Irreführende Aussagen zu Corona-Fallzahlen und Sterblichkeit

26.11.2020, 15:31 (CET)

Ein Text und eine Grafik, die zusammen auf Facebook verbreitet werden (hier archiviert), stellen verschiedene Behauptungen über die Ausbreitung und Gefährlichkeit des Coronavirus auf.

BEWERTUNG: Einige der Aussagen im Text sind falsch oder verkürzt. Die Grafik stellt Zahlen zum Coronavirus und zur Grippe gegenüber, die sich aufgrund ihrer Erhebungsmethoden nicht vergleichen lassen.

FAKTEN: Eine der Behauptungen lautet, die Zahl der Corona-Tests sei «in letzter Zeit deutlich gestiegen», der Anteil der positiv Getesteten liege aber «weiterhin deutlich unter 1%». Demnach würde der Anstieg der Fallzahlen lediglich auf die erhöhte Zahl der Tests zurückgehen.

Richtig ist, dass die Zahl der Corona-Tests deutlich angestiegen ist. In einer Übersicht des Robert Koch-Instituts (RKI) werden für die letzte Oktoberwoche mehr als 1,5 Millionen Testungen aufgeführt (Stand: 4. November 2020). Mitte August hatte deren Zahl pro Woche noch bei rund einer Million gelegen, Anfang Juli bei rund 500 000.

Allerdings ist auch, anders als auf Facebook behauptet, der Anteil der positiven Testergebnisse stark angestiegen. In der letzten Oktoberwoche lag er bei 7,26 Prozent, eine Woche zuvor noch bei 5,51 Prozent, wie derselben RKI-Übersicht zu entnehmen ist. Bis in den September hinein hatte der Anteil in manchen Wochen noch bei unter einem Prozent gelegen. Von einem Anstieg der Fallzahlen allein aufgrund größerer Testkapazitäten kann also keine Rede sein.

Zudem wird in dem Facebook-Beitrag die «Letalität von Covid-19» mit «ca. 0,3%» angegeben - unter Berufung auf zwei Studien. Gemeint ist vermutlich die sogenannte Infektionssterblichkeit, die die Zahl der Todesfälle mit der Zahl der tatsächlich Infizierten (und nicht nur der gemeldeten Infektionsfälle) ins Verhältnis setzt. Solche Werte wurden etwa in der Heinsberg-Studie in der Gemeinde Gangelt (NRW) ermittelt - mit einem Ergebnis von 0,37 Prozent.

Die auf Facebook ebenfalls zitierte Meta-Studie - also eine Auswertung mehrerer einzelner Studien - des Epidemiologen John Ioannidis von der Stanford-Universität kommt auf einen Wert von 0,23 Prozent. Die Studie wurde wissenschaftlich unabhängig begutachtet (Peer-Review) und unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgegriffen. Dennoch gab es auch an dieser Studie Kritik, etwa an der Qualität der berücksichtigten Einzelstudien.

Bei der Ermittlung der Infektionssterblichkeit sind generell viele Faktoren zu berücksichtigen - etwa die Bevölkerungsstruktur in Untersuchungsgebieten oder die Qualität der Daten - zum Beispiel hinsichtlich der genutzten Todesfallzahlen.

Bei Studienergebnissen zur Infektionssterblichkeit gibt es entsprechende Schwankungen. So kommt eine Studie für Stockholm auf einen deutlich höheren Wert von 0,6 Prozent. Eine weitere weltweite Metastudie errechnete eine Infektionssterblichkeit von 0,68 Prozent im Mittel. Für die USA kommt eine noch nicht per Peer-Review begutachtete Metastudie in einem Szenario sogar auf einen Wert von 1,3 Prozent.

Die unterschiedlichen Werte, die bei der Berechnung zugrunde gelegt werden, erschweren auch einen Vergleich mit der Sterblichkeit durch die Influenza. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Sterblichkeit bei Corona-Infektionen weitaus höher liegt.

Eindeutig irreführend ist die in dem Facebook-Beitrag gezeigte Grafik. Zwar wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass es sich bei den Zahlen zu den Todesfällen bei vergangenen Grippewellen bis einschließlich 2018 um Schätzungen handelt. Die sogenannte Exzess-Schätzung wird bei der Bewertung des Ausmaßes einer Grippewelle bevorzugt, unter anderem weil «sich Todesfälle, die der Influenza zuzuschreiben sind, in anderen Todesursachen [...] verbergen können», wie das RKI schreibt.

Bei der Zahl der Corona-Todesfälle handelt es sich jedoch um laborbestätigte Fälle. In der Grafik wird dies nur in Bezug auf die Zahl der Grippetoten in der Saison 2019/20 deutlich gemacht. Die Zahl der Corona-Todesfälle ist zudem veraltet und entspricht in etwa dem Wert von Anfang Juli.

Wie bei der Infektionssterblichkeit ist ein einfacher Vergleich der Corona- und der Grippewerte aufgrund der Erhebungsmethoden also nicht möglich. Nicht berücksichtigt werden in dem Vergleich zudem die vielen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland, wie etwa Kontaktbeschränkungen, Hygienekonzepte und der Einsatz von Mund-Nasen-Bedeckungen - Vorkehrungen, die bei vergangenen Grippewellen nicht großflächig genutzt oder gar staatlich verordnet wurden. Anders als beim Coronavirus gibt es gegen die Grippe zudem einen Schutz durch Impfungen.

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Links:

Beitrag auf Facebook: https://www.facebook.com/karpfsebastian/posts/1880592495414270 (archiviert: https://archive.vn/nUxKQ)

RKI-Bulletin mit Zahlen zu Testungen und Positivrate: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/45_20.pdf?__blob=publicationFile#page=16 (archiviert: http://dpaq.de/cM0Bw)

Ergebnisse der Heinsberg-Studie: https://www.ukbnewsroom.de/ergebnisse-der-heinsberg-studie-veroeffentlicht/ (archiviert: https://archive.vn/MwUtV)

Meta-Studie von John Ioannidis: https://www.who.int/bulletin/online_first/BLT.20.265892.pdf (archiviert: http://dpaq.de/97DX9)

Artikel mit Kritik an Meta-Studie: https://www.derstandard.de/story/2000121081090/sterblichkeitsstudie-wie-toedlich-ist-das-coronavirus (archiviert: https://archive.vn/YfD29)

Studie zu Stockholm: https://www.folkhalsomyndigheten.se/contentassets/53c0dc391be54f5d959ead9131edb771/infection-fatality-rate-covid-19-stockholm-technical-report.pdf (archiviert: http://dpaq.de/Fz69J)

Weitere Metastudie: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1201971220321809#bib0155#:~:text=0.68 (archiviert: https://archive.vn/OlpBa)

US-Metastudie: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.07.23.20160895v7.full#:~:text=total%20U.S.%20fatalities (archiviert: https://archive.vn/RmGua)

Artikel zum Sterblichkeitsvergleich Grippe/Corona: https://www.merkur.de/welt/coronavirus-grippe-sterblichkeit-gefahr-infektion-experte-epidemiologe-infektion-rki-tod-zahlen-zr-90059647.html (archiviert: https://archive.vn/yCjDN)

RKI über Exzess-Schätzungen bei Influenza: https://influenza.rki.de/Saisonberichte/2018.pdf#page=47 (archiviert: http://dpaq.de/zEPa5)

RKI-Lagebericht vom 3. Juli 2020: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-07-03-de.pdf?__blob=publicationFile (archiviert: http://dpaq.de/LbMAq)

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