Protestaktion nicht umgesetzt
Orban drohte, Migranten nach Brüssel zu schicken
13.11.2024, 11:47 (CET)
Aus Budapest kommt immer wieder heftige Kritik an der Migrationspolitik der Europäischen Union. Nun kursiert in den sozialen Medien die Behauptung, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban eine seiner Drohungen wahrgemacht und Migranten nach Brüssel geschickt habe. «Orban entlarvt Von der Leyen: Europa ist fassungslos» heißt das auf Facebook geteilte Video (Schreibweise im Original). Darin wird behauptet, Orban habe «ganz Europa mit einem unvorstellbaren Schritt erschüttert» und «eine Gruppe Migranten mit einem One Way Ticket nach Brüssel» geschickt. Aber stimmt das wirklich?
Bewertung
Es gibt keine Hinweise darauf, dass Reisebusse mit Migranten auf Geheiß der Regierung in Budapest von der ungarisch-serbischen Grenze abgefahren und in Brüssel angekommen seien. Drohungen dieser Art von Seiten Ungarns Regierungsmitglieder hat es jedoch mehrmals gegeben.
Fakten
Der ungarische Kanzleramtsminister Gergely Gulyás, drohte Ende August 2024 laut Medienberichten (zum Beispiel hier und hier) der Europäischen Union damit, Flüchtlinge und Migranten nach Brüssel zu bringen. «Wenn Brüssel die Migranten haben will, dann soll es sie bekommen», sagte der enge Mitarbeiter Orbans der Tageszeitung «Kurier» zufolge auf einer Pressekonferenz.
Laut einem Bericht der Tageszeitung «Der Standard» erklärte die EU-Kommission damals, sie sei an «lautstarke Ankündigungen dieser Art aus Ungarn» gewöhnt. Hintergrund war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 13. Juni 2024. Ungarn muss 200 Millionen Euro sowie für jeden Tag des Verzugs ein Zwangsgeld von einer Million Euro zahlen, weil das Land höchstrichterliche Entscheidungen zum Asylsystem nicht umsetzte.
Drohung nicht in die Tat umgesetzt
Die Drohung wurde zwar schon mehrfach von ungarischen Politikern wiederholt. Doch weder eine Recherche auf ungarischen Plattformen noch eine Google-Suche erbrachte Hinweise, dass tatsächlich Busse gefahren sind (Stand: 13.11.2024).
Anfang September stellte Vize-Innenminister Bence Rétvári laut Medienberichten (unter anderem hier, hier, hier und hier) mehrere Busse der öffentlichen Busverkehrsgesellschaft Volanbusz vor, auf deren Anzeigeschild «Röszke - Brüssel» stand. Röszke ist ein ungarischer Ort nahe einem Grenzübergang zu Serbien, über den Flüchtlinge ins Land gelangen.
Rétvári sagte der Tageszeitung «Die Presse» zufolge, die EU wolle Ungarn «zwingen, die illegalen Einwanderer, die wir an der Südgrenze des Landes aufhalten, ins Land zu lassen». Nach «Anwendung der europäischen Verfahrensregeln» werde Ungarn ihnen eine kostenlose Fahrt nach Brüssel anbieten. Belgien reagierte empört. «Dreistigkeiten dieser Art» seien «schädlich und kontraproduktiv», so die belgische Asyl-Staatssekretärin Nicole de Moor.
Für die EU-Kommission ist dies ebenfalls «inakzeptabel». Sollte der Plan in die Tat umgesetzt werden, würde dies einen «klaren Bruch» des EU-Rechts, der aufrichtigen und loyalen Kooperation und des gegenseitigen Vertrauens darstellen sowie die Sicherheit des Schengen-Raumes untergraben, hieß es bei einer Pressekonferenz am 10. September 2024. Die Kommission sei mit den ungarischen Behörden und den Transitländern in Kontakt, um sicherzustellen, dass dies nicht passiere und Ungarn davon absehe.
Brüssels Bürgermeister Philippe Close erklärte laut «Euronews» am 13. September, dass Belgien Migranten, die Ungarn schicke, nicht aufnehme. Seine Stadt würde nicht zur «Geisel der ungarischen Regierung», sagte er demnach in einem Interview und bezeichnete die Ankündigung als «Provokation». «Wir werden diese Busse blockieren, wenn sie jemals losfahren», so Close nach einem Telefonat mit dem belgischen Ministerpräsidenten Alexander de Croo.
Orban hält an der Geschichte fest
Am 30. September machte dessen Amtskollege Orban sein provokantes Ziel vor dem ungarischen Parlament erneut deutlich: «Wir werden Migranten zur Grand-Place in Brüssels schicken», sagte er laut einem Bericht des Polit-Magazins «Politico». La Grand-Place ist der zentrale Platz der belgischen Hauptstadt.
Bei einer Pressekonferenz in Straßburg am 8. Oktober antwortete Orban laut ungarischen Medienberichten (hier und hier) auf die Frage von Journalisten ungarischer Kreisblätter, wann die Einwanderer nach Brüssel überstellt würden, dass die Beförderung «bald» passieren werde und «der vereinbarte Zeitpunkt nicht mehr so weit entfernt» sei. Die Gesetze würden respektiert, «wenn jemand nach Brüssel will, werden wir helfen», so der ungarische Ministerpräsident.
Auch am 22. Oktober drohte Orban wieder, Migranten nach Brüssel zu bringen. «Es ist allgemein bekannt, dass die Ungarn an Husarenangriffe glauben. Es wird Husarenangriffe geben», sagte er laut seiner offiziellen Website unter Verweis auf eine für sein Land typische historische Truppengattung der leichten Kavallerie. «Wir werden die illegalen Einwanderer, die uns die Brüsseliten [sic] aufzwingen wollen, ganz rechtskonform dahin befördern, wo sie hingehören», zitierte ihn auch die «Budapester Zeitung» bei dem Dreiergipfel von Ungarn, der Slowakei und Serbien. Bis dato ist es also bei Drohungen seitens Ungarns geblieben.
(Stand: 13.11.12024)
Links
Bericht der Tageszeitung «Kurier» vom 22.8.2024 (archiviert)
Bericht von «Euronews» vom 22.8.2024 (archiviert)
Bericht in der «Kronenzeitung» vom 22.8.2024 (archiviert)
Bericht von «Der Standard» am 9.9.2024 (archiviert)
Urteil des EuGH in der Rechtssache C-123/22 (archiviert)
Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 13. Juni 2024 (archiviert)
Bericht in der «Presse» am 10.9.2024 (archiviert)
Bericht von der «Budapester Zeitung» am 9.9.2024 (archiviert)
Bericht in der «Kronenzeitung» 10.9.2024 (archiviert)
Bericht von «Der Standard» am 9.9.2024 (archiviert)
Bericht der Tageszeitung «Kurier» vom 10.9.2024 (archiviert)
Stellungnahme der EU-Kommission vom 10.9.2024 (archiviert)
Bericht von «Euronews» am 13.9.2024 (archiviert)
Live-Übertragung der Plenarsitzung des ungarischen Parlaments vom 30.9.2024 (archiviert)
Bericht des Polit-Magazins «Politico» vom 30.9.2024 (archiviert)
Bericht in der Online-Zeitung «Menedzsment Fórum» am 9.10.2024 (archiviert)
Bericht des Nachrichtenportals «Mandiner» vom 8.10.2024 (archiviert)
Offizielle Website von Ministerpräsident Viktor Orban (archiviert)
Bericht in der «Budapester Zeitung» vom 23.10.2024 (archiviert)
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