Maximal 25 000 Tote bei Bombenangriffen auf Dresden - kein spurloses Verbrennen

16.02.2021, 16:30 (CET)

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs sind bei alliierten Bombenangriffen auf Dresden im Februar 1945 Tausende Menschen ums Leben gekommen. Mit massiv übertriebenen Opferzahlen wird immer wieder versucht, die Angriffe als beispiellos hinzustellen. Unter anderem wird behauptet (hier archiviert), am 13. Februar seien damals «300 000 deutsche Zivilisten in Dresden ermordet» worden. Teils werden noch höhere Todeszahlen genannt. Zudem gibt es die Behauptung, in der sächsischen Großstadt seien Menschen rückstandslos verbrannt - dadurch liege die Zahl der Opfer in Wahrheit weit höher.

BEWERTUNG: Wer von Hunderttausenden Toten spricht, übertreibt. Eine Kommission aus etwa einem Dutzend anerkannter Historiker stellte 2010 fest: Bei den Luftangriffen auf Dresden starben nicht mehr als 25 000 Menschen. Dass Leichen ohne jegliche Rückstände in großer Zahl verbrannten, schlossen die Experten aus.

FAKTEN: Vom 13. bis zum 15. Februar 1945 griffen britische und amerikanische Bomberverbände Dresden in Wellen an. Tausende Tonnen Brand- und Sprengbomben fielen auf die Stadt an der Elbe und entfachten einen tödlichen Feuersturm. Ein Großteil des Stadtzentrums wurde nahezu vollständig zerstört.

Weil die Zahl der Opfer dieser Angriffe über Jahrzehnte umstritten war - die Angaben schwankten in der Regel zwischen etwa 20 000 und 500 000 Menschen -, setzte im Jahr 2004 der damalige Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Roßberg eine Historikerkommission ein. Vor allem Rechtsextremisten hatten die Angriffe immer wieder als beispiellos hingestellt und versucht, die deutsche Schuld an Krieg und Holocaust zu relativieren. Es war ein Mythos, den schon der Propagandaapparat der Nationalsozialisten am Ende des Zweiten Weltkriegs für sich zu nutzen versuchte.

Die Dresdner Historiker werteten vorhandene Quellen aus. In ihrem fast 100 Seiten starken Bericht kam die Kommission nach mehr als fünf Jahren Forschung zu dem Schluss, dass bei den Angriffen nicht mehr als 25 000 Menschen ums Leben kamen.

Die Experten untersuchten unter anderem Friedhofsunterlagen nach Angaben zu Todesopfern und werteten mehr als 1300 Aussagen von Zeitzeugen aus. Außerdem gingen die Forscher der Behauptung nach, Tausende Menschen seien in einem Flammeninferno spurlos verbrannt - und dadurch liege die Zahl der Todesopfer in Wahrheit weit höher. Nach der Konsultation von Experten - unter anderem aus Brandschutz, Rechtsmedizin, Archäologie und Architektur - kamen die Historiker aber zu dem Ergebnis, dass das spurlose Verschwinden einer größeren Zahl von Menschen unmöglich gewesen ist.

In einem begleitenden wissenschaftlichen Artikel wird detailgetreu aufgeführt, unter welchen Bedingungen menschliche Körper vollständig verbrennen. Kurz gefasst: Es müssen Temperaturen von mindestens 1000 Grad Celsius über einen längeren Zeitraum kontinuierlich vorliegen. Nach Angaben rechtsmedizinischer Gutachter ist das in Dresden nicht der Fall gewesen. Das würde «vor dem Hintergrund der historischen Tatsachen jeglicher naturwissenschaftlich-logischen Überlegung widersprechen», heißt es in der Analyse.

Erneut in die Diskussion gebracht hat die Zahl der Todesopfer am 8. Januar 2021 eine kurze Einlassung des seinerzeit frisch gewählten US-Präsidenten Joe Biden: Er verglich das Vorgehen mehrerer Senatoren mit dem von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Dieser habe, so Biden, manipulativ und gezielt gelogen - beispielsweise darüber, wie viele Menschen bei den Bombardements in Dresden umgekommen seien. Biden selbst gab wiederum in seiner Äußerung aber viel zu geringe Opferzahlen an, die nicht mit den Ergebnissen der Historiker übereinstimmen.

In anderen Behauptungen wird auf eine Quelle des Roten Kreuzes von 1948 verwiesen, in der von 275 000 Toten die Rede war. Die Historikerkommission bezeichnet die Angaben in dem mehr als 70 Jahre alten Bericht des Roten Kreuzes als «nicht belastbar» oder «zumindest nicht nachprüfbar». Denn in dem Report von 1948 heißt es ausdrücklich, die Angaben basierten nicht auf eigenen Untersuchungen, sondern etwa auf Augenzeugenberichten, Zeitungsmeldungen oder Angaben anderer Hilfsorganisationen.

Die Dresdner Experten überprüften daneben auch weitere Berichte zu angeblich höheren Opferzahlen. Doch weder aus der Rekonstruktion der Ereignisse noch bei der Prüfung von Dokumenten, Erinnerungen, Statistiken oder militärtechnischen Untersuchungen «können belastbare Argumente für Totenzahlen von 100 000 und mehr festgestellt werden», heißt es vonseiten der Historikerkommission.

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Links:

Abschlussbericht der Dresdner Historikerkommission, Ergebnisse ab Seite 67: https://www.dresden.de/media/pdf/infoblaetter/Historikerkommission_Dresden1945_Abschlussbericht_V1_14a.pdf (archiviert: http://dpaq.de/8sCwt)

Bericht des Roten Kreuzes von 1948, besonders S. 103 f.: https://library.icrc.org/library/docs/DIGITAL/DOC_00011.pdf (archiviert: http://dpaq.de/LTw8Q)

Gutachten der Kommissionsmitglieder: http://dpaq.de/dh3mn

Kommissionsmitglied Widera über Expertengutachten zu Brandtemperaturen: http://dpaq.de/4y9zd

Meldung zu Biden-Äußerung: https://thehill.com/homenews/administration/533449-biden-says-cruz-other-republicans-responsible-for-big-lie-that-fueled (archiviert: http://dpaq.de/0zFtn)

Transkript der Biden-Äußerung: http://edition.cnn.com/TRANSCRIPTS/2101/08/ampr.01.html (archiviert: http://dpaq.de/2xDqU)

Facebook-Post mit Falschbehauptung: https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=2573341599613013&id=1675830152697500 (archiviert: https://archive.vn/osDgF)

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