Insekten verwechselt

Auch Lebensmittel mit Mehlwürmern werden gekennzeichnet

23.03.2023, 19:59 (CET), letztes Update: 27.03.2023, 12:44 (CEST)

Über Insekten als Nahrungsmittel wird derzeit viel diskutiert - aber nicht immer auf der Grundlage von Fakten. Ein aktuell auf Facebook geteiltes Video verbreitet ein Schreckensszenario: Mehlwürmer, die angeblich seit Kurzem als Nahrungsmittel zugelassen seien, sollen demnach giftige alte Dämmstoffe fressen. Lebensmittel mit Insektenbestandteilen seien jedoch nicht «in besonderer Weise» gekennzeichnet. Auf diese Weise landen die Giftstoffe auf kurz oder lang in unseren Körpern, heißt es.

Bewertung

Für den menschlichen Verzehr gezüchtete Mehlwürmer werden nicht mit Kunststoff gefüttert. Wenn Lebensmittel Insektenbestandteile enthalten, müssen diese in der Zutatenliste angegeben werden.

Fakten

Das Video beginnt mit einer tatsächlichen wissenschaftlichen Entdeckung: Mehlwürmer - also bestimmte Insektenlarven - sind in der Lage, Polystyrol zu verdauen. Dieser Kunststoff ist vor allem unter seinem Handelsnamen Styropor bekannt.

Geforscht wurde an mehreren Arten von Insekten. Einerseits handelt es sich dabei um die Larven des Mehlkäfers (Tenebrio molitor). Dieser ist in der EU mittlerweile auch für den menschlichen Verzehr zugelassen. Dass Mehlkäfer Styropor verzehren können, haben Wissenschaftler der Universität Stanford in Kalifornien nachgewiesen.

An der australischen University of Queensland wurden ähnliche Versuche mit Verwandten des Mehlkäfers durchgeführt. Die Larven des Großen Schwarzkäfers (Zophobas morio) sind deutlich größer als die von Tenebrio molitor und können daher auch größere Mengen Styropor in derselben Zeit vertilgen. Im Video werden zwei Medienberichte vom 15. Juni 2022 eingeblendet: einer des «Standard» und einer des «Berliner Kurier». Beide beziehen sich auf die australischen Forschungsergebnisse.

Mehlwürmer sind schon länger in Umlauf

Die Larvenarten werden im Video mit einer neuen EU-Verordnung für Nahrungsmittel in Verbindung gebracht. So behauptet der Sprecher, dass «dieses Ungeziefer» ab 24. Jänner 2023 in Lebensmittel beigemengt werden darf. Larven von Zophobas morio sind davon jedoch nicht abgedeckt. Und getrocknete Mehlwürmer von Tenebrio molitor dürfen bereits seit 2021 als neuartiges Lebensmittel verkauft werden.

2023 wurde die Palette der Nahrungsmittel-Insekten in der EU lediglich erweitert, am 24. Jänner um «teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille)», zwei Tage später um «Larven von Alphitobius diaperinus (Getreideschimmelkäfer) in gefrorener, pastenartiger, getrockneter und pulverisierter Form». Letztere werden oft auch als «Buffalowürmer» bezeichnet.

Wenn Lebensmittel Insektenbestandteile enthalten, müssen diese in der Zutatenliste ausgewiesen werden. Für Mehlwürmer lautet die vorgeschriebene Formulierung «Getrocknete Larven von Tenebrio molitor (Mehlkäfer)».

Speise-Insekten werden organisch gefüttert

Im Video wird behauptet, dass ebenjene Mehlwürmer, die zuvor Polystyrol gefressen hätten, später in Lebensmitteln weiterverarbeitet werden. Doch Nahrungsmittelwürmer werden anders gefüttert. Laut einem Artikel des «Schweizer Tagblatts» bekommen sie ein hauptsächlich aus Getreide bestehendes, «hochqualitatives» Futtermittel. Der österreichische Hersteller Zirp Insects füttert eine «Mischung aus Rückständen aus der Getreideverarbeitung oder Bierherstellung (Treber) sowie Gemüse oder Obst».

Selbst wenn Styropor fressende Mehlwürmer in Nahrungsmitteln landen würden, wäre der Schaden wohl gering. Entsprechend der Forschungsergebnisse aus Stanford sind die Mehlwürmer in der Lage, etwa das Flammschutzmittel Hexabromocyclododecan (HBCD) nahezu rückstandsfrei abzubauen und auszuscheiden. Ebenso fanden die Forscher keine Rückstände in Shrimps der Art Litopenaeus vannamei, die mit HBCD-Styropor fressenden Mehlwürmern gefüttert wurden.

Maximal 40 Prozent Mehlwürmer in Lebensmitteln

Ohne klare Definition heißt es im Video, dass «künstlich hergestelltes Fleisch» zu bis zu 50 Prozent aus Insekten bestehen darf. Sind damit Fleischersatzprodukte gemeint, liegt dieser Anteil niedriger, nämlich bei maximal fünf Prozent bei Hausgrillen und 15 Prozent bei Pulver aus Buffalowürmern. Lediglich im Ganzen oder in pastenartiger Form darf der Anteil an Mehlwürmern diesen Wert übersteigen. Der Höchstwert in Fleischanalogen beträgt 40 Prozent, es ist zugleich der höchstzulässige Anteil an Mehlwürmern in einem Lebensmittel.

Im Labor hergestelltes Fleisch hingegen enthält keine Insektenbestandteile. Solch In-vitro-Fleisch besteht ausschließlich aus Muskelzellen, die zu einer Fleischmasse gezüchtet werden. Diese Art der Fleischgewinnung ist allerdings weit davon entfernt, massentauglich zu sein. «Aktuell ist die kleinskalige Produktion von In-vitro-Fleisch bereits möglich, es existieren jedoch noch keine Verfahren für die industrielle Produktion», heißt es dazu in einer Trendanalyse des deutschen Umweltbundesamtes (Seite 49).

(Stand: 21.3.2023)

Aktualisierung

Absätze zu Fleischersatzprodukten und In-vitro-Fleisch ergänzt.

Links

Facebook-Posting (archiviert) (Video archiviert

Wissenswertes zu Styropor (archiviert)

Interview mit Rafael Perez von DG SANTE (archiviert

Artikel der Universität Stanford zu ihrer Studie (archiviert)

Artikel der Universität von Queensland zu ihrer Studie (archiviert)

Artikel «Der Standard» (archiviert)

Artikel «Berliner Kurier» (archiviert)

EU-Durchführungsverordnung 2021/882 (archiviert)

Verordnungstext zu Hausgrillen (archiviert)

Verordnungstext zu Käferlarven (archiviert)

dpa-Faktencheck zur Kennzeichnungspflicht

Artikel «Der Standard» zu Insekten als Lebensmittel (archiviert)

Artikel Tagblatt zu Mehlwürmern (archiviert)

FAQ-Seite von Zirp Insects (archiviert)

Abstract der Studie aus Stanford (archiviert)

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