Abgeschnittene Ecke oder Lochung ist Orientierung für Blinde - Stimmzettel bleibt gültig

14.09.2021, 13:24 (CEST), letztes Update: 20.09.2021, 12:25 (CEST)

Viele Wahlberechtigte erhalten in diesen Tagen ihre beantragten Briefwahlunterlagen für die Bundestagswahl am 26. September. In sozialen Medien wird das mitunter zum Anlass genommen, die Wahlunterlagen genau unter die Lupe zu nehmen. Ein Facebook-Beitrag zeigt einen abfotografierten Stimmzettel, an dem eine Ecke fehlt (archiviert). Dazu heißt es: «Wie entwertet man ein Dokument? Richtig rechte obere Ecke abschneiden. Dieser Wahlzettel kam heute so per Post zugeschickt. Der wahlschein ist ungültig [...]» (Schreibfehler im Original) Hat die abgeschnittene Ecke des Stimmzettels wirklich Auswirkungen auf seine Gültigkeit? Und sind Wahlen tatsächlich seit 1956 illegal, wie im Facebookpost behauptet wird?

Bewertung

Die abgeschnittene Ecke ermöglicht Blinden oder Menschen mit Sehbehinderung die Wahl. Die Behauptung zu einer vermeintlichen Ungültigkeit ist somit falsch. Das Wahlgesetz scheibt die Ecke oder ein Loch vor, damit eine Stimmzettelschablone angelegt werden kann.

Fakten

In der Bundeswahlordnung (BWO) im Paragraf 45, Absatz 2 steht: «Zur Verwendung von Stimmzettelschablonen wird die rechte obere Ecke des Stimmzettels gelocht oder abgeschnitten.» Die fehlende Ecke ist also eine Orientierungshilfe für blinde und sehbehinderte Menschen. Manche Stimmzettel haben dort auch ein Loch. Auch mit dieser Markierung bleibt der Stimmzettel somit gültig. Gegenteilige Falschinformation kursieren jedoch immer wieder.

«Durch die Markierung kann der Stimmzettel richtig herum in eine Schablone gelegt werden, mit deren Hilfe Blinde eigenständig den Wahlzettel ausfüllen können», erklärte Torsten Resa vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Damit auch blinde und sehbehinderte Menschen geheim wählen können, ist jeder Briefwahlzettel gleich beschaffen. Das heißt, jede Wählerin und jeder Wähler, und nicht nur Menschen mit einer Sehbehinderung, erhalten abgeschnittene oder gelochte Exemplare.

Auf dem Facebook-Foto ist erkennbar, dass der abgebildete Stimmzettel aus einem Wahlkreis in Nordrhein-Westfalen stammt. Auch im Landeswahlrecht dieses Bundeslandes gibt es eine Regel, um sehbehinderten Wählerinnen und Wählern ihr Stimmrecht zu gewährleisten: «Zur Verwendung von Stimmzettelschablonen wird die rechte obere Ecke des Stimmzettels abgeschnitten», heißt es in Paragraf 29.

In der Bundeswahlordnung im Paragraf 39 ist zudem klar geregelt, wann ein Stimmzettel ungültig wird und nicht mitgezählt wird. Das ist etwa der Fall, wenn der Stimmzettel nicht amtlich hergestellt ist, zu viele Kreuze enthält oder den Willen des Wählers nicht zweifelsfrei erkennen lässt. Bei der Briefwahl werden Stimmzettel unter anderem ungültig, wenn der Wahlbrief nicht rechtzeitig angekommen ist oder wenn die Unterschrift auf dem Wahlschein - nicht dem Stimmzettel - fehlt. Mit dieser bestätigt man, dass man die Wahl unbeeinflusst getroffen hat.

Dass Wahlen angeblich seit 1956 illegal sein sollen, ist eine bekannte Falschbehauptung, die in einem dpa-Faktencheck bereits geprüft wurde. Die Falschinformation geht darauf zurück, dass ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 falsch verstanden wird. Das Gericht hat ein bestimmtes Wahlgesetz als verfassungswidrig eingestuft - nicht alle Wahlen seit 1956.

(Stand: 14.9.2021)

Links

§45 der Bundeswahlordnung, u.a. zur Lochung von Stimmzetteln (archiviert)

§39 der Bundeswahlordnung zu ungültigen Stimmen (archiviert)

§29 der Landeswahlordnung NRW zu Stimmzettelschablonen (archiviert)

dpa-Faktencheck «Gelochte Wahlzettel sind gültig - Orientierung für Blinde»

dpa-Erklärstück zur Briefwahl (archiviert)

dpa-Faktencheck «Gericht erklärte Wahlgesetz, nicht aber alle Wahlen seit 1956 für nichtig»

Facebook-Beitrag mit der Behauptung (archiviert)

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com