Wahlurnen werden am Wahltag beaufsichtigt - Video beweist keine Manipulationsgefahr
5.3.2021, 16:25 (CET)
In den USA haben erfundene Erzählungen von systematischem Wahlbetrug das politische System schwer unter Druck gesetzt. Die Lügen führten letztlich sogar dazu, dass gewalttätige Unterstützer des abgewählten Präsidenten das Kapitol stürmten. Auch in Deutschland kursieren vor den anstehenden Landtagswahlen Gerüchte und Falschmeldungen über möglichen Wahlbetrug. Ein aktuelles Video soll zeigen, wie Wahlurnen auch hierzulande angeblich manipuliert werden können. «So geht Wahlbetrug», heißt es in einem Facebook-Beitrag dazu (Beitrag archiviert, Video archiviert).
BEWERTUNG: Wahlurnen sind in Deutschland immer auf mehrere Arten gesichert - vor allem, indem Wahlvorstand und Wahlhelfer sie beaufsichtigen. Dem Bundeswahlleiter und der Landeswahlleiterin in Baden-Württemberg, wo das Video aufgenommen wurde, sind keine Vorfälle bekannt, bei denen Wahlurnen vorzeitig geöffnet wurden.
FAKTEN: Es gibt in Deutschland verschiedene Anbieter von Wahlurnen - ein Modell wie im Video ist also keineswegs in «jedem Rathaus, jeder Behörde» zu finden, wie es heißt. Vorgeschrieben ist in der Bundeswahlordnung nur, dass die Wahlurne einen Deckel und bestimmte Maße haben muss. Außerdem muss sie verschließbar sein.
Vor Manipulation oder Missbrauch geschützt werden die Stimmzettel in den Wahlurnen vor allem, weil am Wahltag mehrere Menschen gleichzeitig die Wahlurne beaufsichtigen. «Durch die durchgängige Besetzung des Wahlraumes mit Wahlvorstand und Wahlhelfern sowie der Gewährleistung der Öffentlichkeit der Wahl ist die Wahlurne vor Fremdzugriff bzw. vorzeitige Öffnung geschützt», teilte eine Sprecherin des Bundeswahlleiters auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.
Briefwahlstimmen werden bis zur Auszählung «in einer vor Zugriff geschützten amtlichen Verwahrung» gesichert. Diese zu verletzen, ist eine Straftat. Um den Schutz müssen sich die zuständigen Kreisbehörden oder Briefwahlleiter kümmern. «Zum Teil bedienen sich die zuständigen Stellen in Absprache der Unterstützung der Polizei, z.B. in Form von Objektschutz», sagte die Sprecherin.
Es gibt keine Belege dafür, dass bei früheren Wahlen eine Urne wie im Video missbräuchlich geöffnet worden wäre. «Dem Bundeswahlleiter sind keine Fälle bekannt, bei denen es zu vorzeitigen oder unbefugten Öffnungen von Wahlurnen kam», sagte die Sprecherin.
Ähnlich äußerte sich die Landeswahlleiterin von Baden-Württemberg - dem Bundesland, in dem das Video aufgenommen wurde: «Nein, solche Fälle sind weder von der letzten Landtagswahl noch von den letzten Kommunalwahlen bekannt».
Der Hersteller der im Video gezeigten Wahlurne ließ über seinen Anwalt mitteilen, diese habe stets den gelten Vorschriften entsprochen. «Dennoch hat unsere Mandantin die Monierung zum Anlass genommen, noch sicherere Urnen zu produzieren, um ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten», teilte die Kanzlei mit. Seit dem 22. Januar 2021 werde nur noch ein neues Modell angeboten, so dass «diese unsachgemäßen Behandlungen der Urne erschwert bzw. vermieden werden».
Der Sprecher im Video bezieht sich beim Öffnen der Urne zudem auf eine Landtagswahl: «Wie bei der Wahl in Thüringen», sagt er und zeigt dazu ein Foto, das eine Wahlurne zeigt, die vorne am Deckel mit Schloss und Siegel verschlossen ist, hinten jedoch offen. Dieses Foto kursierte bereits am Tag der Thüringen-Wahl am 27. Oktober 2019. Am Wahltag selbst sagte Thüringens Landeswahlleiter Günter Krombholz dem Portal «Thüringen24» zu dem Foto, ihm seien keine Zwischenfälle bekannt.
Ein Faktencheck von «Mimikama» konnte nicht klären, wann und wo genau das Foto aufgenommen wurde - es ist tatsächlich nicht bekannt, ob das Bild überhaupt eine Urne bei einem Wahlvorgang zeigt. Weder in der Bekanntgabe des endgültigen amtlichen Wahlergebnisses, noch in Dokumenten des Thüringer Landtags ist von einem Problem mit einer geöffneten Wahlurne die Rede.
Auch einen angeblichen Vorfall mit einer geöffneten Urne im «Rathaus von Bad Krozingen» erwähnt der Sprecher im Video. Eine Frau soll dort mit zwei Brieföffnern eine verschlossene Urne aufgehebelt haben. Auf dpa-Anfrage teilte ein Dezernent der baden-württembergischen Stadt mit, dass dies während der Bundestagswahl 2017 bei der Übergabe von Wahlurnen mit Briefwahlumschlägen geschehen sei - allerdings anders, als es im Video dargestellt wird. «Keinesfalls wurde und wird in einem Wahllokal der Stadt Bad Krozingen während der eigentlichen Wahlhandlung eine Wahlurne geöffnet.»
Weil der Schlüssel einer Urne fehlte, sei diese im Beisein aller Briefwahlvorstände geöffnet worden. Die verschlossenen Briefwahlunterlagen seien dann dem Briefwahlvorstand übergeben und nach 18 Uhr ausgezählt worden. «Eine Wahlmanipulation kann vollständig ausgeschlossen werden», teilte der Dezernent mit. Der rechtliche Rahmen zur Durchführung der Briefwahl wurde eingehalten.
---
Links:
Facebook-Video mit der Wahlurne (12. Februar 2021): https://www.facebook.com/gudrun.rehlander.1/videos/252119743019964 (archiviert: https://archive.vn/nrSvU, Video: http://dpaq.de/MlBuK)
Bundeswahlordnung § 51 zu Wahlurnen: https://www.gesetze-im-internet.de/bwo_1985/__51.html (archiviert: https://archive.vn/48wW1)
Bundeswahlordnung § 6 zur Anwesenheit des Wahlvorstands: https://www.gesetze-im-internet.de/bwo_1985/__6.html (archiviert: https://archive.vn/h6sgv)
Strafgesetzbuch zu § 133 «Verwahrungsbruch»: https://dejure.org/gesetze/StGB/133.html (archiviert: https://archive.vn/S12dA)
Erwähnung der geöffneten Wahlurne im Liveticker von «Thüringen24» (27. Oktober 2019): https://www.thueringen24.de/thueringen/article227473971/Landtagswahl-in-Thueringen-CDU-nach-Wahldebakel-gespalten-Friedrich-Merz-erhebt-schwere-Vorwuerfe-gegen-Angela-Merkel-Baerbock.html (archiviert: https://archive.vn/4oWyx)
Faktencheck von «Mimikama» zum Foto aus Thüringen (29. Oktober 2019): https://www.mimikama.at/aktuelles/thueringen/ (archiviert: https://perma.cc/L3HY-8699)
Endgültiges Wahlergebnis aus Thüringen (8. November 2019): (archiviert: http://dpaq.de/sGQtu)
Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com