Behauptungen zur Situation von trans* Personen irreführend und falsch

03.09.2020, 12:00 (CEST)

Das «Krebsgeschwür des Genderwahns» zerfresse die Gesellschaft, tönt dieser Tage ein Facebook-Posting. Vor allem der Umgang mit trans* Personen führe zu immer neuen Possen. So wird etwa behauptet, dass auch trans* Frauen «jetzt Vorsorge für Gebärmutterhalskrebs (bekommen), den sie mangels Organ gar nicht kriegen können». Wer sein Geschlecht angleiche, erhalte außerdem eine neue Identität: Sämtliche amtliche Informationen verschwänden, «sogar die Punkte in Flensburg». Deutschland, heißt es schließlich, sei ein «Paradies solcher Spinnereien».

BEWERTUNG: Die Behauptungen sind irreführend und falsch.

FAKTEN: Seit dem 1. Januar 1981 sichert das Transsexuellengesetz (TSG) Menschen in Deutschland das Recht zu, ihre medizinisch festgestellte Geschlechtsidentität der empfundenen anzupassen. Nach langwierigen Befragungen können sie ihren Namen und Familienstand ändern sowie ihre äußeren Geschlechtsmerkmale operativ anpassen lassen.

Bei einer Frau-zu-Mann-OP wird dabei unter anderem der Gebärmutterhals entfernt, bei einer Mann-zu-Frau-OP wird dieser nicht nachgebildet. Trans* Frauen besitzen damit kein solches Organ; bei den gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen wird dieses nicht untersucht.

«Richtig ist, dass trans* Frauen eine Einladung zur Untersuchung des Gebärmutterhalses bekommen, weil die Krankenkassen diese an alle Frauen versenden. Aber sie nehmen diese nicht wahr», sagt Lena Klatten von der Trans*beratung Düsseldorf auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Der Berufsverband der Frauenärzte bestätigt dies: «Unsere Kollegen nehmen keine unmöglichen Untersuchungen vor.» Und auch Roland Stahl, Sprecher des Kassenärztlichen Bundesverbandes, erklärt gegenüber der dpa, dass er noch nie davon gehört habe, dass Gynäkologen derlei Prophylaxemaßnahmen bei trans* Personen abrechneten.

Unbelegt ist zudem, das trans* Personen eine komplett neue Identität erhielten. Lena Klatten von der Trans*beratung Düsseldorf erklärt: «Im TSG ist ein weiches Offenbarungsverbot angelegt. Dieses soll trans* Menschen vor einem Zwangsouting schützen. Das heißt: Es wird eine Auskunftssperre eingerichtet, sodass nicht jeder alle Daten abfragen und damit die vollständige Geschichte eines Menschen ausforschen kann. So muss etwa die Polizei bei einer Verkehrskontrolle nicht vollen Einblick in die Vita einer trans* Person haben.»

Falsch ist hingegen, dass alle vorherigen Daten einer trans* Person gelöscht werden. Personalakten verbleiben unverändert, sämtliche rechtliche Vorgänge bleiben nachverfolgbar. Zwar können sich trans* Personen einen neuen Führerschein mit verändertem Namen aushändigen lassen; damit verschwinden jedoch nicht durch Verkehrsdelikte gesammelte Punkte. «Diese Regelung existiert nicht», konstatiert Stephan Immen vom Kraftfahrt-Bundesamt nach Analyse des Gesetzes zur Tilgung von Eintragungen.

Auch die bei Facebook verbreitete Behauptung, dass «Deutschland als Paradies solcher Spinnereien» gelte, lässt sich nicht belegen. In einigen anderen, europäischen Ländern sind die Hürden zur Angleichung der Geschlechtsidentität niedriger. So haben Norwegen, Dänemark, Portugal oder Frankreich bereits den Gutachterzwang abgeschafft. In den genannten Ländern bedarf es keines langwierigen, oft auch entblößenden Gutachterverfahrens, um die Geschlechtsidentität anpassen zu können. Es genügt allein die Selbsteinschätzung der antragstellenden Person.

Manches spricht dafür, dass einige der bei Facebook verbreiteten Behauptungen auf dem Protokoll einer trans* Frau beruhen, die in der Wochenzeitung «Die Zeit» ihre Situation beschreibt. Ihre persönlichen Ausführungen spiegeln jedoch nicht die allgemeine, rechtliche Situation in Deutschland wider.

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Links:

Beitrag auf Facebook: https://www.facebook.com/afdfreundekinzigtal/posts/2796190730609252 (archiviert: https://archive.vn/TQ0ST)

Transsexuellengesetz (TSG) im Überblick: http://www.gesetze-im-internet.de/tsg/index.html#BJNR016540980BJNE000500311 (archiviert: http://dpaq.de/u6iFU)

Infos zu Transfrau-Operation: https://www.trans-european.de/op-transfrau/erfahren-sie-mehr-zur-op.html (archiviert: http://dpaq.de/9RYSW)

Infos zur Transmann-Operation: https://www.trans-european.de/op-transmann/op-transmann.html (archiviert: http://dpaq.de/xtlG5)

Offenbarungsverbot im TSG: https://www.gesetze-im-internet.de/tsg/__5.html (archiviert: http://dpaq.de/g8dZn)

Straßenverkehrsgesetzt; Paragraph zur Tilgung von Eintragungen: https://www.gesetze-im-internet.de/stvg/__29.html (archiviert: http://dpaq.de/0YhD9)

Überblickskarte zu Rechten von trans* Personen in Europa und Zentralasien: https://tgeu.org/wp-content/uploads/2020/05/MapA_TGEU2020-ENG.png (archiviert: http://dpaq.de/8D6wc)

Protokoll einer trans* Frau auf «zeit.de»: https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2019-06/transsexualitaet-geschlecht-namensaenderung-transgender-identitaet/komplettansicht (archiviert: https://archive.vn/ZwmBa)

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