Jahrealter Fall: Sechsjährige in Norwegen nicht nach Corona-Impfung erkrankt

16.12.2020, 10:36 (CET)

Impfgegner machen vermehrt Stimmung gegen die bevorstehende Corona-Impfung. Nun soll vermeintlich in Nordeuropa ein Kind nach einer solchen Injektion schwer krank geworden sein. «Das norwegische Mädchen Charlotte (6) erhielt den Corona-Impfstoff und kann nicht mehr laufen», heißt es in einem Facebook-Beitrag vom 7. Dezember 2020 (hier archiviert). Es soll nach einer Impfung mit dem Präparat des Pharmaunternehmens Pfizer angeblich an Narkolepsie erkrankt sein, einer chronischen Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus.

BEWERTUNG: In Norwegen wird noch gar nicht gegen das Coronavirus geimpft. Der Fall des Mädchens ist von 2009 und hat einen anderen Hintergrund.

FAKTEN: Auch eine Woche nach Veröffentlichung des Facebook-Posts war weder in Norwegen noch in der EU ein Corona-Impfstoff zugelassen (Stand 14.12.). Voraussichtlich wird das Präparat von Biontech und Pfizer das erste sein, das eine Zulassung erhält. Erwartet wird der Start der Impfung in Norwegen ab Anfang 2021. Dies gilt jedoch zunächst für Risikogruppen wie ältere Menschen. Das norwegische Gesundheitsamt NIPH empfiehlt derzeit keine Impfungen gegen Sars-CoV-2 für Kinder unter 18 Jahren.

Das im Facebook-Beitrag erwähnte Mädchen Charlotte ist mittlerweile 17 Jahre alt. Im November 2009 erhielt die damals Sechsjährige einen Impfstoff gegen die Schweinegrippe. Einige Zeit später begann sie, Symptome einer später als Narkolepsie diagnostizierten Erkrankung zu entwickeln. Über ihre Geschichte berichtete die norwegische Zeitung «Dagbladet» im November 2020.

Narkolepsie ist eine seltene neurologische Störung. Menschen, die darunter leiden, sind schläfrig und haben unkontrollierbare Schlafattacken. Das Gehirn ist nicht mehr in der Lage, Schlaf und Wachheit zu kontrollieren.

Nach dem Start der Impfung gegen die Schweingrippe wurden in den Jahren 2009 und 2010 vermehrt Fälle von Narkolepsie beobachtet. Studien zeigten, dass es einen Zusammenhang mit dem Impfstoff «Pandemrix» des Pharmaunternehmens GSK und einem Narkolepsie-Risiko für Kinder, Jugendliche sowie jungen Erwachsenen gab. GSK wurde vorgeworfen, Informationen über Risiken des Impfstoffs nicht ausreichend weitergegeben zu haben. Das Unternehmen hat das in der Vergangenheit dementiert.

Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts, das in Deutschland für die Zulassung und Sicherheit von Impfstoffen zuständig ist, wird der Impfstoff «Pandemrix» in der EU mittlerweile nicht mehr eingesetzt. In Deutschland wurden allerdings ohnehin andere Präparate empfohlen.

In Norwegen bekamen 156 Personen, darunter das damals sechs Jahre alte Mädchen und viele andere Kinder, für die Nebenwirkungen des Impfstoffs «Pandemrix» Entschädigungen vom Staat. Wahrscheinlich liegt die Dunkelziffer jedoch höher und viel mehr Menschen waren betroffen. Eine Einigung wurde auch in den Niederlanden erzielt.

Um mögliche seltene schwere Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe zu überwachen, hat die Europäische Arzneimittelagentur EMA bereits einen Plan erstellt. Auch die Pharmaunternehmen treffen Vorsichtsmaßnahmen, bevor der Impfstoff vermarktet wird. Die Firma Moderna testete ihr Vakzin an 30 000 Freiwilligen aus verschiedenen ethnischen Gruppen. Bei Pfizer und Biontech waren in den Tests für ihren Impfstoff auch Teenager dabei.

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Links:

Facebook-Beitrag mit der falschen Behauptung (7. Dezember 2020): https://www.facebook.com/gustav.staudinger.7/posts/850819082347979(archiviert: https://perma.cc/2B93-6FNR)

Informationen zum Impfprogramm in Norwegen: https://www.fhi.no/en/id/vaccines/coronavirus-immunisation-programme/coronavirus-vaccine/ (archiviert: http://dpaq.de/h0fRM)

Norwegen wird drei Corona-Impfstoffe verwenden: https://www.reuters.com/article/us-health-coronavirus-norway-vaccine/norway-to-use-three-vaccines-to-stop-covid-19-from-early-2021-idUSKBN28E1AU (archiviert: https://archive.vn/OeCvN)

«Dagbladet»-Artikel über das norwegische Mädchen Charlotte (14.11.2020): https://www.dagbladet.no/magasinet/charlotte-17-ble-skadet-for-livet/73019630 (archiviert: https://archive.vn/uKxP4)

Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin über Narkolepsie (2011): https://www.dgsm.de/downloads/dgsm/arbeitsgruppen/ratgeber/neu-Nov2011/Narkolepsie_A4.pdf (archiviert: http://dpaq.de/Q3zNF)

Studie über Schweinegrippe-Impfstoff und Narkolepsie: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28847694/ (archiviert: http://dpaq.de/JDTqk)

Paul-Ehrlich-Institut über die Nebenwirkungen des Schweinegrippen-Impfstoffs: https://www.pei.de/DE/newsroom/veroffentlichungen-arzneimittel/sicherheitsinformationen-human/narkolepsie/narkolepsie-studien-europa.html(archiviert: https://archive.vn/kqwb4)

Bericht im «Britisch Medical Journal» über Vorwurf, dass GSK Daten nicht weitergegeben haben soll (September 2018): https://www.bmj.com/content/362/bmj.k3948 (archiviert: https://archive.vn/Qymil)

«Spiegel»-Bericht u. a. mit GSK-Stellungnahme (21.9.2018): https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/schweinegrippe-impfstoff-pandemrix-risiken-wurden-ignoriert-a-1229144.html (archiviert: https://archive.vn/fxsx6)

Einigung über Entschädigung für «Pandemrix»-Impfstoff in den Niederlanden (niederländisch): https://www.rtlnieuws.nl/nieuws/politiek/artikel/4422946/miljoenenschikking-na-vaccin-mexicaanse-griep (archiviert: http://dpaq.de/li8HH)

EMA zur Überwachung von Corona-Impfstoffen: https://www.ema.europa.eu/en/news/ema-publishes-safety-monitoring-plan-guidance-risk-management-planning-covid-19-vaccines (archiviert: http://dpaq.de/P5DfL)

Moderna über Phase-3-Studie ihres Impfsstoffs: https://investors.modernatx.com/news-releases/news-release-details/modernas-covid-19-vaccine-candidate-meets-its-primary-efficacy(archiviert: https://archive.vn/JJJR6)

Biontech/Pfizer über Testpersonen in Impfstoff-Studie: https://www.pfizer.com/science/coronavirus/vaccine archiviert: https://archive.vn/ZSxVE)

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