Familie des Toten bittet darum, keine Unwahrheiten zu verbreiten - laut Staatsanwaltschaft keine Gewalteinwirkung

16.03.2021, 17:49 (CET)

Im vergangenen Jahr hat der Fall des durch Polizisten getöteten schwarzen US-Amerikaners George Floyd weltweit Proteste gegen rassistische Polizeigewalt ausgelöst. Verbunden mit einem ähnlichen Vorwurf kursiert in sozialen Medien in Deutschland aktuell der Fall eines verstorbenen 19-Jährigen. Polizisten hätten ihn angeblich «erst verfolgt, ihm notärztliche Hilfe verwehrt und dann in einer Polizeizelle zusammengeschlagen, woraufhin er zusammenbrach. Jetzt ist Qosay tot», heißt es in Tweets (archiviert hier) oder Facebook-Beiträgen (archiviert hier). «Durch die Polizei Gewalt Delmenhorst gestorben», heißt es dazu auf einem Sharepic.

BEWERTUNG: Ob Polizisten eine Mitschuld am Tod des jungen Mannes nach Polizeigewahrsam tragen, lässt sich zum derzeitigen Zeitpunkt (15. März 2021) weder bestätigen noch ausschließen. Laut Staatsanwaltschaft Oldenburg starb der 19-Jährige nicht durch Gewalteinwirkung. Der Fall ist aber noch nicht vollständig aufgeklärt. Über ihre Gemeinde ließ die Familie mitteilen, sie warte das Ergebnis der Untersuchung ab und bitte darum, von Unwahrheiten und Hass gegenüber der Polizei abzusehen.

FAKTEN: Der 19-jährige Qosay K. ist am Abend des 6. März in einem Krankenhaus in Oldenburg gestorben. Das teilte die Polizei am Sonntag, 7. März, mit. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Oldenburg sagte, eine Obduktion sei auf Antrag der Behörde vom Gericht angeordnet worden.

Was zuvor passierte, schilderte ein Polizeibericht so: Der 19-Jährige war am Freitagabend, 5. März, im Delmenhorster Wollepark aufgegriffen worden. Zwei Beamte wollten zwei Männer kontrollieren, die offensichtlich gerade Drogen nahmen. Dabei ergriff einer der Männer laut Polizei die Flucht, sei aber nach wenigen Metern eingeholt worden.

Es soll dann zu einer Auseinandersetzung gekommen sein, der 19-Jährige soll nach Angaben der Polizei unter anderem einen Polizisten mit der Faust geschlagen haben. Dieser soll dann Pfefferspray eingesetzt haben. Von den alarmierten Rettungskräften behandelt zu werden, habe der junge Mann abgelehnt, teilte die Polizei mit. Was weitere Zeugen zu dieser Darstellung sagen, ist bisher nicht bekannt.

Nach der Kontrolle ordnete eine Bereitschaftsrichterin auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Blutprobe an, heißt es im Polizeibericht. Während die Beamten auf einen Arzt warteten, wurde der 19-Jährige den Angaben zufolge in eine Gewahrsamszelle der Polizei gebracht. Vor Eintreffen des Arztes hätten Polizeibeamte per Videoüberwachung gesehen, wie der 19-Jährige in der Zelle zusammenbrach. Laut Polizei leisteten die Beamten daraufhin Erste Hilfe, der Rettungsdienst wurde alarmiert und versorgte den 19-Jährigen.

Er wurde dann in ein Krankenhaus in Oldenburg gebracht. All das teilte die Polizei gegen Mittag des Folgetags nach dem Vorfall mit. Den Tod des jungen Mannes am Samstagabend vermeldete die Polizei am Sonntagmorgen.

Am Montag teilte die Staatsanwaltschaft Oldenburg mit, er sei nicht durch Gewalteinwirkung von außen gestorben. Das sei das vorläufige Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung. Die genaue Todesursache ist demnach aber weiter unklar. Es wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft weitere Untersuchungen, insbesondere eine toxikologische in Auftrag gegeben. Wann mit den Ergebnissen gerechnet werden kann, war zunächst unklar.

Aus Neutralitätsgründen übernahm die Polizeiinspektion Oldenburg-Stadt/Ammerland die Ermittlungen von der Polizei in Delmenhorst.

Der Verstorbene war Mitglied der jesidischen Gemeinde in Oldenburg. Über diese hat sich die Familie am 9. März an die Öffentlichkeit gewandt: Sie habe «bisher noch kein klares Ergebnis über den Tod ihres Sohnes», bitte aber darum, «von Unwahrheiten, Stereotypen und Hass gegenüber der Polizei abzusehen», heißt es in einem Facebook-Beitrag der jesidischen Jugend Oldenburg. «Die Familie hat Vertrauen in die Organe des Rechtsstaates und wird über den Rechtsweg versuchen die Umstände des Todes in Erfahrung zu bringen und etwaige Schritte einleiten», heißt es in der Stellungnahme.

In einem Bericht des norddeutschen Regionalmagazins «buten un binnen» über die Beerdigung des 19-Jährigen bekräftigte dessen Großvater, dass bis zum Ende der rechtlichen und medizinischen Untersuchung die Unschuldsvermutung gelte. Die Familie und ihr Anwalt haben zudem eine zweite, private Obduktion in Auftrag gegeben. Deren Ergebnisse wollen sie mit dem Abschlussbericht der Oldenburger Staatsanwaltschaft vergleichen, um danach zu entscheiden, ob sie rechtliche Schritte einleiten werden, sagte der Anwalt in dem TV-Bericht.

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Links:

Facebook-Beitrag mit der Behauptung (7. März 2021): https://www.facebook.com/habib.hussein.351/posts/1074867519656831 (archiviert: https://archive.ph/8knu2)

Behauptung bei Twitter (7. März 2021): https://twitter.com/DeniDevih/status/1368529453245227008 (archiviert: http://dpaq.de/X5Ha7)

Pressemitteilung der Polizei über den Zusammenbruch in Polizeigewahrsam (6. März 2021): https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/68440/4856821 (archiviert: https://archive.ph/8hTcp)

Pressemitteilung der Polizei über den Tod des 19-Jährigen (7. März 2021): https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/68440/4857038 (archiviert: https://archive.ph/iTtpB)

dpa-Bericht über den Todesfall, veröffentlicht von „Welt.de“ (7. März 2021): https://www.welt.de/regionales/niedersachsen/article227782151/19-Jaehriger-nicht-durch-Gewalteinwirkung-gestorben.html (archiviert: https://archive.ph/TAhZQ)

dpa-Bericht über vorläufige rechtsmedizinische Untersuchung, veröffentlicht von «Spiegel.de» (8. März 2021): https://www.spiegel.de/panorama/justiz/delmenhorst-festgenommener-19-jaehriger-starb-nicht-durch-gewalteinwirkung-a-9ad78390-6f41-46a9-b848-b611d2e167e6 (archiviert: https://archive.ph/XRZU0)

Stellungnahme der Famile auf der Seite der jesidischen Jugend Oldenburg (9. März 2021): https://www.facebook.com/Yezidisches.Forum.Oldenburg.e.V/photos/a.746160258810983/3804888656271446/ (archiviert: https://archive.ph/r8dSG)

Bericht im Regionalmagazin «buten un binnn» von Radio Bremen (11. März 2021): https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/jugendlicher-tot-polizei-delmenhorst-beerdigung-100.html (archiviert: https://archive.ph/SSs4s, Video archiviert: http://dpaq.de/91kZQ)

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