Tödliche Pilzerkrankung schon vor Corona-Pandemie in Indien verbreitet

07.06.2021, 16:21 (CEST)

In Indien verbreitet sich im Mai 2021 neben Sars-CoV-2 ein weiterer gefährlicher Krankheitserreger: Zu Tausenden infizieren sich Covid-19-Patienten und Genesene mit dem sogenannten «Schwarzen Pilz», die Infektion wird Mukormykose genannt. Der Pilz dringt beim Einatmen in die Nasennebenhöhlen ein. Er verfärbt und zerstört Gewebe, Knochen und Blutbahnen. In Beiträgen im Internet wird nun behauptet, die Pilz-Sporen würden beim Abstrich für den PCR-Test übertragen, mit den eine Sars-CoV-2-Infektion ermittelt werden soll. Dazugestellt sind Fotos Betroffener. «Die neue Pilzpandemie ist zu 99%iger Wahrscheinlichkeit eine PCR-Test-Pandemie, denn niemand weiß, wie die Stäbchen präpariert wurden», heißt es in einem Blog-Beitrag (hier archiviert). Schon im Jahr 2015 habe eine Studie ergeben, dass Pilz-Sporen auf den PCR-Tests vorhanden seien. Ist dem so?

Bewertung

Die Zahl der Mukormykose-Fälle war in Indien schon vor der Corona-Pandemie vergleichsweise hoch, unter anderem wegen der hohen Diabetikerrate. Auch die häufig bei Covid-19-Patienten angewendete Kortison-Behandlung kann die Ausbreitung des Pilzes begünstigen. Für eine Übertragung durch kontaminierte Abstrichstäbchen gibt es keinen Beleg, auch nicht in der genannten Studie.

Fakten

Indien ist derzeit einer der am schwersten von der Corona-Pandemie betroffenen Staaten. Verschärfte zunächst ein Mangel an Medikamenten und medizinischem Sauerstoff die Situation, droht nun eine weitere Gefahr: Immer mehr Covid-19-Patienten, aber auch Genesene ziehen sich zusätzlich eine Mukormykose zu. Momentan gibt es kaum verlässliche Infektionszahlen für Indien, verschiedene Medien aber berichten von rund 10 000 Fällen und Hunderten Verstorbenen.

Die Erkrankung trägt den Beinamen «Schwarzer Pilz», weil der Erreger binnen Kurzem das Gesichtsgewebe dunkel verfärbt und absterben lässt, sogar Knochen, Nerven und Blutbahnen zerfrisst und so immer weiter in den Kopf vordringt. Wird die Krankheit nicht rechtzeitig behandelt, führt sie - laut der US-Seuchenkontrollbehörde CDC - in über 50 Prozent der Fälle zum Tod.

Tatsächlich zeigen die Blog-Bilder das Mukormykose-Krankheitsbild, sie dokumentieren aber keine aktuellen Fälle in Indien. Die Fotos sind einem chinesischen Fachjournal über Hauterkrankungen entnommen, das im vergangenen August 2020 einen einzelnen Fall von Mukormykose beschrieb: Bei einem jungen Leukämie-Patienten trat die Pilz-Infektion als Begleiterkrankung auf.

Mukormykose wird durch verschiedene Schimmelpilze verursacht, die weltweit im Boden verbreitet sind, wo sie totes, organisches Material wie Laub zersetzen. Die Sporen werden vom Wind weitergetragen. «Atmen Menschen die Sporen ein oder gelangen diese in offene Wunden, kann dies zu Infektionen führen», erklärt Oliver Cornely, Leiter des Europäischen Exzellenzzentrums für Invasive Pilzinfektionen an der Universitätsmedizin Köln gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa).

Die Erkrankung tritt jedoch - global betrachtet - sehr selten auf: In westlichen Ländern trifft sie, statistisch, einen von einer Million Menschen. In Indien aber war die Quote, wie im März 2019 veröffentlichte Daten zeigen, schon vor der Corona-Pandemie mit gut 140 Erkrankten pro einer Million Menschen vergleichsweise hoch. Ein Hauptgrund dafür ist die Diabetesrate in Indien - eine der höchsten weltweit. Viele Patienten bekommen zudem nicht die richtigen Medikamente - oder werden gar nicht als Diabetiker diagnostiziert. Oliver Cornely erläutert: «Ein dauerhaft hoher Blutzuckerspiegel verändert die Schleimhautzellen in den Atemwegen ungünstig, so dass der Pilz dort andocken und zu wachsen beginnen kann.»

Auch Therapien mit Steroiden wie Kortison, bei Covid-19-Erkrankungen eingesetzt, können die Ausbreitung des Pilzes begünstigen. Denn das Medikament verringert die Immunabwehr. Eine ungünstige Verquickung dieser Faktoren hat wahrscheinlich dazu geführt, dass Indien gerade besonders von der Pilzinfektion betroffen ist. So weist eine jüngst publizierte Studie nach, dass dort 94 Prozent der Covid-19-Patienten, die sich zusätzlich mit dem «Schwarzen Pilz» infiziert haben, zuvor auch an Diabetes litten.

Einige indische Ärzte vermuten zudem, dass sich der Pilz in den Krankenhäusern über Luftbefeuchter oder Sauerstofftanks, die verunreinigtes Wasser enthielten, verstärkt übertragen hat. Dass die Pilzsporen - wie im Blog behauptet - über kontaminierte Abstrich-Stäbchen von Corona-Tests verbreitet würden, wird nirgends benannt. Auch Oliver Cornely hält dies aus mehreren Gründen für höchst unwahrscheinlich.

«Die Sporen werden ja mit jedem Atemzug aufgenommen. Da braucht es kein kontaminiertes Wattestäbchen, um sie zu streuen», so der Experte. «Hinzu kommt: Die Infektionen treten in Indien überwiegend in den Nasennebenhöhlen auf. Da kommt man mit einem geraden Stäbchen nur sehr kompliziert hin. Es müsste schon ein spezialgebogenes, ja, hochintelligentes sein.»

Cornely erklärt gegenüber der dpa, er kenne auch keinen Fall, in dem die Übertragung dieses speziellen Pilzes durch Material wie Wattestäbchen nachgewiesen und beschrieben worden sei. Der Aufsatz von 2015, der im Blog zitiert wird, belegt den Zusammenhang ebenso wenig. Tatsächlich, so ist dort zu lesen, wurden schon Spuren von Pilz-DNA in Test-Kits gefunden (der «schwarze Pilz» wird nicht genannt). Jedoch fanden sich diese in den verschiedenen Reagenzien, den Nähr- und Nachweislösungen der Tests, und nicht auf dem Wattestäbchen, mit dem die Patienten intensiv in Berührung kommen.

Links

Blog-Beitrag (archiviert)

Infos über Mukormykose (archiviert)

Indischer Medienbericht (archiviert)

Biografie Oliver Cornely (archiviert)

WHO-Report: Diabetes in Indien (archiviert)

Paper zu Pilzsporen auf PCR-Reagenzien (archiviert)

FAZ-Bericht zur Pilz-Infektion, mit Bezahlschranke (3. Juni 2021) (archivert)

Fachartikel über Mukormykose (archiviert)

Studie zum Kortison-Einsatz bei Covid-19 (archiviert)

Studie zum Zusammenhang Covid-19 - Diabetes - Mukormycose (archiviert)

CDC über Mucormykose-Statistik (archiviert)

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com