier archiviert) ist die Rede davon, dass angeblich 95 Prozent der mit Omikron Infizierten geimpft seien. Ungeimpfte würden demnach nur rund 4 Prozent der Omikron-Fälle ausmachen. Als Quelle wird das Robert Koch-Institut (RKI) genannt. Stimmen diese Zahlen überhaupt?

Bewertung

Die Prozentzahlen gehen zurück auf absolute Angaben in einem Bericht des RKI vom 30. Dezember 2021. Bei der Berechnung wurde jedoch vielfach außer Acht gelassen, dass für den größten Teil - mehrere Tausend - der zu diesem Zeitpunkt beim RKI bekannten Omikron-Fälle gar keine Informationen zum Impfstatus vorlagen. Das RKI rät daher, keine Schlüsse auf die Impfeffektivität zu ziehen. Einige Tage nach der Veröffentlichung hat das RKI wegen einer fehlerhaften Angabe den Bericht zudem korrigiert und die Zahl der bekannten ungeimpften Omikron-Infizierten deutlich nach oben korrigiert.

Fakten

Das RKI hat in einer ersten Version des Wochenberichts (archiviert) zum Coronavirus am 30. Dezember die von ihm in der 51. Kalenderwoche registrierten Omikron-Fälle beziehungsweise Omikron-Verdachtsfälle mit insgesamt 10 443 in Deutschland beziffert. Zudem schreibt das Institut, dass es zu einigen der Fälle Zusatzinformationen zum Beispiel zum Impfstatus der Infizierten gebe. 186 Patientinnen und Patienten seien ungeimpft und 4020 vollständig geimpft gewesen. Von den 4020 Geimpften hätten 1137 zudem bereits eine Auffrischimpfung erhalten.

Diese Zahlen wurden rasch in den Sozialen Netzwerken aufgegriffen. Aus den Zahlen 186 und 4020 wurde ein Anteil von rund 95,5 Prozent vollständig Geimpfter an allen Omikron-Fällen errechnet.

Die Zahl der Fälle ohne Informationen zum Impfstatus ergibt sich aus der Differenz von 10 443 und 4020 sowie 186: Für 6237 Fälle lag den RKI-Angaben zufolge somit gar keine Information zum Impfstatus vor. Berücksichtigt man sie, so lägen die Prozentanteile der Geimpften und Ungeimpften nur noch bei rund 38,5 beziehungsweise 1,8 Prozent. Der Anteil der Fälle ohne Angabe läge bei rund 59,7 Prozent.

Wie genau die Verteilung auf Geimpfte und Ungeimpfte in dieser Gruppe sein könnte, ist Spekulation. Auch das RKI schreibt auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa): «Wir können keine Aussagen zu den Fällen mit unbekanntem Impfstatus machen.» Generell sei eine Interpretation der Daten angesichts des hohen Anteils der Fälle mit unbekanntem Impfstatus nur «mit Vorsicht vorzunehmen».

Zur Erläuterung schreibt das RKI über die Omikron-Zahlen: «Diese werden von den Gesundheitsämtern erhoben, mit Nachmeldungen (z.B. des Impfstatus) in den nächsten Wochen ist noch zu rechnen.» Eine Systematik bei der Erhebung des Impfstatus von Omikron-Infizierten hat es hier also nicht gegeben - auch das schwächt die Aussagekraft der Daten.

Dennoch wird die Zahl von 95 Prozent in vielen Postings, Artikeln und auch inzwischen wieder gelöschten Videos aufgegriffen - mal mit, mal ohne Hinweis auf den dabei nicht berücksichtigen Anteil der Fälle mit unbekanntem Impfstatus. Zum Teil werden die Anteile der Geimpften und Ungeimpften dem Anteil dieser Gruppen an der Gesamtbevölkerung gegenübergestellt. Dort ist der Anteil der Geimpften kleiner, so dass ein Eindruck entsteht, Geimpfte seien ein Treiber der Ausbreitung von Omikron. An einigen Stellen heißt es in diesem Zusammenhang gar, dass die Impfung nicht wirke oder «sogar kontraproduktiv» sei.

