Video belegt keine CO2-Vergiftung durch Masken

14.09.2020, 16:57 (CEST)

Im Internet kursiert die Behauptung, dass Schutzmasken zur Eindämmung der Corona-Pandemie der Gesundheit schaden. Unter ihnen sammele sich zu viel Kohlendioxid (CO2). Als Beleg wird ein Video (hier archiviert) verbreitet, in dem die Luft unter einer Mund-Nasen-Bedeckung beim Atmen mit einem CO2-Messgerät analysiert wird. Binnen kurzer Zeit zeigen sich dabei deutlich erhöhte Werte. Dies beweise, dass beim Tragen einer Maske eine CO2-Vergiftung drohe.

BEWERTUNG: Die Messung in dem Video ist irreführend. Zum einen macht die Luft unter der Maske nur einen Bruchteil der Luft aus, die man einatmet. Außerdem ist das Messgerät nicht für diesen Einsatzzweck gedacht. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist für gesunde Menschen grundsätzlich unbedenklich und führt nicht zu einer CO2-Vergiftung.

FAKTEN: In den Beiträgen im Internet wird die Atemluft mit der Luft unter der Maske gleichgesetzt. Das ist aber ein Denkfehler. Denn man atmet deutlich mehr Luft ein als nur die unter dem Mundschutz.

«Das Video ist irreführend, da der CO2-Spiegel der tatsächlich konsumierten Einatemluft nicht gemessen wird», erklärte Professor Uwe Pliquett vom Institut für Bioprozess- und Analysenmesstechnik in Heilbad Heiligenstadt der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage.

Wesentlich sei das sogenannte Totvolumen unter der Maske, also die Menge an Luft, die nicht ausgetauscht wird. Wenn es sich hier nur um einige Milliliter handelt, sei dies bei einem Volumen von beispielsweise einem Liter pro Atemzug unerheblich. «Dann liegt der mittlere CO2-Wert der Einatemluft bei etwa 0,1 bis 0,2 Prozent, je nachdem, wie viel CO2 in der Umgebungsluft ist.»

Das entspricht den Werten, die laut dem Umweltbundesamt noch unterhalb eines kritischen Niveaus liegen. Im Video zeigt das Messgerät dagegen deutlich höhere Werte an.

Das Gerät sei etwa für den Einsatz in Biogasanlagen konzipiert, teilt die Firma Siegrist mit, die das Modell in Deutschland vertreibt. Bei der Produktion von Biogas entsteht neben Methan auch Kohlendioxid. Das Gerät sei nicht für den Zweck gedacht, die Atemluft zu analysieren. Dies kann für CO2-Messgeräte schwierig sein, weil hohe und niedrige Werte beim Aus- und Einatmen schnell wechseln.

Für die Genauigkeit einer solchen Messung sei daher wichtig, wie schnell ein Gerät von einem niedrigen zu einem hohen CO2-Wert einschwingt und umgekehrt, erklärt Pliquett. Hierbei sei auch ein langer Schlauch zum Messgerät problematisch, wie er im Video verwendet wird.

Dazu kommt das Problem, dass das Gerät auf die Ausatemluft mit einem hohem CO2-Wert schnell reagiert, während das «Auswaschen» mit normaler Umgebungsluft sehr viel länger dauert. «Damit ergibt sich ein sehr hoher, aber unrealistischer Wert.» Für eine Messung der Atemluft bräuchte man also ein Gerät, das sehr viel schneller reagiert.

Die Ergebnisse können außerdem etwa durch die höhere Luftfeuchtigkeit unter der Maske verfälscht werden. Hinzu komme der höhere Druck, der den angezeigten Wert um 10 bis 20 Prozent steigen lasse. Der Kohlendioxid-Gehalt in der Luft wird meist mittels Infrarot-Sensoren (IR) gemessen. Einfache IR-Sensoren sind laut Pliquett auf einen Luftdruck von 1 Bar, Raumtemperatur und eine mittlere Feuchte kalibriert.

Es ist daher nicht zu befürchten, dass das Tragen eines Mundschutzes gesundheitsschädlich sei. «Wenn das tödlich wäre, würde medizinisches Personal im Operationssaal schon nicht mehr leben», erklärt Pliquett. «Die arbeiten schließlich seit vielen Jahren mit Mundschutz.»

Ähnlich lautet die Einschätzung der Deutschen Atemwegsliga: Bei einem einfachen chirurgischen Mundschutz oder einer selbst hergestellten Mund-Nasen-Bedeckung sei ein Anstieg des Kohlendioxids unwahrscheinlich - weil diese Masken nicht völlig dicht seien.

Lediglich bei Patienten mit chronischer Atemschwäche könnten der Kohlendioxidanteil und die «Atemarbeit» ansteigen, «so dass die Bedeckung von Mund und Nase als unangenehm oder bedrohlich und subjektiv als Atemnot empfunden wird». Auch bei professionellen Masken (FFP2, FFP3) seien bedrohliche Anstiege des CO2-Gehalts im Blut wegen Masken «unwahrscheinlich».

Ähnliche Videos von irreführenden CO2-Messungen kursieren auch im englischsprachigen Raum. Verschiedene Faktenchecks haben die Aussagen darin bereits als Fehlalarm eingestuft.

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Links:

Beitrag auf Facebook: https://www.facebook.com/watch/?v=334784397755846 (archiviert: https://archive.vn/dKeY1)

Video auf Youtube: https://youtu.be/dMdDdIP-ilw

Herstellerangaben zum verwendeten Messgerät: http://www.geotechuk.com/site/wp-content/uploads/2016/01/BIOGAS-5000-Operating-Manual.pdf (archiviert: https://archive.vn/bgOWv)

Umweltbundesamt zu empfohlenen CO2-Grenzwerten: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/pdfs/kohlendioxid_2008.pdf (archiviert: https://archive.vn/wJvi5)

«Bild»-Interview mit Kinderarzt zu Masken und CO2: https://www.bild.de/ratgeber/2020/ratgeber/kinderarzt-klaert-auf-sind-atem-masken-fuer-kinder-gefaehrlich-70179398.bild.html (archiviert: https://archive.vn/RlxoN)

Institut für Bioprozess- und Analysenmesstechnik: https://www.iba-heiligenstadt.de/

Mitteilung Atemwegsliga: https://www.atemwegsliga.de/service-220/information-zu-covid-19/maskenpflicht.html (archiviert: http://archive.vn/HCFuj)

Faktencheck: https://healthfeedback.org/claimreview/videos-use-gas-sensors-to-misleadingly-claim-that-wearing-a-face-mask-causes-oxygen-deficiency/?fbclid=IwAR3cV1TWjpgJ9Z8bNijZHBUvpUqUovZ4V4LcCpN3k_zDflvLL3H1TaZ7sEY (archiviert: http://archive.vn/CrikS)

Faktencheck: https://www.factcheck.org/2020/07/video-presents-flawed-test-on-masks-oxygen-levels/ (archiviert: http://archive.vn/U0Ifv)

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