Das RKI verweist dazu auf dpa-Anfrage jedoch auf wissenschaftlich ausgewertete Daten zur Wirksamkeit der Impfungen gegen Omikron aus anderen Ländern, etwa Großbritannien, Südafrika und Dänemark. «Einen Hinweis, dass die Impfung eine Infektion begünstigt, gibt es in keiner dieser Studien», schreibt das RKI.

Den RKI-Angaben gegenüber dpa zufolge deuten die Studien vielmehr auf einen nach wie vor vorhandenen, wenn auch verringerten Schutz gegenüber Omikron hin. Gegenüber schweren, vom RKI «hospitalisierungsbedürftigen» genannten Verläufen, ist der Schutz demnach höher als vor milden Infektionen. Eine Auffrischungsimpfung erhöhe gegenüber beiden Verlaufsformen den Schutz, schreibt das RKI unter Berufung auf von der britischen Gesundheitsschutzbehörde veröffentlichte Daten aus England und eine Studie aus Südafrika. Diese Einschätzung wird auch vom Immunologen Leif Erik Sander von der Berliner Charité geteilt, der entsprechende Forschungsergebnisse zur Ausbildung von Antikörpern gegen Omikron nach einer dritten Impfung veröffentlicht hat.

Am 3. Januar, also zum Teil einige Tage nachdem die RKI-Zahlen zum Impfstatus von Omikron-Infizierten in Blogs und den sozialen Netzwerken verbreitet wurden, hat das Institut seinen Wochenbericht korrigiert: Statt 186 bekannten ungeimpften Omikron-Infizierten wird dort nun die Zahl 1097 genannt. Auf dpa-Anfrage teilt das RKI mit, dass ein Übertragungsfehler vorgelegen habe und fälschlicherweise mit 186 eine veraltete Zahl in der ersten Version des Berichts verwendet worden war. Tatsächlich findet sich diese Zahl auch in einer vergleichbaren Passage im Bericht der Vorwoche.

Dementsprechend schrumpft die Zahl der Fälle mit unbekanntem Impfstatus im korrigierten Bericht vom 30. Dezember auf 5326 und der Anteil der bekannten ungeimpften Omikron-Infizierten vergrößert sich. Allerdings gilt auch für diese korrigierten Zahlen, dass sie laut RKI nur mit Vorsicht zu interpretieren sind. Rückschlüsse auf die Impfeffektivität sollten daraus nicht gezogen werden.

Generell ist bei Zahlen zum Impfstatus zu berücksichtigen, dass bei einer steigenden allgemeinen Impfquote auch die Anteile von Geimpften bei weiteren Kennziffern automatisch steigen - etwa bei symptomatisch Infizierten oder Hospitalisierungen, wie dpa bereits in einem Faktencheck gezeigt hat.

(Stand: 06.01.2022)

Links

Archivierte erste Version des RKI-Wochenberichts vom 30.12.2021

Korrigierter RKI-Wochenbericht vom 30.12.2021 (archiviert)

RKI-Wochenbericht vom 23.12.2021 (archiviert)

Tweet eines Journalisten mit Zahlen zu geimpften Omikron-Fällen (30.12.2021) (archiviert)

Ergänzender Tweet des Journalisten (30.12.2021) (archiviert)

Bericht mit Daten aus England (31.12.2021) (archiviert)

Studie aus Südafrika (29.12.2021) (archiviert)

Tweet des Immunologen Leif Erik Sander (3.1.2021) (archiviert)

Forschungsergebnisse u.a. von Sander (27.12.2021) (archiviert)

dpa-Faktencheck zu Impfdurchbrüchen (15.12.2021)

Artikel von «RT DE» (archiviert)

Archiviertes Video auf Youtube

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Weiterer Beitrag auf Facebook (archiviert)

Grafik auf Facebook (archiviert)

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